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Schwerpunkt

Viele Mädchen gehen weniger als sieben Jahre zur Schule

Uganda: Der zähe Kampf einer Nichtregierungsorganisation um mehr Bildung

Foto: shutterstock

Uganda im Jahr 2023. Homosexualität kann mit dem Tode bestraft werden. Muhoozi Kainerugaba, Sohn des Präsidenten, kündigt an, Truppen zu entsenden und Moskau zu verteidigen, wenn es nötig sei. „Der Westen verschwendet seine Zeit mit seiner nutzlosen Pro-Ukraine-Propaganda. Russland, China, Afrika, Indien und Süd-Amerika werden in der Ukraine gewinnen. 75 Prozent der Menschheit werden gegen 15 Prozent gewinnen. Und in dem Land willst du dich weiter engagieren?“, fragt mich mein Freund Jürgen.

Junge Menschen wie Kabugho Everlyn (20) und Muhindo Norita (16) sind einer der Gründe, aus denen ich einmal im Jahr zu der kleinen gemeinnützigen Nichtregierungsorganisation (NGO) Rural Focus Initiative Uganda, kurz RuFI, im Südwesten Ugandas reise. Im Jahr 2016 bat die RuFI den Senior Experten Service (SES) in Bonn um Unterstützung beim Aufbau einer Einrichtung der „informellen beruflichen Bildung“. Als ehemaliger Berufsschullehrer begleite ich seitdem die RuFI dabei mit meinen Talenten, Kenntnissen, Erfahrungen sowie mit Ausstattung, Geld und Hilfe zum Beispiel von Lehrkräften und Auszubildenden an der Bremer Berufsschule für Großhandel, Außenhandel und Verkehr.

Schulabbruch mit Beginn der Menstruation

Uganda ist ein junges Land. Das Durchschnittsalter liegt bei 15 Jahren. Es gelten sieben Jahre Schulpflicht. Für viele Kinder, besonders für Mädchen, ist schon vorher Schluss. So auch für Muhindo Norita. Sie verlor ihre Eltern sehr früh und wuchs bei ihrer Großmutter auf. Nach der 5. Klasse konnte diese die Kosten für den Schulbesuch nicht mehr aufbringen. In den ländlichen Regionen bricht etwa die Hälfte der Mädchen die Schule vor der Klasse 7 ab. Oft ist der Schulabbruch mit dem Beginn der Menstruation verbunden. Es fehlen bezahlbare Hygieneprodukte. Während der Coronapandemie blieben die Schulen 83 Wochen lang geschlossen. Laut dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (Unfpa) wurden während des Lockdowns in Uganda fast 650.000 Teenagerschwangerschaften registriert. Mehr als doppelt so viele wie 2019.

Hilfe von der Rural Focus Initiative

Muhindo Norita absolviert zurzeit eine sechsmonatige Nähausbildung bei der RuFI. Hier erlernen junge Frauen, oft alleinstehende Mütter, grundlegende handwerkliche Fähigkeiten wie das Herstellen von Körben aus Kunststoff und Naturfasern und das Nähen. Unter ihnen war 2021 auch Kabugho Everlyn. Sie konnte die Schule sogar bis zur Klasse 11 besuchen, war Klassensprecherin und hat einen guten Abschluss. Doch dann fehlte für eine geordnete berufliche Ausbildung das Geld. Sie suchte sich Arbeit als Putzfrau in Jinja, gut 450 Kilometer von zu Hause entfernt. Als sie von der Möglichkeit hörte, dass die RuFI anbietet, die Kosten der Ausbildung als Näherin auch nach dem Abschluss zu zahlen, entschied sie sich für diesen Weg. Ich traf sie im Februar 2023 vor der neuen Ausbildungswerkstatt. Diese ist aus alten Plastikflaschen gemauert und seit der Fertigstellung ein Anziehungspunkt für viele Neugierige aus der Gegend. „An der RuFI gefällt mir, dass hier alle etwas für die Umwelt tun und dass sich das Team während des Trainings um jede Einzelne von uns kümmert“, sagt sie und belädt ein AfricroozE-Bike mit zwei schweren Wasserkanistern. Sie liefert gegen Bezahlung Wasser aus. Damit zahlt sie ihre Ausbildung ab. „Machen Frauen in Deutschland solche Arbeit auch?“, fragt sie und erzählt, dass sie gerne Fahrradmechanikerin werden möchte. Sie hält das AfricroozE-Bike selbst in Schuss. Eigentlich eine „Männerarbeit“, aber das ist ihr egal. Sie wird im Sommer ein Praktikum bei dem Fahrradimporteuer FABIO in Uganda machen und sich anschließend für ein Stipendium des Deutsch-Afrikanischen Jugendwerkes bewerben.

Ohne Spenden keine Unterstützung

Die RuFI ist ein wichtiger sozialer Treffpunkt in der Region Kasese. Mit sozialer Arbeit lässt sich allerdings nichts verdienen. So versucht die NGO durch den Verkauf von Produkten, die die Trainees nach der Ausbildung gegen Bezahlung herstellen, Einkommen zu erzielen. „Wir nähen Schuluniformen, die ja jetzt wieder gebraucht werden. Und Körbe verkaufen wir hier auf dem Markt. Einige gibt es auch schon in Deutschland, Österreich, Kanada und den USA. Die Spenden für die Körbe sind unsere Haupteinnahmequelle“, so Tushabe Joy Expedit, die Projektleiterin. „Wir bemühen uns um weitere Einkünfte, bauen Lebensmittel für das Team selber an. Doch ohne Unterstützung kommen wir nicht klar. Noch nicht“, ist sie optimistisch.

„Ja, ich mache dort weiter“

Ja, ich stelle mir auch immer wieder die Frage, ob bei der RuFI der richtige Ort und unsere Zusammenarbeit die richtige Art und Weise der Begleitung und Unterstützung ist. Niemand hier hat sich ausgesucht, in einem Land mit postkolonialer Geschichte und deren gegenwärtigen Folgen zu leben. Ebenso wenig habe ich mir ausgesucht, in einem Land mit Kolonialgeschichte und einer durchaus problematischen Wirtschafts- und Außenpolitik aufzuwachsen. Darum ist meine Antwort an Jürgen: „Ja. Ich mache dort weiter. Denn ich kann mich entscheiden, einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen junger Menschen zu leisten und sie auf ihrem Weg in eine bessere wirtschaftliche Zukunft zu begleiten. Das kann ich hier in Deutschland oder anderswo auf der Welt tun. So lange, bis es Bildung für alle gibt. Was immer der Sohn eines Präsidenten auch sagen mag.“

  Weitere Informationen unter: www.ses-bonn.de;  www.rufi-uganda.org; www.fabio.or.ug oder bei  Claus Oellerking: claus.oellerking [at] gmail [dot] com

Der Senior Experten Service (SES) ist die Stiftung der Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit. Seit 1983 fördert der SES die ehrenamtliche Weitergabe von Fachwissen und Berufserfahrung – in allen Branchen und Sektoren. Mit etwa 60.000 ehrenamtlichen Einsätzen in 160 Ländern ist der SES eine der bedeutendsten Organisationen seiner Art. Träger des SES sind der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Derzeit sind beim SES mehr als 12.000 Expertinnen und Experten registriert. Sie bringen das Fachwissen aus über 50 Branchen mit. Der Altersdurchschnitt liegt bei 70 Jahren, der Frauenanteil bei 23 Prozent. Finanzielle Unterstützung erhält der SES von der öffentlichen und der privaten Hand: vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und von vielen unternehmensnahen Stiftungen.

Kontakt Bonn: Senior Experten Service (SES) Stiftung der Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit
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