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Kolumne

Was ich schon immer mal sagen wollte

Alle Jahre wieder...

Kürzlich gab es mal wieder einen Bildungsvergleich der Bundesländer. Und Bremen war mal wieder ganz unten. Und alle Verantwortlichen waren mal wieder unheimlich überrascht. Und alle waren mal wieder ganz schrecklich betroffen. Und keiner konnte es sich erklären. Bla, bla, bla…

Das Einzige, das ich wirklich überraschend finde, ist genau diese immer und immer wiederkehrende Überraschung.

Ein Elefant steht im Raum

Der Elefant, der schon seit vielen Jahren im Raum steht, hat inzwischen gigantische Ausmaße und trompetet ohrenbetäubend: Unsere Kinder und Jugendlichen werden im Großen und Ganzen immer leistungsschwächer und zwar drastisch. Vielen fehlt es schon zum Schulanfang an grundlegenden Fähigkeiten und das zieht sich dann durch alle Schulformen. Die Maßnahmen, die dagegen ergriffen wurden, waren in etwa wie der Versuch, eine der maroden Weserbrücken mit einer Rolle Klebeband zu sanieren.

Aber irgendwie scheint es schwierig zu sein, diese Wahrheit unverblümt auszusprechen. Ein Elefant, was für ein Elefant? Wir wollen bloß niemandem auf den Schlips treten, den Schüler:innen nicht, den Eltern schon gar nicht und den politisch Verantwortlichen fällt es ohnehin schwer, das Scheitern ihrer Politik zuzugeben.

Und es sinkt für Sie: das Niveau

Ich selbst konnte in den 20 Jahren meines Lehrerinnenlebens diese Entwicklung live und in Farbe beobachten. Die Fähigkeiten der Schüler:innen, die ich in einem SEK-II-Zentrum unterrichtet habe, gingen immer weiter zurück und ein Ende ist nicht in Sicht. Anfangs habe ich noch versucht, das z. B. in Konferenzen zu thematisieren, fand aber kein Gehör. Stattdessen wurde zunehmend von Qualitätsentwicklung geschwurbelt.

Inzwischen musste ich einsehen, dass es wenig Sinn hat, Schüler:innen in Naturwissenschaften mit Fachtexten für deren Jahrgangsstufe oder gar abstrakten Konzepten zu konfrontieren. Und auch meine abgewandelten Arbeitsblätter mit vereinfachten Texten, die vor einigen Jahren noch gut funktionierten, kann ich jetzt nicht mehr verwenden. Sie werden schon auf der sprachlichen Ebene nicht verstanden. Und das betrifft durchaus nicht nur die Schüler:innen, die keine Muttersprachler:innen sind.

Was blieb also für ein Ausweg? Ich ging mit dem Niveau immer weiter runter, weil es nicht meinem beruflichen und menschlichen Selbstverständnis entspricht, die Schüler:innen, die ja nichts für die Misere können, reihenweise abzuhängen. Frustrierend ist das aber schon. Gegenüber den Weisheiten aus dem Rembertiring schalte ich – als Lehrerin zumindest – meist auf Durchzug. So geht es, glaube ich, vielen.

Abschlüsse sind entwertet

Die Folge von all dem ist, dass Betriebe und Universitäten die Abschlüsse nicht mehr ernstnehmen. Warum sonst gibt es diese Unmengen an Praktika und Eignungstests? Auch innerhalb des Schulsystems sind die Zeugnisnoten offenbar Schall und Rauch – oder warum muss man inzwischen selbst für den einfachsten Abschluss eigens eine Prüfung machen? Früher reichte es, einen bestimmten Notendurchschnitt zu erreichen und der Abschluss wurde zuerkannt. Das System traut sich also selbst nicht – irgendwie auch kein Wunder.

Schule ist nicht an allem schuld, aber…

Ich behaupte ja gar nicht, dass die Verantwortung allein im Bildungssystem zu suchen ist. Niemand weiß, welche Folgen es für die kindliche Entwicklung hat, wenn junge Eltern, anstatt Blickkontakt und Interaktion mit ihren Säuglingen zu pflegen, in ihre Handys schauen, wenn - wie gerade wieder festgestellt - viel weniger vorgelesen und gelesen wird, und wenn Kommunikation in großen Teilen in sozialen Medien stattfindet anstatt im „richtigen Leben“. Es wäre aber mal ganz schön, wenn sich jemand systematisch und wissenschaftsbasiert um diese Fragen kümmern würde.

Aber auch wenn die Schule diese Parameter nicht direkt beeinflussen kann, so ist es meiner Meinung nach trotzdem die Aufgabe des Staates und damit auch des Bildungssystems, dafür zu sorgen, dass diesen negativen Entwicklungen und schwindenden Chancen von Kindern etwas entgegengesetzt wird. Das gleiche gilt auch für den bitteren Zusammenhang zwischen Armut und mangelndem Bildungserfolg.

Schema-F funktioniert nicht

Bisher lauteten die Rezepte etwa so: Nicht alle Kinder haben die gleichen Chancen Abitur zu machen und zu studieren, also ordnet Willy Lemke (Bildungssenator 1999–2007) an, es müsse mehr Abiturienten geben – zack, fertig! Ungefähr zeitgleich wurden damals übrigens Förderstunden gekürzt. Prima!

Kinder und Jugendliche können immer schlechter lesen und schreiben – machen wir doch „sprachsensiblen“ Unterricht. Finden wir uns also damit ab, dass die Sprache nicht mehr verstanden wird? Ja ok, ich weiß, dass es inzwischen etwas mehr Sprachförderung und Unterricht in den sogenannten Kernfächern gibt. Aber das hat das Problem offensichtlich nicht gelöst. Vielleicht ist die Lösung auch nicht so simpel. Ich behaupte: wir wissen es schlicht nicht, verfahren aber trotzdem weiter stoisch nach denselben Mustern.

Potzblitz!

Im Weser-Kurier wurde kürzlich der Behördensprecher Kilincsoy zum bremischen Qualitätsinstitut zitiert. Das IQHB habe bei der Auswertung des IQB-Bildungstrends herausgefunden, dass sich Erfolge zeigen, „wo die Kinder mehr Förderung und Unterricht in der Schule hatten. Notwendig ist mehr vom Grundlegenden: mehr Unterricht in den Kernkompetenzen, mehr Sprachförderung, mehr individuelle Förderung.“ Potzblitz – da wär‘ man ja nie drauf gekommen! Gut, dass wir uns für solch bahnbrechende Erkenntnisse dieses teure Institut leisten und das Geld nicht z. B. für mehr vorschulische Sprachförderung verschwenden.

Die Ausrede, die derzeit zum Beispiel von Frau Aulepp häufig zu hören ist, es gäbe ja bundesweit zu wenig Fachkräfte und fast überall ließen die Leistungen nach, geht mir gehörig auf den Wecker. Wenn das eigene Bundesland seit so vielen Jahren Schlusslicht ist, hat man viel mehr Gründe, die Voraussetzungen für gute Bildung zu verbessern – egal was die anderen tun.

Auf Schlipse treten

Leider sehe ich nicht, wer es richten soll. Nach der letzten Bürgerschaftswahl hatte ich mir einiges von den Linken erhofft, die in ihrer Oppositionsrolle die Probleme oft treffend und kritisch angesprochen haben. Anstatt damit als Regierungspartei weiter zu machen, scheint zwischen den Koalitionären eher Friede, Freude, Eierkuchen zu herrschen. Früher haben Bildungssenator:innen sogar aus ihrer eigenen Partei Feuer bekommen und mussten sich rechtfertigen – aber die Zeiten scheinen vorbei zu sein. Aber CDU und FDP sind aus meiner Sicht auch keine Alternative, da sie eigentlich nur zurück zum Alten wollen.

Also, was tun? Ich glaube, wir können es nur aus den Schulen heraus verändern. Wir müssen laut und deutlich sagen, wie schlimm es ist. Auch wenn das bedeutet, tatsächlich auf den einen oder anderen Schlips zu treten. Das ist nicht zum Schaden, sondern zum Wohl von Kindern und Jugendlichen. Denn wenn wir nicht zugeben, dass da ein Elefant steht, können wir auch keine Lösungen dafür finden, ihn an die frische Luft zu befördern.