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Schwerpunkt

Verunsicherung und zusätzliche Arbeit

Abitur in Zeiten von Corona

Die Abiturprüfung 2021 ist die zweite Abiturprüfung, die unter Corona-Bedingungen durchgeführt werden muss. Um einen Ausgleich für den Ausfall von Unterricht aufgrund von Schulschließungen, Halbgruppenunterricht und Quarantänezeiten zu schaffen, werden von der senatorischen Behörde, wie im letzten Abiturdurchgang 2020, auch in diesem Jahr zwei Prüfungstermine angeboten und damit den Schüler:innen suggeriert, Zeit für die Vorbereitung auf die Prüfung zu gewinnen. Tatsächlich wird dieses Ansinnen nur sehr eingeschränkt erreicht. Der „sogenannte prüfungsvorbereitende Unterricht“ (Mitteilung 95/2020 der Bildungssenatorin) muss aus Gründen der Quarantäne (3 Wochen Quarantäne vor den Prüfungen) in Distanz erfolgen und verlängert sich lediglich um maximal sechs Tage, weil dieser parallel zu den schriftlichen Abiturprüfungen des ersten Termins (3. bis 12. Mai) durchgeführt werden soll. Es muss nicht näher erläutert werden, dass dieses Vorhaben kaum einzulösen ist, weil ein Großteil der Kolleg:innen mit der Durchführung der schriftlichen Prüfungen beschäftigt ist und nicht zusätzlich prüfungsvorbereitenden Online-Unterricht anbieten kann und außerdem klar ist, dass der Distanzunterricht den Präsenzunterricht nicht ersetzen kann.

Erhöhte Belastung

Das Angebot zwischen zwei Prüfungsterminen zu wählen, hat nicht nur für Verunsicherung unter den Schüler:innen gesorgt (ein späterer Prüfungstermin führt auch zu einer verzögerten Abschlussvergabe und erschwert damit möglicherweise alle Planungen für einen Studienbeginn, Auslandsaufenthalt oder die Bewerbung für ein Soziales Jahr oder macht ein solches Vorhaben ganz unmöglich), sondern führt zu einer erheblichen Mehrarbeit von Kolleg:innen, die im zu Ende gehenden Schuljahr ohnehin mit der Erstellung digitaler Unterrichtmaterialien und der Durchführung von Halbgruppen- Distanz- und Hybridunterricht weit über Gebühr belastet waren und sind.

Verschärfend kommt durch die Festlegung des zweiten Prüfungstermins eine erhebliche Mehrarbeit auf die prüfenden Kolleg:innen zu. Zum einen verkürzt sich die Korrekturzeit des zweiten Durchgangs von vier auf weniger als drei Wochen, was aber durch die Festlegung eines einzigen Abgabetermins für alle Abiturklausuren am 28.06. weitestgehend ausgeglichen wird. Zum anderen erfordert das Einarbeiten in zwei Prüfungen und damit die Korrekturvorbereitung zusätzlichen Zeitaufwand. Eine Kritik an den oft unpräzisen und unvollständigen Erwartungshorizonten der Prüfungsvorschläge in meinen Fächern Mathematik und Physik erspare ich mir an dieser Stelle.

Widersprüchliche Vorgaben

Wie in jedem Jahr stellt die senatorische Behörde für jedes Fach zwei Prüfungsvorschläge (Haupt- und Nachschreibetermin) bereit. Werden von einer Schüler:in beide Prüfungstermine unverschuldet versäumt, ist es Aufgabe der Schule, kurzfristig einen dritten Prüfungsvorschlag zu erarbeiten. Die Zuständigkeit für die Erstellung einer solchen Klausur ist klar in der Verordnung über die Abiturprüfung im Lande Bremen (AP-V) geregelt, und zwar in § 6 Absatz 3. Dass pandemiebedingt dieser Fall, nicht nur in Ausnahmefällen, eintritt, ist sehr wahrscheinlich. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass die Erarbeitung von Abiturprüfungsvorschlägen in der Regel ein Jahr Vorlauf und Ressourcen in Form bezahlter Arbeit von Fachprüfungskommissionen erfordert. Der Hinweis auf die verschiedenen Aufgabenpools der Länder mag die Arbeit dabei ein wenig erleichtern, ersetzt aber keinen vollständigen Prüfungsentwurf.

Über den Umgang mit Nachschreiber:innen finden sich in den Mitteilungen widersprüchliche Angaben. Einerseits werden die Schulleitungen aufgefordert, dem Landesinstitut für Schule Schüler:innen zu melden, die unverschuldet den ersten Termin versäumt haben, damit diese die Prüfung im zweiten Prüfungszeitraum nachholen können, andererseits heißt es in der Mitteilung 93/2021 vom 19. März: „die Senatorin für Kinder und Bildung hat den Zeitraum für die schriftlichen Nachprüfungen in zentraler sowie dezentraler Form an den zur Allgemeinen Hochschulreife führenden Schulen für das Schuljahr 2020/2021 wie folgt festgelegt auf Samstag, 3. Juli bis Donnerstag 8. Juli.“ Letzteres bedeutet, dass für versäumte Hauptprüfungstermine in jedem Fall in kürzester Zeit ein dritter Prüfungsvorschlag von den betroffenen Kolleg:innen aus dem Ärmel geschüttelt werden muss, im Falle einer unverschuldet versäumten Nachprüfung sogar ein 4. Prüfungsvorschlag. Dieser Termindruck ist weder der Korrektur noch der Prüfungsabnahme zuträglich und damit nicht im Sinne der Prüflinge. Qualität sieht anders aus!

Unterrichtsausfall und Verzögerungen

Die Durchführung der schriftlichen Abiturprüfungen größtenteils in Halbgruppen erfordert doppelten Personal- und Raumbedarf. Durch die Festsetzung eines zweiten Prüfungstermins werden die Ressourcen noch einmal verdoppelt, was zu einem erheblichen Unterrichtsausfall in der Einführungsphase und Qualifikationsphase I führt. Auch hier sind vor allem die Schüler:innen, aber auch die Kolleg:innen die Leidtragenden. Unabhängig von der Anzahl der Prüfungen führte und führt dieses Verfahren zu zusätzlicher Beratungs-, Planungs- und Organisationsarbeit.

Ein Ausgleich für die zu leistende Mehrarbeit der prüfenden Kolleg:innen ist durch die Festlegung auf zwei Prüfungstermine von der senatorischen Behörde nicht vorgesehen. Im Gegenteil! Ohne Abstimmung und Rücksprache mit betroffenen Kolleg:innen und Schulleitungen soll die Zeugnisausgabe für die an Nachprüfungen teilnehmenden Abiturient:innen bis zum 23. Juli erfolgen (Mitteilung 93/2021). Der erste Ferientag ist aber der 22. Juli! Folglich heißt das, dass Lehrkräfte gegebenenfalls in den Ferien noch Prüfungen abnehmen müssen.

Hin und Her beim Ausgleich

Aber auch für Schüler:innen ist die Situation, unter der die Abiturprüfungen stattfinden, alles andere als einfach. Es ist pandemiebedingt viel Unterricht ausgefallen. Viele Abiturient:innen fühlen sich unzureichend auf die bevorstehenden Prüfungen vorbereitet. Um den Schüler:innen in dieser Frage entgegen zu kommen, hat die Bildungsbehörde verschiedene kompensatorische Maßnahmen für die Abiturprüfung im Schuljahr 2020/2021 beschlossen.

Dazu zählen unter anderen die Verlängerung des Zeitraums für prüfungsvorbereitenden Unterricht, die Gewinnung von mehr Lernzeit durch die Verschiebung der Prüfungstermine, die Verlängerung der Arbeitszeit um 30 Minuten für alle schriftlichen Abiturprüfungen, in Mathematik die Wahlfreiheit zwischen den Themenbereichen Stochastik und Analytische Geometrie/Lineare Algebra und die zusätzliche Nutzung von Hilfsmitteln. Diese Maßnahmen und die ständigen Veränderungen von Terminen, Benotungsgrundlagen und Durchführungsbedingungen, die laufend von Nachbesserungen und Klarstellungen begleitet waren, haben für viel Verwirrung und zusätzliche Arbeit gesorgt.

Normales Abitur?

Die Angst unter den Schüler:innen, in diesem Schuljahr ein Abitur zweiter Klasse zu erwerben, ist groß. Mittlerweile ist absehbar, dass die Abiturprüfungen bundesweit unter Hygieneauflagen durchgeführt werden können. Eine Absage der Prüfungen aufgrund eines dramatischen Infektionsgeschehens kann zu diesem Zeitpunkt weitestgehend ausgeschlossen werden. In einigen Bundesländern sind die Abiturprüfungen bereits abgeschlossen. Ein Abitur auf der Grundlage von Durchschnittsnoten der Qualifikationsphase wird es also nicht geben. Ein Makel bleibt dennoch zurück. Die Abiturient:innen haben ein Jahr lang Distanz-, Hybrid- und andere improvisierte Unterrichtsformen erlebt. Allein die mit dem Abitur verbundenen Rituale (Nulltagefeier, Abschlussfahrten, Parties…) wird es auch in diesem Jahr nicht geben. Gefühlt ist es kein richtiges Abitur.