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Schwerpunkt

„Über einen Ressortwechsel zu Arbeit oder Wirtschaft nachdenken“

Visionen für die Berufliche Bildung im Land Bremen Interview mit Peter Hons, dem Vorsitzenden des Arbeitskreises der Direktorinnen und Direktoren an Beruflichen Schulen im Lande Bremen. Er leitet das Schulzentrum Grenzstraße.

Foto: privat

Die Bildungsbehörde zitiert auf ihrer Homepage unter „Beruflicher Bildung“ im ersten Satz eine 13 Jahre alte Studie. „Bremen ist gut aufgestellt und belegt Platz 1 im Bildungsmonitor 2010“. Wie sieht es aktuell aus?

Mittlerweile ist einige Zeit ins Land gegangen. Aktuell sind wir etwas abgerutscht. Aus meiner Erinnerung liegen wir jetzt im guten Mittelfeld. Gut aufgestellt sind wir aber schon, weil wir einer langfristigen Strategie folgen.

Ihr Arbeitskreis stellt in einem Positionspapier (März 2023) aber dennoch eine deutliche Unterfinanzierung fest – auch im Vergleich zu anderen Stadtstaaten. Sie bitten den Senat – so die Formulierung -, die fehlenden 27,6 Millionen Euro auszugleichen. Ist eine Bitte nicht etwas milde?

Wir sind nicht in der Position, Forderungen zu stellen. Das ist nicht unsere Rolle. Wir sehen uns als konstruktiver Mahner. Und ich sehe uns in der Diskussion, wie berufliche Bildung in Zukunft gestaltet werden soll, in einer wichtigen Rolle. Diese wichtige Rolle wollen wir durch das Positionspapier untermauern. Was wir dort aufgeschrieben haben, ist die kompakte Quintessenz der Diskussion der letzten Jahre. Hervorgerufen durch den gemeinsam mit dem Referat Berufliche Bildung in der Behörde initiierten Prozess zur Gewinnung einer Vision. Die Frage dabei war: Wie sollen die Berufsbildenden Schulen 2035 aufgestellt sein? Unsere Vision fußt auf einem humanistischen Menschenbild. Dabei steht der einzelne Mensch im Mittelpunkt, der etwas Sinnhaftes tun will. Egal ob es die Schülerin, der Schüler, die Lehrkraft, die Leitungskraft oder die Kraft in der Behörde ist.

Noch mal zur Unterfinanzierung. Sie besteht seit Jahrzehnten. Der Arbeitskreis fordert jetzt schrittweise eine Verbesserung. Trauen Sie den Verantwortlichen und Geldgebern nicht zu, sofort für eine ausreichende und auskömmliche Ausstattung zu sorgen?

Ich glaube, wir müssen realistisch sein. Das bedeutet wahrzunehmen, dass Bremen ein Haushaltsnotlageland ist und weiter bleiben wird. Jetzt mit Forderungen aufzutreten, die eine sofortige Umsetzung beinhalten, wäre aus meiner Sicht illusorisch. Wir erreichen die Verantwortlichen viel besser, indem wir ihnen die Wege aufzeigen, wie sie uns unterstützen können, dass wir die Schulen dorthin bringen, wo sie im Sinne einer zeitgemäßen Bildung stehen müssen.

Im Bereich der Schulleitungszeit besteht aus Sicht des Arbeitskreises dringender Handlungsbedarf. Sie plädieren für eine Vervierfachung der Leitungszeit, 43 zusätzliche A 15-Stellen und 224 A 14-Stellen. Grundlage Ihrer Zahlen ist der Vergleich mit dem Stadtstaat Hamburg. Sehen Sie Chancen auf Realisierung in Bremen?

Ich denke schon. Finanziell sind die Forderungen berechtigt, da wir unterfinanziert sind und pro Schüler:in zu wenig Geld bekommen. Wir haben in Bremen ein starres Funktionsstellenraster. Wir wollen stattdessen einen Funktionstellenrahmen mit dem Hauptkriterium „Anzahl der Personen, die eine Leitungskraft betreut“. Andere Länder definieren so die Anzahl der Funktionsstellen. Eine Vervierfachung der Leitungszeit klingt nach viel, zeigt aber auch, wie weit wir schon in Rückstand geraten sind. 

Der Arbeitskreis möchte die Berufliche Bildung in der Behörde höherrangig angesiedelt wissen. Aus dem Referat soll eine Abteilung werden. Ist eine solche Strukturveränderung realistisch?

Das kann ich nicht abschließend einschätzen. Ich glaube aber, dass es nicht unrealistisch ist, weil allen mittlerweile klar geworden ist, dass es nicht reicht, die Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung zu postulieren und im Haus der Senatorin selber nicht bereit zu sein, diese institutionelle Gleichrangigkeit herzustellen. Das muss sich verändern. Und man sollte sich auch ganz grundsätzlich überlegen, wie berufliche Bildung in Bremen zu verankern ist. Durch eine verbesserte institutionelle Verankerung könnte eine Dynamik in der beruflichen Bildung erzeugt werden. Das ist unser Ziel. Wir wollen unsere Vision erreichen.

Sie sprechen die fehlende Dynamik an. In Ihrem Papier wird Hamburg als positives Beispiel genannt. Da fließt mehr Geld. Laufen die Prozesse in Bremen zu langsam?

Wir denken von der falschen Richtung. Wir denken vom Kleinkind bis zum Abiturienten und dann verlässt uns plötzlich die Vorstellungskraft. Was uns fehlt ist, uns vorzustellen, wofür wir die Jugendlichen und die jungen Erwachsenen ausbilden. Wir bilden sie für den Arbeitsmarkt aus. Und was fehlt, ist die Perspektive, wie wir den Arbeitsmarkt mit qualifizierten Arbeitskräften versorgen können und welche Rolle dabei die Berufsbildenden Schulen spielen. Um diese Perspektive zu stärken, haben wir angeregt, darüber nachzudenken, die Ressortanbindung zu verändern. Die Berufliche Bildung könnte dann nicht mehr im Bereich Bildung angesiedelt sein, sondern bei Arbeit oder Wirtschaft. Die Abnehmer der Absolvent:innen unserer Schulen könnten so motivierter sein, sich an der qualifizierten Entwicklung und der Ausstattung der beruflichen Bildung zu beteiligen. Um dadurch eine Dynamik zu erzeugen, die dazu führt, dass die Qualität weiter steigt. Das würde ich im Bereich einer Vision verankern. Das ist vielleicht nicht kurzfristig realistisch, aber dieser Gedanke hat schon für Aufmerksamkeit gesorgt.

In Bremen bekommen viele Schüler:innen – mit oder ohne Abschluss – keinen Ausbildungsplatz. Sie belegen dann oft Bildungsgänge im sogenannten Übergangssystem. Wie können Berufsbildende Schulen helfen, dieses System zu verkleinern?

Wir, und die Bildungsbehörde mit uns, verfolgen gerade eine komplette Umstrukturierung des Übergangssystems. Dabei steht die Überlegung im Mittelpunkt, wie können wir Schüler:innen fit machen für das Leben oder den Ausbildungsmarkt, und das unabhängig von Schulabschlüssen. Welche Kompetenzen brauchen die Schüler:innen, damit sie erfolgreich sein können. Dazu gehören eine stärkere individuelle Diagnostik und eine Förderung, die genau darauf aufbaut. Die Förderung muss gezielter die Defizite aufgreifen und vorhandene Kompetenzen weiterentwickeln.

Dafür braucht man viele neue Kräfte und Professionen in den Schulen.

Genau. Die Frage lässt sich aber noch nicht präzise beantworten, weil die Konzeption für die Umstrukturierung gerade erst im Entstehen ist. Das Ziel ist, bis 2026 ein umsetzbares Ergebnis zu haben.