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Schwerpunkt

Vision und Illusion liegen eng beieinander

oder an Gandhi angelehnt: Was haltet ihr von „gerechter Bildung“? Die Idee finden wir gut!

KI-Gandhi-Generator: Midjourney

Appelle, Forderungen, Berechnungen und Klageverfahren, Demonstrationen, Kampagnen und Streiks - die üblichen Werkzeuge der demokratischen Willensbildung und Willensdurchsetzung durch Mehrheitsmeinung haben offensichtlich in den vergangenen Jahrzehnten nichts bewirkt. Oder wie sollen wir die Entwicklung im Bildungswesen kommentieren? Aus dem Bildungsgipfel von 2008, der sich das Ziel von zehn Prozent vom BIP für Bildung auf die (werbewirksame) Fahne geschrieben hatte, wurde jetzt 2023 als Gewerkschaftsforderung zehn Prozent. 2020 schreibt die GEW: „Ein verlorenes Jahrzehnt“. „Zwar haben mehr Jugendliche höhere Schulabschlüsse, mehr Menschen nehmen ein Studium auf oder bilden sich weiter. Auf der anderen Seite bleibt aber ein fester Sockel der Bildungsarmut. Kinder, die aus schwierigen sozialen Verhältnissen oder Einwandererfamilien stammen, haben noch immer schlechtere Bildungschancen. Die ‚Baustelle Bildungsrepublik‘ gleicht dem glücklosen Neubau des Berliner Flughafens BER. Seit mehr als einem Jahrzehnt wird an verschiedenen Stellen fleißig gewerkelt. Eine echte Strategie ist jedoch nicht zu erkennen, die Fortschritte bei der Chancengleichheit sind überschaubar.“

Zehn Prozent und mindestens ein Doppelwumms – eine Illusion

Mittlerweile bezweifle ich, dass es nicht nur ein Trick war, um sich bei den Massen beliebt zu machen, sondern glaube, dass es nie einen ernsthaften Willen gab, das Bildungssystem zu modernisieren und diesem eine Vollausstattung zu gönnen. Im Wahlkampf aller Orten stand Bildung immer verbal ganz oben. „Unsere Zukunft“, „unsere Fachkräfte und Technikspezialisten“, unsere „Bildungsrepublik“, hieß es. Aus der Gelehrtenrepublik ist nichts geworden: Nicht nur die Bildung siecht vor sich hin, sondern viele andere Bereiche, die vielleicht vordergründig keinen Profit abwerfen, sondern einfach nur instandgehalten werden müssten. Die Straßen, die öffentlichen Gebäude, die Schulen, die Bahn, das Gesundheitssystem, das Pflegesystem, der Mangel wird aller Orten sichtbarer. Ein breites Bündnis aus über 90 Bildungsorganisationen verlangt jetzt ein Sondervermögen Bildung, „eine ausreichende Finanzierung, eine Ausbildungsoffensive für Lehrkräfte sowie Erzieherinnen und Erzieher, eine zukunftsfähige und inklusive Schule“.

Eine Strategie der Politik, gemeinsam mit Betroffenen – das wäre eine Vision

Meine These ist, es wird diese nicht geben. Es ist eine schöne Vision, aber auch eine Illusion zu glauben, dass die Parteien das tun werden. Die große Koalition müsste sich über das Spardiktat eines Lindner hinwegsetzen. Alle Ressorts werden zum Sparen verdonnert, mit einer Ausnahme. Der Kriegsetat, im Moment eher nicht Verteidigungshaushalt zu nennen, bekommt alles, was gefordert wird. Obwohl nachweislich der Wehretat in den vergangenen Jahren im Vergleich zu Bildung schon enorm gewachsen ist. Ausgerechnet wurde zum Beispiel ein Sanierungsbedarf an Schulen von 45 Milliarden Euro. Lehrkräfte, die heute nicht ausgebildet werden, hat man auch erst übermorgen in der Schule. Die Forderung nach multiprofessionellen Teams ist genauso richtig, aber man müsste die Professionen auch ausbilden. Krankenschwestern und Pflegerinnen auch, da tingeln Herr Heil und Frau Baerbock lieber nach Südamerika und werben dort die Fachkräfte ab. Wetten, dass diese weniger verdienen werden als die hier Ausgebildeten verdienen müssten, wenn man sie denn besser bezahlte? Über 150.000 Kräfte an Schulen fehlen in den nächsten zehn Jahren. Wer soll dieses Problem lösen? Unsere Volksvertretung wird immer für ein paar Jahre gewählt, über diesen Rahmen scheint man nicht hinausgucken zu können. Manchmal wechseln die Personen noch in der Wahlperiode oder treten zurück.

Warum wurde nichts getan? Es fehlen die Visionen

Und die Frage muss erlaubt sein: Warum passierte jahrzehntelang unter Beteiligung der SPD im Bund, in Bremen der SPD-Grünen-Linken im Bereich Bildung und Armutsbekämpfung nichts? Denn die Aussage gilt nach wie vor: Jedes fünfte Bremer Kind ist arm. Die soziale Lage entscheidet über die Bildung. Wie soll es da Bildungsgerechtigkeit oder gar Chancengleichheit geben? Wie wäre es denn mit einer höheren Besteuerung der Reichen, die unter anderem in den Pandemiejahren satte Gewinne gemacht haben? Warum wird darüber von denen nicht gesprochen, die das „Soziale“ oder das „Demokratische“ auf der Fahne haben? Was sagt unsere Bundesvorsitzende: „Die Lehrkräfte arbeiten bereits jetzt am Limit – und oft weit darüber hinaus, wie zahlreiche Arbeitszeitstudien belegen. Ein System, das so auf Verschleiß fährt, kollabiert früher oder später.“ (Maike Finnern) Und in die Krankheit zu gehen, das wäre nicht meine Vision. Also beteiligt euch an Protesten gegen die unterirdische Bildungspolitik. Übrigens: Dass der neue Koalitionsvertrag anders aussehen wird als der alte, auch das halte ich für eine Illusion.