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Bildung und Gesellschaft

Rassismuskritik

Eine entscheidende Handlungsoption für eine Bildungsgewerkschaft

Umgang mit Rassismus in Deutschland

„Rassismus ist Alltag in Deutschland. Er betrifft nicht nur Minderheiten, sondern die gesamte Gesellschaft, direkt oder indirekt. Das Thema beschäftigt die Menschen emotional, wühlt sie auf und lässt sie über lange Zeit nicht mehr los (1) …“, sagte die Direktorin des DeZIM-Instituts, Prof. Dr. Naika Foroutan am 05. Mai 2022 zur Vorstellung der Auftaktstudie zum Nationalen Diskriminierungs -und Rasssimusmonitor (NaDiRa) des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM).

Die rassistischen Anschläge in den 90iger Jahren in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen haben sich tief in das öffentliche Bewusstsein eingraviert. Die frühen Jahre der Wiedervereinigung waren ebenfalls gekennzeichnet von offenem rassistischem Hass im öffentlichen Raum. Obwohl die Handschrift der rassistischen Gewalt bei diesen Taten in Ost- und Westdeutschland eindeutig war, wurde der „Rassismus“ als Begriff häufig in den Debatten vermieden. Stattdessen wurde vor allem über „Fremdenfeindlichkeit“, „Ausländerfeindlichkeit“ oder „Fremdenhass“ gesprochen und die eindeutig rassistisch motivierten Morde als Taten von rechtsextremen Randgruppen dargestellt.

Der Mord an Marwa el-Sherbini und der Mordversuch an ihrem Mann Elwy Okaz 2009 waren nicht nur unfassbare rassistische Taten in einem deutschen Gerichtssaal, sondern zugleich ein aussagekräftiger Beleg auch für die Unfähigkeit der Medien und Öffentlichkeit sich mit dem Rassismus in Deutschland zu beschäftigen. Dieser Fall wurde erst nach Protesten im Ausland vor allem in der ägyptischen Heimatstadt der Betroffenen, Alexandria, nach Interventionen muslimischer und migrantischer Gruppen in der Bundesrepublik sowie nach internationaler Aufmerksamkeit überhaupt wahrgenommen und dann auch als rechtsextreme Tat bezeichnet. „Ihre Vorgeschichte, in welcher der Täter mehrfach und vor verschiedenen Zeuginnen und Zeugen seinen ‚Hass auf Muslime‘ äußerte und dies aktenkundig wurde, wird zunächst unterschlagen, dann verharmlost (2)“

Die Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) an Migranten zwischen 2000 und 2006, die eine andere Dimension rassistischer und terroristischer Gewalt offenbarten, zeigten, „wie tief nicht nur Einzeltäter*innen, sondern zum Teil auch staatliche Strukturen – beispielsweise der Verfassungsschutz – hier verstrickt waren“(3). Auch die Verächtlichmachung in der Presse („Döner-Morde”) und die Tatsache, wie die Familien der migrantischen Opfer selbst unter Tatverdacht gerieten, waren bezeichnend und beschämend. Auch diese Morde wurden als rechtsextremistisch, die Täterinnen und Täter als Nazis bezeichnet. „Im Unterschied zum Mörder von Marwa el-Sherbini waren die NSU-Mitglieder fest verankert in rechtsextremen Strukturen und Argumentationen“ (4).

Von Verharmlosung, Verortung und Verschiebung zur öffentlichen Aufmerksamkeit des Themas

Die Logik des Rassismus in der Zeit war: Rassismus gehört entweder zur Vergangenheit (Nationalsozialismus) bzw. zum anderen Teil der Erde (Amerika/Südafrika) oder eben nur zu den rechtsextremen Randgruppen. Hat sich hier etwas geändert?

Die weltweite antirassistische Protestbewegung Black Lives Matter nach dem rassistisch motivierten Mord an George Floyd in USA und die Proteste in Deutschland, welche die Morde in Hanau, Kassel und Halle anprangerten, offenbarten nicht nur erneut die Gewaltdimension des Rassismus, sondern haben auch eine öffentliche Debatte ausgelöst, die anders als bisher deutlich macht, dass Rassismus ein strukturelles und ein gewichtiges Problem in der deutschen Gesellschaft ist.

Diese Entwicklung zeigt nicht nur einen diskursiven Wandel, sondern auch eine starke öffentliche Aufmerksamkeit, die zu einem wichtigen Schritt in der Politik geführt hat: Die Bundesregierung hat anerkannt, dass Rechtsextremismus und Rassismus ernsthafte und immanente Bedrohungen für die deutsche Demokratie darstellen. Vor diesem Hintergrund hat sie 2020 einen Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus eingerichtet.

Der Abschlussbericht dieses Ausschusses ist mit den darin vorgeschlagenen Maßnahmen vom Bundeskabinett am 12. Mai 2021 beschlossen worden (5). Hier hat der Ausschuss für die Umsetzung des von ihm vorgeschlagenen Vier- Punkte-Maßnahmenkatalogs (6) mehr als 1 Milliarde Euro bis 2024 veranschlagt. Dieser gilt als der bisher entscheidende politische Schritt in dem Zusammenhang in Deutschland.

Der weitere wichtige Schritt ist bereits im Zuge dieses Beschlusses auf der wissenschaftlichen Ebene in die Tat umgesetzt worden: das Deutsche Zentrum für Integrations- und Rassismusforschung (DeZIM) wurde beauftragt, „die Ursachen, das Ausmaß und die Folgen von Rassismus in Deutschland wissenschaftlich zu untersuchen“ (7). Das DeZIM hat dazu im Jahr 2020 den Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) gestartet und auch die neue Bundesregierung hat das Thema auf ihre politische Agenda gesetzt.

NaDiRa stellt die bisher umfangreichste Auseinandersetzung mit dem Thema in Deutschland dar: er soll dauerhaft Erhebungen zu den Einstellungen in der Gesamtbevölkerung und Perspektiven der Betroffenen durchführen und Ausmaß, Ursachen sowie gesellschaftliche Folgen von Rassismus analysieren. Am 5. Mai 2022 veröffentlichte NaDiRa- die Auftaktstudie „Rassistische Realitäten“, die als erster Meilenstein auf dem Weg zu einem regelmäßigen Rassismusmonitor bezeichnet wird.

„Auf Grundlage dieser Auftaktstudie lassen sich erste wichtige Erkenntnisse im Hinblick auf das Ausmaß von Rassismus und rassistischer Wissensbestände, das vorhandene Problembewusstsein und das existierende Mobilisierungspotenzial in der Gesellschaft gewinnen, um Rassismus aktiv entgegenzuwirken“, so die Autor*innen der Studie. Damit hat das DeZIM, was die Auftaktstudie sichtbar macht, mit NaDiRa seine wissenschaftliche Kompetenz unter Beweis gestellt und die Basis für die Erforschung des Rassismus in Deutschland geschaffen.

Durch die ermutigende Entwicklung in der politischen sowie wissenschaftlichen Ebene ist eine günstige Situation entstanden, wovon das deutsche Bildungssystem profitieren und sich auf den gleichen Weg begeben kann. Die Frage ist, kann man dieses von dem heutigen Deutschen Bildungssystem erwarten? Die bisherige Erfahrung zeigt eher das Gegenteil: „So hat die PISA-Studie von 2000 nicht nur festgestellt, dass Schüler*innen in Deutschland im europäischen Vergleich insgesamt schlechtere Ergebnisse erzielten, sondern auch, dass die soziale Herkunft einen maßgeblichen Einfluss auf deren Leistungen hat: Schüler*innen mit Migrationshintergrund schnitten aufgrund soziostruktureller Nachteile systematisch schlechter ab als ihre Mitschüler*innen ohne Migrationshintergrund.“ (8)

Bildungsgerechtigkeit ist die Grundlage eines gesellschaftlichen Zusammenhalts und das Wesen einer Demokratie. Daher ist es eine zentrale Aufgabe der GEW als Bildungsgewerkschaft, sich gegen Bildungsbenachteiligung, Ausgrenzung und Rassismus einzusetzen. Dabei muss sie erkennen, dass sie sich gegen eine Bildungspolitik stellt, die unfähig ist, die Bildungsbenachteiligung der Schüler*innen mit Migrationshintergrund ein Ende zu breiten. Sie hat weder vom PISA-Ergebnis gelernt, noch die darauffolgende Phase, in der die Schwäche des Bildungssystem bearbeitet werden sollte, genützt, ihrer Verantwortung im Hinblick auf Schüler*innen mit Migrationsbiografie gerecht zu werden. Nach der Phase der sogenannten „Bildungsexpansion“, in der viel Geld investiert worden ist, blieben wieder die Migrantenkinder die Verlierer– wenn auch hier viel von Verbesserung des Bildungssystems die Rede war.  Die Bildungsbenachteiligung ist nach zwei Jahrzehnten auch in dieser Phase „nicht verringert, sondern vergrößert worden (9), stellt Professor Aladin El-Mafaalani fest (Die ZEIT Nr.7/ 06.02 2020).

Betrachtet man die Debatte um die PISA-Studie und die wissenschaftliche Expertise zur Rolle der Migration im Bildungsprozess, bekommt man den Eindruck, dass Bildungspolitik hierbei auf beiden Ohren taub bzw. unerreichbar bleibt.  Zahlreiche Wissenschaftler haben genaue Vorschläge und Konzepte hierzu vorgelegt und zum dringenden Handeln gemahnt, sind jedoch von der Politik ignoriert worden. Prof. Jürgen Baumert, um nur einen zu nennen, hat sogar die Ergebnisse der PISA-Studie 2018 vorausgesagt. Die Migrationsphänomene sind gesellschaftliche Realität. Dass ein Teil dieser Realität ausgeblendet wird, hat mit Rassismus zu tun. Das bringt zum Ausdruck, dass Migranten*innen „die Anderen“ sind und nicht zu uns gehören. Genau dieses fußt auf „Othering“, das zentrale Konzept des Rassismus“. In dem Sinne stellt Rassismuskritik für die GEW eine entscheidende Handlungsoption dar.

Rassismuskritik, Migration und Bildung

Dass die GEW gerade auf dem letzten Gewerkschaftstag zwei Anträge im Zusammenhang mit Diskriminierungs- und Rassismuskritik mit großer Mehrheit verabschiedet hat, zeigt, dass sie im Sinne der hier dargelegten positiven Entwicklung im Politik- und Wissenschaftsbereich reagiert. Diese Anträge sind vom BAMA (Bundesausschuss Migration, Diversity, Antidiskriminierung) vorgelegt worden, da ich dabei mitgewirkt habe, hat mich das Mehrheitsvotum gefreut. Ihre Bearbeitung war Anlass für Diskussionen bei BAMA selbst und auch während der Verabschiedung auf dem Gewerkschaftstag. Das sind wertvolle diskursive Beiträge. Noch wichtiger ist jedoch die Realisierung solcher Beschlüsse auf der Bundesländerebene. Wichtig hierzu sind öffentliche Diskussionsbeiträge, die zur Versachlichung der Diskussion über die Diskriminierung und den Rassismus als gesellschaftliche Realität beitragen. In dem Sinne ist es wünschenswert, dass überall in Deutschland durch die GEW ein diskriminierungs- und rassismuskritischer Diskurs gefordert wird.

Das ist der Grund, warum wir in Bremen für unser LAMA (Landesausschuss, Migration, Diversity, Antidiskriminierung) gezielt neue Mitglieder suchen, die im Rahmen dieses Ausschusses (wir nennen ihn AGIL) die Diskussion, die wir in dem Kontext bereits vor einiger Zeit mit beachtlichem Zuspruch geführt haben, weitertragen.

Von Bedeutung ist, dass unsere Botschaften in dem Zusammenhang auf gesellschaftlichen Tatsachen und Lebenswirklichkeiten basieren und für das Bildungssystem eine neue Perspektive eröffnen. Die „Migrationspädagogik“ stellt in der aktuellen gesellschaftlichen Konstellation eine neue Perspektive dar, die von Prof. Paul Mecheril folgenderweise begründet wird: „Die gesellschaftliche, soziale und individuelle Wirklichkeit Deutschlands wird grundlegend von Migrationsphänomenen geprägt. Eine Veränderung der pädagogischen Institutionen und Handlungsformen ist daher notwendig. (10)

Quellen:

 

  1. https://dezim-institut.de/in-den-medien/pressemitteilungen/pressemitteilung-rassistische-realitaeten/
  2. Iman Attia: Rassismus (nicht) beim Namen nennen/APuZ 13–14/2014
  3. DeZIM-Studie: „Rassistische Realitäten – wie setzt sich Deutschland mit Rassismus auseinander?“ Mai 2022, S. 12
  4. Iman Attia: Rassismus (nicht) beim Namen nennen/APuZ_2014-13-14_online.pdf
  5. https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/bundeskanzleramt/staatsministerin-fuer-kultur-und-medien/aktuelles/bundesregierung-setzt-auf-mehr-praeventionsarbeit-1913242
  6. Maßnahmenkatalog des Kabinettausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus, S.28
  7. Infoblatt_DiZM- Rassismusmonitor
  8. DeZIM-Studie: „Rassistische Realitäten – wie setzt sich Deutschland mit Rassismus auseinander?“, S. 67
  9. Aladin El-Mafaalani: Die ZEIT Nr.7/ 6.Ferbuar 2020
  10. Paul Mecheril: Magazin Interkultur-Stuttgart, 15, 2015