Wellen der Empörung schlugen hoch, als Alexander Gauland im Rahmen eines Gesprächs mit der FAZ einen Gedanken zur Integrationsdebatte platzieren wollte. Die Deutschen, so Gauland, bewunderten die spielerische Brillanz eines Boateng, würden ihn aber nicht als Nachbarn haben wollen. Die Bewunderung für den Fußballspieler sei also keineswegs Ausdruck „echter“ nationaler Zusammengehörigkeit; wenn es um das Zusammenwohnen im selben Viertel geht, so die Botschaft, seien Fremde nun einmal nicht erwünscht. Und an Leuten wie Boateng klebt in Gaulands Augen offenbar eine Fremdheit, die nicht durch Sozialisation oder beruflichen Erfolg in Deutschland überwunden werden kann, weil sie aus der Biologie entspringt, aus dem, was Gauland „Blut“ zu nennen sich noch nicht getraut hat, was er aber konsequent durch das Attribut einer unaufhebbaren Eigenschaft verbildlicht hat: Durch die Wahl eines dunkelhäutigen Menschen als Exempel.
Verräterisches Dementi
Da war er wieder, der völkische Nationalismus, doch mit ihm und gegen ihn erhob sich eine empörte Einheitsfront, die von Grünen und SPD über Angela Merkel bis hin zur BILD-Zeitung reichte. Und auch CSU-Generalsekretär Scheuer stimmte mit ein, forderte sogar „Null Toleranz gegen Rassismus“. Schon das könnte misstrauisch stimmen. Die BILD-Zeitung? Hat sie nicht neulich, in einer regelrechten Kampagne, gegen die „Pleitegriechen“ gehetzt? Und Scheuer? Beklagte sich über den Fußball spielenden und kirchlich aktiven Senegalesen, der so schwer abzuschieben sei. Aber auf einen Boateng – auf den lässt man nichts kommen.
Warum also der Aufruhr, auch bei Menschen, die gerne nationale Töne anschlagen? Vielleicht genau deswegen, denn Boateng gilt dem deutschen Stammtisch nicht als fremd, er hat der Nation an der Fußballfront Ruhm und Ehre erworben. Tore fürs Vaterland - das beweist echte nationale Zugehörigkeit. Vielen erschien das Raunen Gaulands deshalb so infam, weil es grade einen deutschen Helden beschmutzte. Darin lauert aber auch die Umkehrung: Was, wenn Gauland nicht auf den Fußballheros losgegangen wäre, sondern auf die üblichen und sowieso zum Abschuss frei gegebenen Gruppen. Afrikanische Drogendealer zum Beispiel oder marokkanische Flüchtlingsjungen, die bekanntlich den ganzen Tag nichts anderes tun, als auf der Kölner Domplatte blonde Frauen anzutanzen - wäre dann ein ebensolcher Shitstorm losgebrochen? Tausende aufgebrachter User von Facebook oder Twitter betonten, ein Boateng dürfte sehr wohl in ihrem Nachbarhaus wohnen - dürfte die rumänische Romafamilie es auch?
Ein sehr nationaler Diskurs
Der Shitstorm beweist, was er scheinbar widerlegte: Dass Nationalismus eben nicht nur bei der AfD vorhanden ist. Im Kulturkampf um die Zugehörigkeit eines exemplarischen Nationalspielers mit nichtdeutscher Abstammung stehen sich zwei Varianten nationalen Denkens gegenüber. Die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland akzeptiert mittlerweile Menschen nichtdeutscher Abstammung als neudeutsche Bürger, darin die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts durch Rot-Grün geistig nachvollziehend. Menschen, die schon seit ihrer Geburt hier leben, wird großzügig ein Pass angeboten. Wie Brecht in den Flüchtlingsgesprächen schrieb, ist der Pass ja der edelste Teil des Menschen. Anscheinend ist er jedoch nur auf Bewährung vergeben. Seine Inhaber müssen beweisen, dass sie auch wirklich zu 'uns' gehören, was nicht allen so gut gelingt oder überhaupt gelingen kann wie einem, der berufsmäßig für die deutsche Nationalmannschaft spielt. Umgekehrt ist es nicht üblich, Menschen deutscher Abstammung die Zugehörigkeit abzusprechen, wenn sie etwas Verwerfliches getan haben sollen. Gaulands versuchte Anbiederung an Volkes Stimme ging deshalb so schief, weil sich bis in die Mitte hinein die Vorstellung, nur wer deutsche Eltern hat, könne auch guter Deutscher sein, relativiert hat. Hautfarbe und vermeintliche kulturelle Fremdheit sind keine unüberwindbaren Hindernisse, wenn ein Mensch sich in den Augen des Betrachters „integriert“ hat. Diesen Beweis muss er aber schon antreten, sonst könnte auch er in Ungnade fallen.