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Schwerpunkt

Hunderttausende auf der Straße

Streikrecht in Europa im Vergleich

Arbeitsniederlegungen sind in Deutschland ein eher seltenes Ereignis. Wir leben und arbeiten nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung in einem der drei Länder, in denen am wenigsten gestreikt wird, mit einer branchenübergreifenden Durchschnittsdauer von nur 16 Tagen im Jahr.

Frankreich

Dagegen wird Frankreich als Streik-Weltmeister bezeichnet (118 Ausfalltage pro Jahr). Das liegt unter anderem an den Gewerkschaften, die viel radikaler agieren. Das Streikrecht hat Verfassungsrang und stellt damit ein fundamentales Recht dar. Alle Angestellten eines Unternehmens haben das Streikrecht, auch Beamt:innen im Öffentlichen Dienst und damit auch Lehrkräfte. Nur Polizisten, Richter und das Militär sind ausgenommen. Es gibt in Frankreich eine historische Besonderheit. Das Streikrecht ist schon 20 Jahre vor der gesetzlichen Anerkennung von Gewerkschaften garantiert gewesen. Wenn in Frankreich mindestens zwei Beschäftigte ihre Arbeit niederlegen, um zusammen Forderungen gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen, so gilt das als Streik.

Italien

Artikel 40 der italienischen Verfassung erkennt das Recht der Arbeitnehmer:innen an, zur Vertretung ihrer Interessen die Arbeit niederzulegen; ein Recht auf Aussperrung besteht nicht. Der Polizei und dem Militär wird das Streikrecht verwehrt, um die nationale Sicherheit, die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum der Bürger nicht zu gefährden. Alle anderen Beschäftigten des öffentlichen Sektors, auch Beamt:innen, haben das Recht zu streiken. Zuletzt haben Tausende Beschäftigte gegen das Haushaltsgesetz der ultrarechten Regierung von Ministerpräsidentin Meloni gestreikt. An dem Ausstand beteiligten sich Arbeitnehmer:innen des öffentlichen Dienstes. „Meloni, das Volk hat Hunger“, stand auf den Plakaten. Zorn entstand, weil die zulässige Dauer des Streiks von acht auf vier Stunden pro Tag halbiert wurde. Das sei ein Angriff auf das Streikrecht, hieß es.

Großbritannien

Die britische Regierung will das Streikrecht massiv einschränken. Arbeitnehmer:innen sollen während eines Streiks zur Arbeit gezwungen oder entlassen werden können. Das Gesetz will der Regierung im Falle von Streiks eine Handhabe geben, damit öffentliche Dienstleistungen Basisfunktionen aufrechterhalten können. Es geht um die systemrelevanten Branchen, darunter auch der Bildungsbereich. Streiken zum Beispiel Lehrkräfte, kann sich die Schulleitung von der Regierung ermächtig sehen, dem Lehrerkollegium eine Anzahl von Unterrichtsstunden abzuverlangen, die eine Art Grundversorgung gewährleisten sollen. Weigert sich jemand, als Streikbrecher zu fungieren, droht ihm die fristlose Kündigung. Die Gewerkschaften sprechen von der Einführung von Zwangsarbeit. Ihnen droht mit dem Gesetz, dass man sie künftig in Regress nehmen kann. Eine Schule klagt auf Schadensersatz wegen ausgefallener Schulstunden? Ein neuer Thatcherismus. Der Tarifstreit trieb Hunderttausende Briten auf die Straße. Die meisten staatlichen Schulen waren dicht (85 Prozent in England und Wales).

Portugal

In Portugal jagt gerade eine Streikwelle die andere. 150.000 Lehrer protestierten in Lissabon wegen schlechter Arbeitsbedingungen, um gegen die niedrigen Löhne und die harte Sparpolitik an den Schulen des Landes zu kämpfen. Es war die größte Kundgebung der Lehrkräfte seit dem Ende der Diktatur. Die Pädagogen streikten mehrere Monate immer wieder. An manchen Tagen blieben bis zu 300 Schulen im Land geschlossen. Noch prekärer ist die Lage für junge Pädagogen, die nicht verbeamtet werden und sich mit einem Zeitarbeitsvertrag zufriedengeben müssen. Sie erhalten im Schnitt rund 1000 Franken im Monat und liegen damit nur geringfügig über dem gesetzlichen Mindestlohn. Die desolate Situation bei den jungen Lehrkräften rief sogar die EU-Kommission auf den Plan. Diese hat wegen der Diskriminierung der jungen Lehrkräfte ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Portugal eröffnet.