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Schwerpunkt

Zwischen YouTube, Konzert und Schule

Die Bildungsvisionen einer Abiturientin

Foto: Karsten Krüger

Ein gutes Bildungssystem, das wäre doch was, habe ich gedacht, als ich gefragt wurde, ob ich einen Artikel zum Thema Bildungsvisionen schreiben möchte. Natürlich fällt mir dazu was ein! Ist doch nicht ganz so leicht, bemerke ich jetzt. Denn was zeichnet gute Bildung aus?

Ich denke an meine Schulzeit zurück, als Anhaltspunkt. Vor einem Jahr habe ich Abi gemacht. Jetzt bin ich in Rijeka in Kroatien. Dort mache ich ein FSJ im Deutschunterricht, Schule ist doch noch nicht ganz vorbei. Letzte Woche haben die Abiturient*innen das Ende ihrer Schulzeit gefeiert, mit viel Geschrei und Party. Meine Nulltagefeier war noch mit Masken. Ich erinnere mich an das seltsame Gefühl, mit schmerzendem Kopf aus der mündlichen Prüfung rauszugehen und mich zu fragen, war’s das jetzt wirklich? Der Sommer nach den Prüfungen, nach dem Stress, alle glücklich und frei. Unsere Klassenfahrt war schön, auch wenn es wegen Corona nur nach Weimar und nicht nach Prag ging. Ich denke an die lauten Diskussionen im Geschichts- und Politikunterricht, an das zum-Bäcker-gehen in der Mittagspause, die Freistunden an der Weser, die Solidarität unter uns Schüler*innen. Dann fällt mir der immense Druck vor den Abiprüfungen ein, der manchen Schlafstörungen bereitete. Verlernte Nachmittage, die Erwartungshaltung, immer alles so gut wie möglich machen zu müssen. Ganze Nachmittage habe ich prokrastinierend im Bett verbracht, als Bewältigungsstrategie. Denn da war ja noch diese blöde Coronapandemie, die einen Ausgleich zur Schule zwischenzeitlich abschaffte.

Ressourcen und Privilegien

Währenddessen wurde sehr viel über Schüler*innen geredet. Über mangelnde Solidarität und Partys, geschmälertes Schulwissen für den zukünftigen Arbeitsmarkt. Weniger geredet wurde zumindest anfangs über psychische Probleme, nach Lockdowns und anderen Folgen der Pandemie verstärkt vorkommend, was beispielsweise eine Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung ergeben hat. Mit den Schüler*innen geredet wurde auch nicht besonders viel. Corona markiert viele Missstände, die in meiner Utopie keinen Platz haben. Auch die Tatsache, dass Bildung oft von den Ressourcen und Privilegien des Elternhauses abhängt: Wessen Eltern finanziell so abgesichert sind, dass sie teure Nachhilfestunden zahlen können, wer ein eigenes Zimmer und stabiles WLAN hat, hat es in der Klausurvorbereitung leichter. Vor der Pandemie war das auch schon so, aber vielleicht noch nicht so deutlich. Das sind viele Erinnerungen und viel Gemecker, werden jetzt vielleicht einige einwenden. Verstehe ich. Aber ich kann nur eine Bildungsvision entwickeln, wenn ich konkret aufzeige, warum sie aus meiner Perspektive nötig ist. Ansonsten verliefe sie ins Leere.

Bildung außerhalb der Schule

Noch etwas hat mir die Pandemie vor Augen geführt: Bildung passiert längst nicht nur in der Schule und anderen staatlichen Institutionen, obwohl die im medialen Fokus stehen. Bildung ist für mich die Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe für alle. Die kann unterschiedlich aussehen. Zum Beispiel in der Wunschstadt den Wunschstudiengang studieren, ein Buch lesen, ins Museum gehen. Wenn junge Menschen übrigens in München oder Köln studieren wollen, dann muss das auch ohne reiche Eltern einfach möglich sein, zum Beispiel mit mehr Stipendien. Da wären wir wieder bei der Sache mit den Privilegien. Kulturelle Teilhabe kann auch heißen, auf ein Konzert zu gehen, sich an einer Online-Debatte zu beteiligen oder ein YouTube-Video zu gucken. Wobei Aktivitäten im Internet ziemlich mies enden können, Stichwort „Fake News“ und Hatespeech. Medienkompetenz als Bildungsinhalt ist deshalb essenziell, am besten altersunabhängig.

Homogene Freiwillige

Ich wünsche mir Anerkennung für (ehrenamtliches) Engagement. Mein Herzensanliegen: Das Freiwillige Soziale Jahr, das mache ich gerade selbst und finde es eigentlich super. Dabei gehen junge Leute einer Vollzeitbeschäftigung in sozialen oder anderen Bereichen nach. Dafür wird ein „Taschengeld“ meist zwischen 200 und 400 Euro ausgezahlt. Allein WG-Zimmer kosten oft mehr. Ohne finanzielle Ressourcen der Familie ist ein FSJ außerhalb des Kinderzimmers unmöglich. Niemand muss sich wundern, warum die Gruppe der Freiwilligen so homogen ist. Und niemand sollte sich echauffieren, die Gen Z übernehme keine gesellschaftliche Verantwortung, wenn die Bedingungen dafür so miserabel sind.

Zugang für alle

Und schließlich heißt kulturelle Teilhabe die Förderung kultureller Angebote für alle. Unzählige Theater, Konzerthäuser, Kneipen, Clubs und Jugendzentren stehen nach Pandemie und Inflation kurz vor dem Aus. Der KulturPass für 18-Jährige ist ein guter Anfang. Leider reicht der nicht ganz, denn nicht nur 18-Jährige wollen und sollen am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Wir dürfen die Bedeutung von Veranstaltungen und Treffpunkten nicht unterschätzen. Schließlich findet so gesellschaftlicher Austausch statt, Probleme werden ausgesprochen, im Idealfall werden sogar Lösungsstrategien entwickelt. Das ist Demokratie. Deshalb ist der Zugang für wirklich alle so wichtig. In meiner Vision werden alle die es brauchen finanziell unterstützt. Verbilligte Eintrittsgelder, am besten kostenlose öffentliche Verkehrsmittel. Ohne Mobilität keine Teilhabe.

Soziale Kompetenzen

Zum Schluss meine sehr kurze, nicht ausführliche Vision für Bildung an staatlichen Institutionen. Ich bleibe bei der Schule, die kenne ich am besten. Ich wünsche mir eine Schule, in der alle Schüler*innen in ihren Stärken unterstützt werden. Herkunft, Bildungsstand und Geldbeutel der Eltern haben keinen Einfluss auf die Schulbildung. Niemand muss mehr Angst vor schlechten Noten haben, Lehrpläne sind flexibel. Relevant sind nicht nur Mathe und Deutsch, sondern auch soziale Kompetenzen. Schule macht Spaß und keinen Stress, zumindest meistens. Das wäre doch schön. 

Carla Oberg hat ihr Abitur am Gymnasium  Hamburger Straße gemacht.