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Zeitlupe

Gerechte Steuerpolitik

Ein Lebenselixier der Demokratie

Pixabay, CC0

Im Wahlkampf hatten Grüne und SPD eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und eine Vermögensteuer mit einem Satz von einem Prozent angekündigt. Doch in den Koalitionsverhandlungen konnte die FDP bisher jegliche Steuererhöhung verhindern. Damit dürfte der Kampf gegen die seit den 1980er-Jahren relativ stetig steigende soziale Ungleichheit in Deutschland nicht leichter werden. Wie in vielen Wahlkämpfen zuvor hatten CDU/CSU und FDP die Forderungen nach einer Verschärfung der Besteuerung des Reichtums als von Sozialneid getrieben oder gar als Ausdruck einer sozialistischen Politik wie in der DDR angegriffen. Doch dies ist historisch kaum haltbar. Das wesentlichen Umverteilungsinstrumente der DDR oder auch der Sowjetunion waren Enteignungen und Kollektivierung. Progressive Steuern waren dagegen Teil liberal- wie sozialdemokratischer Programme und dabei aufs engste mit dem Auf- und Ausbau der Demokratie verknüpft.

Erst durchgängig regressive …

Steuern waren im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit durchgängig regressiv, sprich: sie belasteten die Angehörigen der Unterschicht, insbesondere die bäuerliche Bevölkerung, stärker als die gutverdienenden Eliten. Adel und Klerus waren oft gänzlich von der Steuer befreit. Dies trug wesentlich dazu bei, dass die Ungleichheit in West- und Zentraleuropa seit 1300 stetig zunahm. Erst die Französische Revolution, die als Protest der städtischen Unterschichten gegen hohe Verbrauchssteuern begann, beseitigte die meisten Steuerprivilegien der Vermögenden und hatte eine alle Schichten prozentual gleiche Besteuerung zum Ziel. Deswegen sollten vor allem Steuern auf Boden- und Hausbesitz erhoben werden. Doch über das 19. Jahrhundert blieben Verbrauchssteuern, die die Unterschichten stark belasteten, die bedeutendsten Steuern. Die Ungleichheit wuchs weiter und insbesondere das Elend in den Großstädten nahm häufig katastrophale Ausmaße an. Vom sich rasch entwickelnden Industriekapitalismus profitierten anfangs nur Wenige. Doch die Ausweitung des Wahlrechts machte die Stimme der Unterschichten politisch hörbarer.

… dann progressivere Steuern

Sowohl sozialdemokratische wie aber auch liberale oder konservative Parteien begannen deswegen gegen Ende des 19. Jahrhunderts egalisierenden Reformen zu verlangen. Neben den Sozialversicherungen waren es progressive Steuern, die zu den bedeutendsten Forderungen gehörten. Preußen führte daraufhin als erste europäische Großmacht eine progressive Einkommensteuer ein, die Gutverdienende stärker belastete als Durchschnittsverdiener. Doch bis 1914 lag der Spitzensteuersatz überall unter zehn Prozent, weswegen die Umverteilungswirkung der neuen Steuer gering blieb. Erst die Kosten des Krieges trieben den Steuersatz nun über die Marke von 50 Prozent. In Deutschland lag der Einkommensteuerspitzensteuersatz von 1919 bis 2000 mit Ausnahme weniger Jahre zwischen 55 und 60 Prozent. Erst die rot-grüne Reform 2000 in der Hochphase neoliberaler Diskursherrschaft senkte den Satz auf 42 Prozent. Noch deutlich gravierender waren die Steuersatzsenkungen in den USA, wo die soziale Ungleichheit entsprechend rapider zunahm und die demokratische Verfassung der Gesellschaft zunehmend in Gefahr geriet, denn Demokratie braucht ein Mindestmaß an ökonomischer Gleichheit soll die politische Gleichheit nicht zur Makulatur werden.

Höherer Spitzensteuersatz und Demokratieschutz

In der gegenwärtigen Zeit niedriger Zinsen kann es zwar gerechtfertigt sein, die hohen Ausgaben zur Überwindung der Corona-Pandemie vorwiegend über Schulden zu finanzieren. Doch langfristig führt kein Weg an einem höheren Einkommensteuerspitzensatz und wahlweise der Einführung einer Vermögensteuer oder der Aussetzung der den Reichtum schonenden Ausnahmeregelungen bei der Erbschaftsteuer vorbei, will man nicht die Grundlagen der Demokratie auch in Deutschland gefährden.