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Schwerpunkt

Schon wieder das Ende der Arbeit?

Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt und die Frage der Mitbestimmung.

Daniel Kühn | Berater Digitalisierung der Arbeitswelt für die Arbeitnehmerkammmer Bremen | Foto: Privat

Kaum hat ChatGPT die mediale Aufmerksamkeit auf das Thema „Künstliche Intelligenz (KI)“ gelenkt, schon bilden sich erneut Mythen über die Automatisierung in der Arbeitswelt und deren Folgen. Utopie oder Dystopie? Wird Arbeit jetzt humaner oder stehen wir kurz vor Massenarbeitslosigkeit? – Im Grunde verläuft der Diskurs damit ähnlich wie in allen vorangegangenen Automatisierungswellen. Ein Fazit deshalb gleich vorweg: Die Arbeit wird uns auch durch KI nicht einfach ausgehen – das sieht auch DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi so, die solche Befürchtungen schlicht für „Quatsch“ hält.

Grundsätzlich sind exakte Prognosen natürlich schwierig, wenn es um die Frage geht, welche Beschäftigungseffekte der breite Einsatz von KI haben wird. Denn Arbeit umfasst auch immer nicht-quantifizierbare Anteile, etwa Erfahrungswissen oder versteckte Routinetätigkeiten. Zudem lassen sich viele Rahmenbedingungen nicht seriös voraussehen – rechtliche Regulationen etwa oder wirtschaftliche und ökologische Entwicklungen. Im historischen Rückblick sehen wir aber: Wann immer Kommunikations- oder Automatisierungstechnologien neu eingeführt wurden, sind parallel stets neue Aufgaben entstanden. Bereits jetzt gibt es Hinweise auf neue Berufsprofile und Jobs durch Digitalisierung, welche sich in etwa auf dem Niveau der wegautomatisierten bewegen.

Polarisierung der Arbeitsmärkte

Langfristig wird KI in den meisten Jobs vor allem als unterstützendes Werkzeug zu finden sein. Und das ist gut, denn sie kann Beschäftigte zum Beispiel bei wiederholenden Tätigkeiten entlasten und dadurch zum Arbeitsschutz beitragen oder etwa arbeitsintegriertes Lernen in Arbeitsabläufe bereits „einprogrammieren“. Außerdem birgt KI-Automatisierung Potenziale, einem bereits weit fortschreitenden Fachkräftemangel zumindest in einzelnen Branchen entgegenzuwirken. Ganze Berufsbilder werden ohnehin kaum ersetzbar sein, weil die Technik nicht so intelligent ist, wie Marketing und Medienhype dies oft darstellen. KI funktioniert nur dann gut, wenn sie für genau umrissene Teilaufgaben eingesetzt wird. Eine umfassende Substitution von Arbeit ist also nicht zu erwarten.

Stellenabbau droht

Zu beobachten ist jedoch auch eine tendenzielle Polarisierung der Arbeitsmärkte. Denn komplexe Technologie erfordert einerseits hochspezialisierte Beschäftigte zur Entwicklung und Wartung. Andererseits steigt der Bedarf an niedrig Qualifizierten, die der KI nur zuarbeiten – mit erwartbaren Folgen wie Dequalifizierung oder niedriger Eingruppierung. Die Arbeitsbedingungen der Plattformökonomie können dabei als warnendes Beispiel gesehen werden. Bereits jetzt sind sie geprägt durch algorithmische Steuerung, digitale Vereinzelung und erodiertem Arbeitnehmer- und Betriebsbegriff. Gute Arbeit ist in solchen Zusammenhängen kaum zu finden. Konkret von Stellenabbau bedroht sind Berufsbilder mit mittlerer bis höherer Qualifikation, die sich derzeit Fragen nach ihrem Rationalisierungspotenzial durch KI stellen lassen müssen. Die Liste beinhaltet unter anderem Übersetzer:innen, Programmierer:innen, Finanzanalyst:innen, Designer:innen, Rechtsberater:innen und auch Bildungsberufe – alle Berufsgruppen, in denen neben Kreativität bis zu einem gewissen Grad quantifizierbare Tätigkeiten anfallen.

Digitale Bildung als Querschnittsthema

Die Doppelgesichtigkeit der KI zeigt sich in ihrer Dynamik exemplarisch im Zusammenhang mit (Weiter-)Bildung. Eine zu Teilen durch Algorithmen bestimmte Arbeitswelt erfordert ein bisher nicht vorhandenes Grundverständnis von digitalem Leben und den damit einhergehenden Anforderungen wie beispielsweise Plausibilitätsprüfungen. Neben konkreten aufgabenbezogenen Qualifizierungen sollte digitale Bildung als Querschnittsthema fokussiert werden, nicht nur in der Schul- oder Hochschulbildung, sondern auch in der Berufs- und Breitenbildung für jegliche Altersgruppen. Zudem wird es im Bildungssektor künftig darauf ankommen, KI-gestützt zu arbeiten. Bei Konzeption und Durchführung von Bildungsangeboten kann Unterstützung durch KI hilfreich sein, man denke z.B. an vernetzte Literaturrecherche oder die Modularisierung von Lehrplänen. Bisher nicht abzusehen sind dabei die lerntheoretischen Aspekte, inwiefern hier Automatisierung zu Verwerfungen in der Entwicklung von Kompetenzen führen kann etc., hier ist die humanwissenschaftliche Forschung gefragt, Antworten zu finden.

Mitbestimmung und selbstlernende Algorithmen

Es gilt also, die Potenziale, die im unterstützenden Einsatz von KI liegen, zu heben und nicht zu viel den Algorithmen zu überlassen, indem man sie unreguliert entscheiden lässt. Hierbei kommt auf der konkreten Umsetzungsebene Betriebs- und Personalräten eine zentrale Bedeutung zu. Sie sind mit dafür verantwortlich, dass bei der Einführung von KI im Unternehmen der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht ausschließlich der Innovationsgedanke. Dabei zeigen sich aber neue Herausforderungen, die die etablierte Mitbestimmungspraxis teilweise infrage stellen. Denn grundlegend befördert fortschreitende Digitalisierung entkollektivierende Tendenzen, wie Zerstückelung von Arbeitsaufgaben oder zeitliche und räumliche Entgrenzung und Vereinzelung. Dabei hat im Speziellen KI durch den Einsatz von selbstlernenden Algorithmen die zusätzliche Besonderheit, dass sie nie völlig transparent ist und sich stark fortentwickeln kann.

Mehr Agilität wagen

Die im Betriebsverfassungsrecht verankerten Mitbestimmungsrechte können zwar auch in Bezug auf KI gute Anwendung finden, werden aber der Dynamik des Phänomens in der Praxis kaum gerecht. Zudem stoßen Interessenvertretungen bei der künftigen Menge an Regulierungsbedarfen wohl bald an ihre Kapazitätsgrenzen. Darum wird es darauf ankommen, inwiefern sich die Sozialpartner:innen künftig über bestehende Mitbestimmungspraxis hinaus sortieren werden. Es sollte nicht nur im Interesse von Betriebs- und Personalräten, sondern auch von Unternehmen sein, die Mitbestimmung nicht erst kurz vor einer KI-Einführung mit ins Boot zu holen, sondern bereits im Frühstadium der Planung und Folgenabschätzung sowie bei der laufenden Evaluation. Also weg vom rein anlassbezogenen, hin zum stetigen Mitbestimmen – im Idealfall in einer gemeinsamen dauerhaften Projektgruppe für gute IT.

Die Mitbestimmung von agilen Softwareprodukten bedingt, dass auch Interessenvertretungen agiler handeln müssen, um hier auf Augenhöhe zu bleiben. Sei es in Form von neuer interner Organisation der Betriebsratsarbeit (z.B. Themenspezialisierung, Arbeitsgruppen mit internen und externen Expert:innen), dem Nutzen von digitalen Werkzeugen oder der Beschäftigung mit prozessorientierten Betriebsvereinbarungen.

Kritische Prüfung des BetrVG

Letztlich wird hier der politischen Rahmensetzung hohe Bedeutung zukommen. Die EU hat sich mit dem bald ausformulierten AI-Act bereits auf den Weg gemacht, einen Regulierungsrahmen für KI-Systeme zu schaffen, der neben Einschätzungen zur Kritikalität verschiedener KI-Formen hoffentlich anwendbare Transparenz- und Zertifizierungspflichten beinhalten wird. Zudem bleibt die Forderung des DGB, das Betriebsverfassungsgesetz einer kritischen Prüfung zu unterziehen, im Lichte der Verbreitung von KI höchst aktuell, insbesondere was prozedurale Rechte betrifft sowie Fragen von Personalplanung, Beschäftigungssicherung und Qualifikation.

 

Veranstaltungshinweis:

„Die Blackbox zur Startbox machen – Erste Schritte zur KI-Mitbestimmung gehen“, Montag, 6. November, 14 – 17 Uhr, Kultursaal Arbeitnehmerkammer, Bürgerstr. 1 Anmeldung unter mitbestimmung [at] arbeitnehmerkammer [dot] de