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Interviews mit Betroffenen

Die Menschen, die vom Berufsverbot betroffen waren, sind sehr unterschiedlich damit umgegangen. Manche haben politisch und juristisch den Kampf gegen die Behörde aufgenommen. Andere haben sich geschlagen gegeben, haben sich von kommunistischen Organisationen und Parteien distanziert. Den meisten hat es viel bedeutet, sich nicht das Kreuz brechen zu lassen, einzelne sind aber auch psychisch und physisch daran zerbrochen. Einige sind nach langen juristischen Verfahren in den Schuldienst zurückgekehrt, andere haben sich neue Berufsfelder gesucht. Von all den vielen Betroffenen haben wir drei befragt.

1. Was hat euch im Verlauf eures Berufsverbotes am stärksten empört, am meisten betroffen?

  • Heidi Schelhowe:
    In den meisten Berufsverbotsfällen wie auch in meinem eigenen war die durchgängige Argumentation die Treuepflicht gegenüber dem Staat, also nicht etwa die Behauptung, dass wir Schüler/innen einseitig beeinflusst hätten, was in der Auseinandersetzung nicht haltbar gewesen wäre. Dies stößt bis heute auf großes Unverständnis, auch wenn ich davon Kolleg/innen im Ausland erzähle.
    Mein Berufsverbot wurde (durch die Aufhebung der aufschiebenden Wirkung meiner Klage) just zu dem Zeitpunkt in Kraft gesetzt, als ich in Elternurlaub war, etwa zwei Monate nach der Geburt meiner zweiten Tochter. Das machte eine Mobilisierung von Eltern, Kolleg/innen und Schüler/innen, die zuvor kräftig gegen meine Entlassung protestiert und sich für meinen Verbleib an der Schule eingesetzt und Aktionen durchgeführt hatten, schließlich unmöglich.
  • Elin-Birgit Berndt:
    Angesichts des damals von Willy Brandt proklamierten Aufrufs „Mehr Demokratie wagen“:
    * die „Zweifel“ des Senators für Bildung (SPD) (!) an meiner Eignung als Beamtin wegen einer Unterschrift unter einen Aufruf zur Solidarität mit dem Kampf des chilenischen Volkes zum Jahrestag des Militärputsches, der auch von politischen Organisationen und Verbänden unterzeichnet worden war;

    * die Zustimmung des Personalrats „Schulen“ zu der Einleitung eines Entlassungsverfahrens und schließlich zu meiner Entlassung;

    * den Ausschluss aus der Gewerkschaft (!) Erziehung und Wissenschaft, in der ich diverse Wahlämter ausgeübt hatte, noch bevor die Entlassung aus dem Schuldienst erfolgte. Das hatte zur Folge hatte, dass Beschlüsse der Betriebsgruppe an meiner Schule, mich zu unterstützen, gestoppt wurden, unter Androhung gewerkschaftsschädigenden Verhaltens;

    * das Verbot (!), mit Eltern, Schülern und Kollegen über das Vorgehen der Bildungsbehörde gegen mich zu diskutieren.

    Aufgrund positiver Begutachtung meiner Tätigkeit als Lehrerin war eine vorzeitige Ernennung zur Beamtin auf Lebenszeit vorgesehen – statt dessen wurde ich aus dem Schuldienst entfernt und mir das Lehramt untersagt.
  • Ebba van Ohlen-Linke:
    Besonders geärgert hat mich immer, dass es gar nicht um mich, meine Fähigkeiten als Lehrerin oder meine Person ging. Es waren da immer nur die formalen Vorwürfe: Parteimitgliedschaft, Kandidaturen, Aktivitäten für die DKP. Um mich als Person ging es nie.

2. Was hat euch geholfen, damit umzugehen, Widerstand zu leisten?

  • Elin-Birgit Berndt:
    Die Solidaritätsbekundungen der vielen Kollegen von Anfang an, die mein Engagement durch Wahlen unterstützten, die Ermutigungen von Eltern, die kühnen Aktionen von Schülern, die „Bremer Berufsverbote-Zeitung“ u.v.m.
    Der Personalrat „Schulen“ stimmte später den Berufsverboten nicht mehr zu.
    Die GEW schloss vom Berufsverbot Verfolgte später nicht mehr aus.
    Der Radikalenerlass verlor an Bedeutung.
    In den zurückliegenden vierzig Jahren waren Widerstand und Aufbegehren nicht zu unterdrücken, sei es gegen Atomkraft, sei es die Friedensbewegung oder jetzt „Occupy Wall Street“!
  • Ebba van Ohlen-Linke:
    Die größte Hilfe und Unterstützung war, dass es unzählige Leute, weit über die Kreise der DKP hinaus, gab, die sich an meine Seite stellten und aktiv wurden, das Berufsverbot zu verhindern. Es gab so viele Initiativen aus Gewerkschaftskreisen, der SPD und überparteilichen Gruppen. Das hat mir den Rücken gestärkt.
  • Heidi Schelhowe:
    Für mich war es bedeutsam, mich nicht vor Autoritäten zu ducken. Ich wollte mit erhobenem Kopf aus dem Verfahren gehen, das war mir wichtig für mich selbst und als politisches Signal. Ich wollte mir selbst und anderen zeigen, dass ich zu meinen Überzeugungen stehe, gerade auch als Lehrer/in.
    Die große Unterstützung, die ich von Eltern (selbst in einem eher privilegierten Stadtteil), von den Kolleg/innen und von Schüler/innen bekommen habe, haben mich sehr gestützt. Zum Zeitpunkt meiner Entlassung gab es auch in der GEW und in der Politik unter dem Druck der politischen Bewegung schon Gegenwehr gegen Berufsverbote. Auch das half mir natürlich, die Sache durchzustehen.

3. Wie ist es euch nach dem Berufsverbot, nach der Entlassung ergangen?

  • Ebba van Ohlen-Linke:
    Ich habe die Zeit des Berufsverbotes bis zu dem Einstellungsurteil in einer Buchhandlung gearbeitet, um finanziell über die Runden zu kommen. Das hat mir Spaß gemacht, aber natürlich war die Freude über meine Einstellung – dann endlich! – riesengroß.
  • Heidi Schelhowe:
    Nun ja, ich hatte großes Glück. Ich konnte noch ein zweites Studium (Informatik) beginnen und zu Ende bringen, das ich so spannend und aufregend fand, dass ich danach auch gleich in die Forschung eingestiegen bin. Nach fast 10 Jahren an den Universitäten in Hamburg und Berlin als Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Hochschulassistentin bin ich heute – Ironie der Geschichte – wieder Beamtin in Bremen und Professorin für Digitale Medien in der Bildung in der Informatik an der Universität Bremen und seit April 2011 Konrektorin für Studium und Lehre. Ich bin überzeugt, dass es mich in meinem beruflichen und persönlichen Lebensweg gestärkt hat, dass ich damals trotz der zunächst extrem bedrückenden und einschneidenden Konsequenzen nicht klein beigegeben habe. Das heißt nicht, dass ich nicht Kolleg/innen, die sich anders entschieden haben, respektiere und sie verstehen kann. Es hing doch auch von der ganz individuellen Verfassung und den persönlichen Umständen ab, ob und wie man sich diese Freiheit der Entscheidung nehmen konnte.
  • Elin-Birgit Berndt:
    Ich konnte leben und als geachtete Lehrerin arbeiten, ohne irgendwo zu Kreuze kriechen zu müssen! Mein Rückgrat wurde mir nicht gebrochen –niemandem musste ich abschwören!
    Meine Stationen:
    Arbeiterin in der Schokoladenfabrik Hachez | 17 Jahre angestellte Lehrerin an einem Gymnasium in freier Trägerschaft | 15 Jahre Forschung und Lehre zu Digitalen Medien in der Bildung | Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bremen | Lehrbeauftragte und Vertretungs-Professur an der Universität Osnabrück | Mitarbeit als Schulbuchautorin in mehreren Verlagen | Personalrätin | 25 Jahre „Partizipatives Bauen“ – Fachwerk-Häuser für Selberbauer