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Die (un)vorhersehbare Schließung der „Pesta“

Ich habe noch deutlich die freudige Stimme eines konservativen Bildungspolitikers im Ohr, der vor vielen Jahren im Rathaus anlässlich eines bildungspolitischen Kongresses kundtat, wie wunderbar es doch sei, Schulen in Konkurrenz zueinander zu setzen. Konkurrenz belebe schließlich das Geschäft! Welches Geschäft eigentlich? Wer oder was wird belebt? Welche Ware wird mit welchem Profit verkauft? Wer gewinnt und wer bleibt auf der Strecke? Haben alle Schulen zu Beginn des Prozesses die gleichen Chancen? Darf man marktwirtschaftliche Maßstäbe auf Bildungseinrichtungen übertragen? In mir machte sich ein großes Unbehagen breit... Die meisten meiner Fragen beantworten sich von selbst, wenn man die Geschichte der „Pesta“ im Stadtteil Gröpelingen verfolgt.

Das Schulzentrum

Im Zuge der Schulreform der 70er Jahre wird die Schule ein Zentrum mit Orientierungsstufe, Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialzweig und hat den Namen SZ An der Pestalozzistraße. Das Schülerklientel spiegelte in seiner sozialen Durchmischung den Stadtteil als ganzes wider, weil bis auf eine verschwindend kleine Minderheit alle „Ihre Schule“ im Stadtteil aufsuchen.
Die AG Weser wird geschlossen und aus einem Arbeiterstadtteil wird allmählich ein Arbeitslosenstadtteil, der zunehmend durch den Zuzug vieler Migranten auch noch ein hohes Maß an Integrationsleistung erbringen muss.
Der Ruf der Schule verschlechtert sich, aber trotz oder vielleicht wegen innerbetrieblichen Auseinandersetzungen findet eine Konsolidierung statt. Rückmeldungen von ehemaligen SchülerInnen und weiterführenden Schulen belegen das.
Dann werden auf Betreiben bildungsorientierter Schichten die Schulgrenzen geöffnet. Viele dieser Familien melden ihre Kinder an traditionellen und neu eingerichteten Gymnasien an. Eine starke Verkleinerung unserer Gymnasialabteilung ist die Folge. Das Schülerklientel spiegelt in seiner sozialen Durchmischung den Stadtteil als ganzes nicht mehr wider. SchülerInnen mit Problemen nehmen einen immer höheren Prozentanteil in den Klassen ein.
Während dieser Zeit steigt die Pro-Kopf-Verschuldung und erreicht heute in Gröpelingen einen Extremwert. Der Stadtteil verliert sukzessive einen Teil seiner Mittelschicht und die Schule Leistungs- bzw. lernbereite SchülerInnen.
Die Schule erfährt keine wirkliche Unterstützung diesem Prozess entgegen zu wirken, indem beispielsweise zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, um die Attraktivität und die Leistungsfähigkeit des Standortes erhöhen zu können. Auch der bauliche Zustand der Gebäude und Räume ist wenig zeitgemäß und lässt daran zweifeln, dass SchülerInnen wie Personal wertgeschätzt werden.
Gleichzeitig spielt Eliteförderung und Schulranking bei bildungspolitischen Beschlüssen eine größere Rolle als es bisher der Fall war. Die Schulen werden bewusst in Konkurrenz zu einander gesetzt.

Die Integrierte Stadtteilschule

Mit Einführung der vorletzten Schulreform, wird die Schule vor die Wahl gestellt, Sekundarschule oder Stadtteilgesamtschule zu werden. Aus Furcht, als Restschule zu enden, wird beschlossen sich zu einer Integrierten Stadtteilschule zu wandeln. Nicht das gesamte Kollegium teilt zu diesem Zeitpunkt die innere Überzeugung, dass „Eine Schule für alle“ die zeitgemäßere Schulform ist. Der noch andauernde, komplizierte und höchst arbeitsintensive Prozess der Umwandlung einer Stufenschule in eine integrierte Ganztagsstadtteilschule beginnt.
Es gibt Lehrkräfte, die ihre Stunden reduzieren, um genügend Zeit und Energie für diese Aufgaben zu haben. Sie finanzieren also eine Schulreform aus ihrer eigenen Tasche, bzw. bezahlen dafür, gesund zu bleiben. Andere sind sich relativ sicher, dass ein solcher Umstrukturierungsprozess, der u.a. eine für viele völlig neue Art des Unterrichtens und der kollegialen Zusammenarbeit erfordert/voraussetzt, unter den gegebenen Bedingungen entweder nicht, schlecht und/oder auf Kosten der Gesundheit zu bewerkstelligen ist.
Bauliche Voraussetzungen für einen binnendifferenzierten Ganztagsbetrieb sind noch weniger gegeben als vor der Umstrukturierung. Die Bausubstanz verschlechtert sich weiter dramatisch.
Trotzdem werden in einem wahren Kraftakt Fortbildungsveranstalten besucht, tragfähige Konzepte erarbeitet, bauliche Anforderungen gestellt, Lehrkräfte- und Jahrgangsteams gebildet und nicht zuletzt wird integrativ unterrichtet. Unser Schulname lautet jetzt: Johann-Heinrich-Pestalozzi-Schule.
Die Schere zwischen arm und reich geht weiter auseinander, die strukturellen Bedingungen im Stadtteil und am Schulstandort verschlechtern sich.
Unabhängige wissenschaftliche Tests belegen eine äußerst problematische Leistungsdurchmischung in den Klassen. Zwei bis drei SchülerInnen mit gymnasialem Leistungsvermögen und die weitere Anzahl mit den verbleibenden drei Leistungsniveaus bilden in der Regel die Klassengemeinschaft. Die Klassenstärken sind für die Zusammensetzung unserer Schülerschaft zu hoch. Das Fordern klappt bei den wenigen leistungsstarken Schülerinnen eher, das Fördern mangels qualitativer und quantitativer Möglichkeiten vor allem bei den leistungsschwächeren kaum. Von der Bildungsbehörde abgesicherte zusätzliche Ressourcen werden nicht bereitgestellt.

Die Schließung

Unser Standort kann unter den gegebenen Umständen nicht konkurrenzfähig sein.
Fehler der Schule während des Umwandlungsprozesses müssen auch genannt werden. Es gibt innerschulisch unterschiedliche Sichtweisen über soziale Gegebenheiten, pädagogische Ansätze und die Bewertung (bildungs)-politischer Beschlüsse. Leider wird kaum Raum gegeben für ergebnisoffene Analysen und Auseinandersetzungen. Die Schulleitung und Teile des Kollegiums scheint/schien Transparenz in Bezug auf ein klares und öffentliches Benennen unserer Probleme zu fürchten.
Die definitiv nicht gegebene Konkurrenzfähigkeit unserer Schule läßt sich auch durch Schönrederei letztlich nicht kaschieren. Die Anwahlzahlen sinken. Aus einer fünfzügigen Schule wird eine dreizügige ohne nennenswerte Erstwahlen.
Die Deputation beschließt u.a. auf Betreiben der SPD die Schulschließung mit der Begründung, die Anwahlzahlen ließen keine Weiterführung zu, die Schule sei nicht konkurrenzfähig.
Zum Schuljahr 2009/2010 werden keine fünften Klassen mehr aufgenommen, die SchülerInnen auf die Schulen der Umgebung verteilt. Während die „Pesta“ im Laufe von vier Jahren immer kleiner wird und stirbt, wird die neue Oberschule ab dem nächsten Schuljahr mit neuem Personal, nennenswerten zusätzlichen Ressourcen und mit ähnlicher Konzeption am selben Standort aufgebaut. Zeitgleich finden tiefgreifende Umbaumaßnahmen statt.
Der oben erwähnte konservative Bildungspolitiker würde aufgrund seines Denkschemas wohl folgende Bewertung dazu abgeben: „Die waren einfach nicht fähig ihr Produkt vernünftig zu verkaufen. Nun wird das Geschäft dicht gemacht, gut so!“