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Kolumne

Ich mach mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt ...

Was ich schon immer mal sagen wollte – Eine Kolumne von Angelika Hanauer

Die Zeile aus dem Pippi-Langstrumpf-Lied passt sehr schön zu der Art von Kommunikation, wie sie aus der Bildungsbehörde in letzter Zeit verstärkt zu hören ist. Schon die Eingangszeile „Zwei mal Drei macht Vier, widdewiddewitt und Drei macht Neune!“ scheint als Blaupause für die Berechnungen der Behörde zu fehlenden Fachkräften gedient zu haben, die Jürgen Burger in seinem Beitrag in dieser Ausgabe auf Seite 6–7 einer ernüchternden Prüfung unterzieht. An dieser Stelle möchte ich dringend das Förderprogramm „Mathe sicher können“ empfehlen – vielleicht hilft′s!

Neid oder Mitleid?

Aber selbst ohne genaues Nachrechnen kommt sofort der begründete Verdacht auf, dass etwas an der Feststellung Frau Aulepps, zum Schulstart wären in Bremen nicht einmal zwei Prozent der Stellen unbesetzt, nicht stimmen kann. Wenn meine Schüler:innen beim Rechnen zu dem Ergebnis kommen, ein überschaubarer Stapel Papier solle einige Zehntausend Euro kosten, rate ich immer, eine Plausibilitätsprüfung vorzunehmen, sich also die Frage zu stellen, ist das überhaupt nach gesundem Menschenverstand wahrscheinlich. Und das Ergebnis ist: Nö, das eine wie das andere ist offensichtlich Blödsinn. Man hat sich bei den Nullen vertan oder die Nullen haben sich vertan – sucht’s euch aus.

Diejenigen, die die Misere in den besonders betroffenen Regionen der Stadt tagtäglich aushalten und ausbügeln, müssen sich bei solchen Statements jedenfalls ordentlich verhohnepipelt vorkommen.

Meine unangefochtene Lieblingsaussage ist aber, dass uns viele Kommunen um unsere Personalversorgung beneiden. Ich glaube „bemitleiden“ war das Wort, das gesucht wurde. Klingt zwar ähnlich, ist aber was ganz anderes. Oder möchte jemand den fest abonnierten letzten Platz im Ländervergleich von uns übernehmen? Also, ich wäre so großherzig, den abzugeben.

Einfach nur großartig!

Worte spielen in der politischen (Selbst-)Darstellung sowieso eine immer größere Rolle. „Großartig“ ist zum Beispiel ein Begriff, den ich immer häufiger von Behördenmitarbeitenden höre. So werden beispielsweise aktuelle Vorhaben oder Arbeitsprozesse tituliert. Im Zusammenhang mit bremischer Bildungspolitik zucke ich bei derartigen Adjektiven immer ein wenig zusammen. Ob nun bewusstseinserhellende Substanzen, ein sonniges Gemüt oder berechnendes Kalkül Grund für die Wortwahl der Großartig-Sprecher:innen ist – wer kann das wissen? Denn vermutlich braucht es eine gehörige Portion unangebrachte Begeisterung oder Pillen (ihr wisst schon), um die Verantwortung für das bildungspolitische Desaster auszuhalten und dabei gesund zu bleiben. Ich könnte das jedenfalls nicht. Mich hält eine gehörige Portion Galgenhumor gemixt mit Sarkasmus am Laufen.

Doppelt professionell – klasse!

Aber vielleicht bin ich auch zu negativ und es mangelt mir an Fantasie. Jedenfalls wäre mir nie im Leben für die Quereinsteigenden, auf die wir jetzt aufgrund des sich weiter zuspitzenden Fachkräftemangels dringend angewiesen sind, der Begriff „doppelt professionell“ eingefallen. Das klingt auf jeden Fall viel besser, als einfach nur professionell – was mir ja eigentlich schon reichen würde. Allerdings klingt es eben nur besser. Die doppelt-professionelle Lehrkraft hat in der Regel nämlich nur ein Fach und daher keine gleichwertige Lehramtsamtsbefähigung. Sie erhält eine Lehrbefähigung – ohne „amts“. Der Unterschied ist klein, aber gemein. Der Verzicht auf diese Silbe bedeutet nämlich ein geringeres Gehalt, in aller Regel eine höhere Unterrichtsverpflichtung, keine Chance auf Verbeamtung und fehlende Aufstiegsmöglichkeiten. In der schulischen Realität werden diese Kolleg:innen aber exakt  die gleiche Arbeit machen wie alle anderen. Wir bewegen uns also in ein Zwei-Klassen-System, und zwar nicht nur bei den Lehrkräften, bei den Erzieher:innen gibt es schon länger ein vergleichbares Problem. Es soll zwar angeblich Angebote für eine Weiterqualifizierung geben – aber wann und ob überhaupt, steht derzeit noch in den Sternen.

Aus der Not eine Tugend machen

Überhaupt werden uns die vielen Notmaßnahmen zur Personalgewinnung als etwas verkauft, das man sich auch unabhängig vom Fachkräftemangel aus pädagogischen Gründen sowieso hätte ausdenken müssen. Da ist im Personalversorgungskonzept der Behörde zum Beispiel von „unterrichtsergänzenden“ und „unterrichtsbegleitenden“ Tätigkeiten die Rede. Es handele sich dabei um dringend benötigte neue Berufsqualifikationen, die eben keine Lehramtsqualifikationen seien. Allerdings sucht man in dem Papier vergebens nach einer Antwort auf die Frage, was man sich darunter konkret vorstellen soll. Vor einigen Jahren, als sich unter mehreren (Ja, sowas gab es!) Bewerber:innen für eine Stelle eine Person ohne Lehramtsqualifikation befand, erwiderte der verantwortliche Behördenmitarbeiter auf meinen entsprechenden Einwand: Die seien ja oft besser als die ausgebildeten Lehrer. Mag sein, dass das eine Einzelmeinung war, aber bei jemandem, der für die Vorauswahl von geeigneten Bewerber:innen zuständig war, ist eine solche Haltung schon bemerkenswert.

Nicht nur Beruf, sondern Berufung

Wenn der Personalrat bei seiner Arbeit auf ausreichende Qualifizierung und die dafür notwendigen formalen Abschlüsse des schulischen Personals achtet, wird ihm gerne mal Standesdünkel vorgehalten. Nein, darum geht es nicht. Aufgabe von Interessenvertretungen ist es, darauf zu achten, dass Stellen fair und nach bester Qualifikation besetzt werden. Für die verschiedenen pädagogischen Berufe gibt es nun einmal bestimmte Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen. Wenn sich die Gesetzgebenden hier Verbesserungen ausdenken – gerne. Ansonsten sehe ich das so: Wer mit Kindern und Jugendlichen arbeiten möchte, sollte sich dazu berufen fühlen und eine bewusste Entscheidung treffen. Und ich glaube, es gehört auch ein gewisses Talent dazu, sonst wird es für alle Beteiligten ziemlich schwierig. Natürlich kann es sein, dass Menschen erst später in ihrem Leben den Wunsch entwickeln, in der Schule zu arbeiten. Auch dafür muss es geeignete Wege geben, und die gibt es auch.

Nützt ja nix

Jetzt sind wir aber leider in einer Notlage, und die Optionen gehen uns aus. Wir müssen froh und dankbar sein, dass auch Menschen sich für pädagogische Berufe entscheiden, die eigentlich mal etwas ganz anderes machen wollten. Mit ihnen muss sorgsam umgegangen werden. Ich kenne ganz hervorragende Quereinsteiger:innen, die ein Händchen für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen haben. Aber machen wir uns nichts vor: Nicht nur solche werden darunter sein. Für die weniger talentierten wird es schwer in diesem herausfordernden Beruf und auch für die, die mit ihnen zu tun haben. Bis die Ursachen für den eklatanten Fachkräftemangel behoben worden sind, heißt es wohl leider erst mal: Augen zu und durch. Nützt ja nix, wie man in Bremen sagt. Den ganzen Schlamassel allerdings widdewiddewitt für gut und gewollt zu erklären, ist einfach nur zynisch und gehört sich nicht.