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Kolumne

Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen

Was ich schon immer mal sagen wollte – Eine Kolumne von Angelika Hanauer

Die Überschrift ist ein Zitat des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt, das mir spontan zum Schwerpunktthema dieser Ausgabe in den Sinn kam. Ich bin zugegeben vorbelastet, was den Begriff Vision angeht. Im berufsbildenden Bereich wird er seit Jahren inflationär für Ideen verwendet, die ich und viele andere nicht unbedingt teilen, die aber dennoch durchgesetzt werden sollen. An meiner Schule hatten wir sogar einen „Visionenordner“, in dem man – irgendwie typisch deutsch – seine Erleuchtungen ordentlich abheften konnte. Daher reagiere ich inzwischen eher skeptisch-sarkastisch und möchte Pillen verabreichen, wenn mir mal wieder jemand die allerneueste großartige Vision verklickern will. Aber Scherz und meine Befindlichkeiten mal beiseite. Natürlich brauchen wir Ideen und Vorstellungen, also Visionen, davon, wie es in unserem Bildungssystem vorangehen soll, denn sonst bewegt sich nichts oder, wenn man das Fantasieren anderen überlässt, möglicherweise in die falsche Richtung.

Wunsch und Wirklichkeit

Heute schaue ich einmal besonders auf die Personalratsarbeit und das „Zusammenspiel“ zwischen Interessenvertretung und senatorischer Behörde. Ich bin inzwischen schon lange dabei, und es scheint mir wichtig, auch diese Perspektive mit einzubringen. Meine Vorstellungen davon, wie Mitbestimmung eigentlich aussehen müsste, und die Realität liegen an vielen Stellen ziemlich weit auseinander. Ich will das im Folgenden einmal beispielhaft gegenüberstellen. Seid also gewarnt und stellt euch auf eine mentale Kneipp-Kur ein.

Mitbestimmung auf Augenhöhe

Im Personalvertretungsgesetz ist von gleichberechtigter Mitbestimmung die Rede. Das klingt ja wirklich gut und die regelmäßig aufflammende Diskussion über angeblich zu mächtige Personalräte legt ebenfalls nah, dass der Personalrat sehr viel Einfluss hat und nichts an ihm vorbei geschehen kann. Wäre das wirklich so, sähen viele Dinge sicherlich ganz anders aus. Dann wären Unterrichts- und Betreuungsverpflichtung an die heutigen Verhältnisse angepasst, also geringer. Die Arbeitszeit würde eingehalten, und wenn das mal nicht möglich wäre, würde sie erfasst und es gäbe einen Ausgleich. Für die Rücksichtnahme auf Teilzeit und Familie gäbe es verbindliche Regelungen. Alle, die bei Bildung arbeiten, wären auch bei Bildung angestellt. Es würden rechtzeitig genügend Fachkräfte unter ordentlichen Bedingungen ausgebildet und eingestellt. Es gäbe Doppelbesetzungen zumindest in sehr heterogenen und herausfordernden Klassen, Entlastungsstunden für zusätzliche Aufgaben ... Puh, ich muss meine Tabletten nehmen, damit es nicht visionstechnisch mit mir durchgeht und ich noch seitenlang so weitermache. Aber ich glaube, es ist klar geworden, dass es da irgendwo einen oder mehrere Haken an unserem angeblich so großen Einfluss geben muss.

Mitbestimmung als Gewinn

Als Arbeitgeber:in könnte man Mitbestimmung als Bereicherung und wichtiges Korrektiv wertschätzen. Man könnte annehmen, die besten Lösungen gingen aus sachlichem Diskurs hervor, auch oder gerade wenn man darüber streiten muss. Unterschiedliche Sichtweisen werden eingebracht, und man trifft sich auf einer für beide Seiten akzeptablen Position, die gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten mit dienstlichen Notwendigkeiten ideal verknüpft. Daher werden die Mitbestimmungsgremien selbstverständlich von Anfang an eingebunden und nicht erst gegen Ende, wenn eigentlich schon alles eingetütet ist ... Die Pillen, gebt mir die Pillen!

Mitbestimmung herzlich eingeladen

Oder Mitbestimmung wird als nervige Notwendigkeit empfunden, die man dort, wo es sich nicht vermeiden lässt, einhalten muss. Das sagt man natürlich nicht laut, denn das wäre ja iggitipfui. Aber, wenn man sich die Indizienlage ansieht, lassen sich durchaus Schlussfolgerungen ziehen. So gibt es zum Beispiel schon seit mehreren Jahren die so genannte „kooperative Steuerung“. Das ist eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Behördenvertreter:innen und Schulleiter:innen der verschiedenen Schularten. Diese Gruppe befasst sich mit Fragestellung der Schulentwicklung. Die gewählte Vertretung des Personals ist nicht dabei, um die Interessen der Beschäftigten mit einzubringen – wozu auch? Nach viel Streit und diversen Initiativen unsererseits wurden wir eine Zeit lang eher widerwillig eingeladen - inzwischen allerdings wieder nicht. Die kooperative Steuerung hat sich nämlich auf magische Weise in Luft aufgelöst. Angeblich existiert sie nicht mehr – interessant, denn hin und wieder tauchen Ergebnisse dieser Phantomgruppe in Dokumenten der Behörde auf. Und das ist nur ein Beispiel von vielen, die es im Laufe der Jahre gegeben hat.

Gesetze und Regeln werden eingehalten

Wir leben ja im häufig zitierten Rechtsstaat und bewegen uns außerdem im öffentlichen Dienst – dem Inbegriff der Einhaltung von Gesetzen und Regeln. Bestehende und neue Gesetze werden also akribisch umgesetzt. Wird dagegen verstoßen, egal von wem, wird die Behörde tätig – auch intern. Werden Urteile gesprochen, bedeutet das, dass alle sich umgehend daran halten. Alle mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten werden – rechtzeitig und nicht erst rückwirkend – den Interessenvertretungen vorgelegt. Kommt es zu einem Dissens in einer Angelegenheit, versucht man ergebnisoffen die beste Lösung zu finden. Wo sind die verflixten Pillen?

Ok, natürlich ist die Behörde kein rechtsfreier Raum, aber so wie oben beschrieben ist es eben auch nicht. Ein rechtskräftiges Urteil oder eine vereinbarte Richtlinie garantieren leider nicht unbedingt deren Umsetzung. So führte beispielsweise das novellierte Schulverwaltungsgesetz bisher nicht automatisch dazu, dass mehr Transparenz und Demokratie Einzug hielt. Oft ist die Zusammenarbeit mit der Behörde wahnsinnig zäh und man muss erinnern, mahnen, mit dem Anwalt drohen, damit Dinge sich bewegen. Das bindet viele Kräfte, die sinnvoller eingesetzt werden könnten, und kostet, man könnte auch sagen, verschwendet nicht zuletzt auch Steuergelder.

Für die Regierung hat Bildung höchste Priorität

Für etwa 45 Prozent der Bremer:innen sind nach einer Umfrage vor den Wahlen Schule und Bildung die wichtigsten Probleme, die prioritär angegangen werden müssen. Die SPD wird wohl weiterhin die Verantwortung für das Bildungsressort behalten – ob nun gewollt oder weil kein anderer der zukünftigen Koalitionäre die heiße Kartoffel anfassen will, sei mal dahingestellt. Im Wahlkampf war es vonseiten der SPD seltsam ruhig zu Bildungsthemen. Wäre aber auch schwierig gewesen, hier mit irgendetwas zu punkten. Aber davon mal abgesehen, sollte man doch meinen, dass Bildung für die SPD ebenfalls das Top-Thema mit der allerhöchsten Priorität ist. Das würde sich dann auf bestimmte Art und Weise manifestieren. Ein regelmäßiger Austausch mit dem Personalrat, der mit ca. 9500 Menschen immerhin den größten Bereich des bremischen öffentlichen Dienstes vertritt, wäre ein gutes Zeichen. So könnten der Bürgermeister und die bisherige und vielleicht auch zukünftige Senatorin erfahren, wo beim Personal der Schuh drückt, was zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen getan werden kann und wo es Missstände gibt, von denen sie vielleicht gar nichts wissen. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels doch gar keine so schlechte Idee. So sollte es sein und so war es auch – bis zur Amtsübernahme von Herrn Bovenschulte und Frau Aulepp.

Die Nulllinie

Frühere Bürgermeister haben sich in lockeren Abständen mit dem Personalrat getroffen, um aus erster Hand zu hören, wie es steht. In meinen Augen drückt sich darin auch eine Wertschätzung für das Personal aus. Herr Bovenschulte hat sich in vier Jahren genau null Mal mit uns getroffen. Auf einer Pressekonferenz während der Coronapandemie hat Herr Bovenschulte einmal gesagt, „mit der Lehrerschaft“ ins Gespräch kommen zu wollen. Da fühlten wir uns irgendwie angesprochen und baten um einen Termin. Sein Büro lehnte unsere Anfrage mit der Begründung ab, wir seien ja in gutem Austausch mit dem Ressort und daher ein Gespräch mit ihm „verzichtbar“.

Senatorin Aulepp wiederum hat als eine ihrer ersten Amtshandlungen den traditionellen monatlichen Jour Fixe zwischen Interessenvertretungen und Senatorin sowie wechselnden Fachleuten aufgekündigt und war nicht davon zu überzeugen, dass so ein regelmäßiges Format von beiderseitigem Nutzen sein kann. Ja dann …

Die Schnecke aufmotzen

Und was lernen wir aus all dem? Nicht viel vermutlich – wir sind ja in Bremen. Aber eine Frage bleibt: Warum mache ich den Job als Personalrätin eigentlich noch und habe die berühmte Flinte nicht schon dahin geworfen, wo sie und alle anderen Flinten hingehören? Tja, ich hab´ eben meine Pillen nicht genommen und bleibe trotz aller Widrigkeiten hoffnungsvoll, dass Verhältnisse und Einstellungen sich zum Besseren ändern lassen. Und Helmut Schmidt hat außerdem noch gesagt, „Schneckentempo ist das normale Tempo jeder Demokratie“. Also nicht verzweifeln und dem Gastropoden Beine machen.