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Kommentar

Wer will die „Eigenverantwortliche Schule“? Und warum?

Was ich schon immer mal sagen wollte – Eine Kolumne von Angelika Hanauer

Wenn ihr diese Kolumne lest, hat die Bürgerschaftswahl bereits stattgefunden. Beim Schreiben weiß ich leider noch nicht, wie es mit der Bildungspolitik in Bremen weitergeht. Eines kann ich aber jetzt schon prophezeien: Die sogenannte „Eigenverantwortliche Schule“ wird wieder neu diskutiert werden. Diejenigen, die das schon seit längerem wollen, platzieren das Thema vor den Wahlen nämlich mal wieder intensiv bei verschiedenen Gelegenheiten und politischen Akteur:innen.

Wer ruft nach Eigenverantwortung?

Bisher habe ich den Ruf nach mehr Eigenverantwortung noch nie von Seiten des Personals gehört. Er kam meistens von Schulleitungen oder aus der Behörde. Schulleitungen erhoffen sich mehr Entscheidungsbefugnisse und flexiblere Handlungsmöglichkeiten. Die Behörde ihrerseits bekommt ständig Schelte dafür, dass vieles nicht schnell oder gut genug funktioniert. Da wäre es doch schön, die Verantwortung für das ein oder andere den Schulen direkt zuzuschustern. Wenn was nicht klappt - selber schuld!

Eigenverantwortung wofür?

Schulen haben laut Schulgesetz die Möglichkeit, sich ihr eigenes fachliches oder pädagogisches Profil zu geben, und viele machen das auch. Darum geht es also nicht. Bleiben vor allem die Bereiche Geld und Personal. Mehr Spielraum und Selbstständigkeit bei der Nutzung finanzieller Mittel in den Schulen klingt nach einer sinnvollen Forderung. Wenn man genau weiß, was zur Verfügung steht und zum Beispiel eingesparte Mittel auch behalten kann, um sie später einzusetzen, schafft das Planungssicherheit und man könnte auch mal kurzfristig agieren. Kann man also machen. Dabei ist nur wichtig, dass die Konferenzen – so wie es ja auch im Gesetz steht – verlässlich beteiligt werden.

Mehr Autonomie bei der Personalgewinnung?

Beim Personal sieht die Sache aber ganz anders aus. Es gibt Schulleitungen, die sich von der Eigenverantwortung versprechen, ihre Einstellungen und Personalauswahl bei Funktionsstellen selbst und ohne Einmischung durch die Behörde vornehmen zu können. Dazu wäre es allerdings notwendig, dass jede Schule in eine eigene Dienststelle mit einem eigenen Personalrat umgewandelt wird. Die Schulleitungen, die vor Ort über das Personal entscheiden wollen, glauben, dass sie ihre Personalversorgung schneller und vielleicht auch besser hinkriegen. Eine Sache besser und schneller als die Behörde hinbekommen? Klingt irgendwie plausibel, aber ...

Den Letzten beißen die Hunde

Das hätte zur Folge, dass diejenigen, die jetzt schon Probleme haben, überhaupt an Personal zu kommen, es dann noch schwerer haben werden, weil die Behörde überhaupt nicht mehr steuernd eingreifen könnte und die Konkurrenz noch größer würde, als sie jetzt schon ist. In Zeiten des massiven Personalmangels total kontraproduktiv. Und so gibt es eben auch viele Schulleitungen, denen aufgrund von Personalnot das Wasser längst bis zum Hals steht und die neben ihren Leitungsaufgaben nicht selten auch noch im Unterricht vertreten, um den Laden am Laufen zu halten. Die wollen doch nicht auch noch selbst für die Personalversorgung verantwortlich sein. Dafür haben sie auch gar keine Zeit, und sie erwarten zu Recht von der Bildungsbehörde eine faire Versorgung aller Schulen.

Vorsicht, Nasenfaktor!

Wenn Personalentscheidungen direkt in den Schulen getroffen werden, sehe ich noch zwei weitere Probleme. Gerade bei der Besetzung von Funktionsstellen wird es noch schwieriger werden, eine neutrale, nicht von persönlichen (Nasen-)Faktoren beeinflusste Auswahl zu treffen. Wir alle kennen Beispiele, wo jemand besonders gewollt wird oder eben auch keine Chance hat, eine bestimmte Stelle zu bekommen. Außerdem steigt, insbesondere in Zeiten der Personalknappheit, die Gefahr von Dequalifizierung und prekärer Beschäftigung. Hatten wir alles schon, als die Schulvereine als Arbeitgeber noch selbst Verträge gemacht haben. Darauf sollten Behörde und Interessenvertretungen dringend ein Auge haben.

Die Nachtigall

Einige Schulleitungen, besonders die der berufsbildenden Schulen, wünschen sich den Personalrat direkt an ihrer Schule. Mensch klasse, möchte man ausrufen, das ist ja mal ein ganz demokratischer Impuls! Aber mal ehrlich: Die Chef:innen selbst, nicht die Beschäftigten, wünschen sich die Mitbestimmung vor Ort? Da trapst bei mir die Nachtigall nicht nur - sie brettert mit dem Bulldozer. Und ich frage mich: Freunde, wenn ihr euer Personal mehr beteiligen wollt, dann macht es doch einfach. Was hält euch davon ab?

Berufsbildende Schulen als Vorbild?

Ich selbst bin an einer der berufsbildenden Schulen, die sich beginnend vor etwa 20 Jahren zu sogenannten Regionalen Berufsbildungszentren entwickelt haben. Dieser Schritt zu mehr Eigenverantwortung war gekennzeichnet durch die sogenannte Personalkostenbudgetierung und die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems. Anfangs war ich noch offen für diese Entwicklung, musste dann aber erleben, dass mit Eigenverantwortung nicht gemeint war, uns Kolleg:innen in unseren Arbeitsbereichen mehr selbst entscheiden zu lassen, wie es ja gerne vollmundig nach außen dargestellt wird. Uns wurde zwar für vieles die Verantwortung zugeschoben, weil es nämlich gleichzeitig einen massiven Abbau von Funktionsstellen und Entlastungsstunden gab, die dazugehörigen Entscheidungsbefugnisse haben wir allerdings nie erhalten. Die Rolle der Schulleiter:innen wurde dagegen gestärkt. Auf diese Art „Eigenverantwortlichkeit“ kann ich gern verzichten. Dazu vielleicht ein andermal mehr.

Unlautere Motive

Neulich räumte ein Schulleiter ganz unverblümt einen weiteren Grund dafür ein, warum er sich einen Personalrat direkt an der Schule wünscht. Er wäre dadurch nämlich auch Disziplinarvorgesetzter des Schulpersonals. Das sind Schulleiter:innen jetzt nicht, diese Funktionen liegen in der Behörde. Käme es so, wie dieser Schulleiter gern möchte, würde das bedeuten, dass er selbst Disziplinarverfahren gegen Kolleg:innen an seiner Schule einleiten und ggf. entsprechende Sanktionen aussprechen könnte. Ich glaube und hoffe, dass das nur wenige wollen, vermutlich vor allem die, die immer mal wieder mit dem Personalrat zu tun haben, weil sich Beschäftigte gehäuft rat- und hilfesuchend an diesen wenden. Dann ist es natürlich ziemlich unangenehm, wenn selbstbewusste, gut informierte Personalrät:innen ins Haus flattern, denen gegenüber die betreffende Schulleitung nicht weisungsbefugt ist und deren Stundenpläne sie auch nicht macht.

Solidarität statt Konkurrenz

Alles in allem sehe ich keine ausreichenden Gründe, die Eigenverantwortung von Schulen in der oben beschriebenen Richtung weiter voran zu treiben. Wir brauchen einen solidarischen Blick aufs Ganze und nicht mehr Vereinzelung und Konkurrenz. Schulen sind keine Wirtschaftsbetriebe und sollten auch nicht wie solche behandelt werden. Sonst wird die Ungerechtigkeit im Bildungssystem nur noch größer.