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Schwerpunkt

Praktizierender Transhumanist

Wie Elon Musk Gehirn und KI verschmelzen will, um die Menschheit vor KI zu retten. Paradox?

Ingo Leipner, Diplomvolkswirt und VWL-Dozent an der "Dualen Hochschule Baden-Württemberg" | Foto: privat

Total gelähmte Menschen sind plötzlich in der Lage, einen Rollstuhl zu steuern, obwohl sie keinen einzigen Finger bewegen können. Auf diese Weise wäre Menschen geholfen, wenn sie schwere Schäden an Wirbelsäule und Gehirn erlitten haben. Dazu will Elon Musk seit 2016 in Kalifornien ein „Brain-Computer-Interface“ (BCI) entwickeln, das unser Gehirn direkt mit einem Computer verbindet. Der Name der Firma: „Neuralink“.

Das Unternehmen informiert und wirbt auf seiner Website: Winzige Fäden werden im Gehirn versenkt, ihr Durchmesser liegt im Mikrometer-Bereich, was einem „Millionstel“ Meter entspricht. Diese Fäden erreichen Bereiche des Gehirns, die zum Beispiel Bewegungen steuern. Jeder Faden enthält viele Elektroden, die mit dem Implantat verbunden sind. Dieses Implantat ist die eigentliche Schnittstelle mit der Außenwelt, es wird oben in der Schädeldecke eingesetzt, etwas größer als ein Daumennagel. Dieser „Link“ überträgt neuronale Signale vom Gehirn an den Computer. Mit reiner Gedankenkraft sollen sich etwa Tastatur und Maus steuern lassen – was ein Segen für Tetraplegiker wäre, wenn sie komplett gelähmt sind. Der umgekehrte Weg soll ebenfalls möglich sein.

Was ist Transhumanismus?

Transhumanisten wollen die natürlichen Schranken des Menschen überwinden, wobei sie erheblich seine Möglichkeiten intellektuell, psychisch und physisch durch Technologie ausbauen. Sie träumen von „ewiger Jugend“ oder der Überwindung des Todes, sobald eine Verschmelzung von Mensch und „Künstlicher Intelligenz“ (KI) geschieht. Wer will eine Technologie kritisieren, die das Leben von Schwerkranken verbessern soll? Elon Musk versteht es prima, auf dieser Klaviatur zu spielen, wie Tomislav Bezmalinovic berichtet: Musk kündigte auf der Talk-App „Clubhouse“ an, er wolle Menschen mit schweren Hirn- und Rückgratverletzungen unterstützen. Solche Ankündigungen riefen Kritiker auf den Plan. „‚Neuralink‘ appellierte mehrfach, Menschen mit Behinderung zu helfen“, schreiben Lucille Nalbach-Tournas und Walter G. Johnson. „Doch die jüngsten Äußerungen von Musk und seinem Team lassen diese Appelle eher wie eine dünn verschleierte Fassade für transhumanistische Träume aussehen.“

KI würde unsere Welt regieren

Wir müssen nur weiter dem Multimilliardär zuhören und seine Tweets lesen, um einen Blick hinter die „dünn verschleierte Fassade“ zu werfen. Der Visionär sagt ganz klar: Die wichtigste Funktion des Implantates ist es, dass die Menschen die „AI symbiosis“ erreichen. Auf Deutsch: Musk träumt von einer Symbiose, die zwischen dem Menschen und der KI eintreten soll (die Abkürzung AI steht für das englische „Artificial Intelligence“). So verschmelze das menschliche Gehirn mit der KI. Das soll alles in einer Weise geschehen, „dass der vereinte Wille der Menschen auf der Erde die künftige Welt steuert“, behauptet Musk.

Warum ist diese Symbiose für Musk so wichtig? Die Bloggerin Becky Casale nennt den Grund: Die größte Sorge von Musk sei es, dass die KI im 21. Jahrhundert die Menschheit hinter sich lässt. Casale: „Sie wird uns sagen, was wir studieren, wen wir heiraten und wann wir Babys bekommen.“ Die KI würde unsere Welt regieren – nicht im Stil eines „Terminators“ in einem Krieg der Roboter, sondern durch das rasche Einsickern von Algorithmen, die in unserem Auftrag kleine und große Entscheidungen treffen, so die Bloggerin.

Genau davor warnt Musk!

Im Dezember 2020 wurde ihm in Berlin der „Axel Springer Award“ verliehen. Bei dieser Veranstaltung sagte er: Künstliche Intelligenz sei eine potenzielle Gefahr für die Öffentlichkeit, der Staat muss ihre Entwicklung beaufsichtigen und kontrollieren. In wenigen Jahren, so prophezeit der Visionär, werde es Computer geben, „die in jeder Hinsicht intelligenter sind als Menschen“. Das könnte schon 2025 der Fall sein: „Es ist sehr schwer vorauszusagen, was dann passieren wird.“ KI habe das Potenzial, „gefährlicher als eine Atombombe zu sein“. Und dann verschärft er seine Warnung: KI ist eine der größten Gefahren für die gesamte Menschheit.

Teufel und Beelzebub

Klar, Musk spricht von staatlicher KI-Kontrolle. Aber sein unternehmerisches Ziel ist es, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Sein Motto hat er in einem Tweet formuliert: „If you can´t beat em, join em ‚Neuralink‘ mission statement“. Auf Deutsch: „Wenn Sie sie nicht schlagen können, schließen Sie sich ihr an“, so die Mission von ‚Neuralink‘. Ein Tweet von Musk, über den Becky Casale schreibt: „Wir müssen mitmachen. Wir müssen die KI werden. Das heutige ‚Neura-link‘  ist ein ernsthafter Ausgangspunkt für eine Schnittstelle zwischen Gehirn und Maschine.“

So wird die transhumanistische Welt gerettet. Den Risiken der einen Technologie soll mit weiterer Technologie begegnet werden, die wiederum weitere Risiken mit sich bringt. So steuern wir auf ein „Schwarzes Loch“ zu, wie es Musk genannt hat. Immer schneller und globaler, alle Grenzen überschreitend. Das Dogma der Disruptivität und Exponentalität führt uns in eine Welt, die nicht mehr beherrschbar ist. Es sei denn, wir springen auf den „Neuralink“-Zug auf. Musk: „Wir können tatsächlich mitfahren ... und wir können tatsächlich die Option haben, mit der KI zu verschmelzen.“

Marketing-Blase

Besteht dabei für ‚Neuralink‘  das Ziel, „Patienten mit neurologischen Störungen zu behandeln? Oder will das Unternehmen Pionier sein auf dem Gebiet, wie sich menschliche Leistungen steigern lassen (‚human enhancement‘)?“ Das fragen sich Lucille Nalbach-Tournas und Walter G. Johnson. Im Klartext: Es könnte sich herausstellen, dass der vorgebliche Einsatz für kranke Menschen eine Marketing-Blase ist, um die neue Technologie leichter in der Öffentlichkeit zu verkaufen. Last but not least: Im Mai 2023 gab die US-amerikanische „Food and Drug Administration“ (FDA) ‚Neuralink‘ die Zulassung, klinische Studien am Menschen durchführen zu dürfen.