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Schwerpunkt

Der Generalstreik gehört wieder auf die Tagesordnung

Politisch streiken in Zeiten politischer Krisen

Großer Streik der GEW Bremen im Sommer 2002

Die gute Nachricht: Die GEW hat sich auf ihrem Gewerkschaftstag 2013 „zum politischen Streik und Generalstreik als gewerkschaftliches Kampfmittel zur Durchsetzung der Interessen von abhängig Beschäftigten bekannt“. Und nicht nur das. Sie will Initiativen zur Enttabuisierung und verfassungsrechtlichen Verankerung unterstützen. So weit, so gut. Die weniger gute Nachricht: Seit nunmehr zehn Jahren hat die GEW zu keinem Streik unabhängig von Tarifverhandlungen aufgerufen.

Aktueller denn je

Der politische Streik bzw. Generalstreik gilt in Deutschland quasi als verboten. Von den 27 Staaten der Europäischen Union ist lediglich in Dänemark und Deutschland diese Form der Arbeitsniederlegungen nicht erlaubt. Aber was heißt nicht erlaubt?

Die Gewerkschaften sollten das Recht auf Generalstreik wieder neu und intensiv einfordern. Anlässe gibt es derzeit mehr als genug.

Die gesellschaftspolitischen Herausforderungen durch Krieg, Klimakrise, stark ansteigende Lebensmittel- und Energiepreise und eine zunehmend ungleiche Vermögensverteilung werden größer. Die soziale Lage spitzt sich leider zu. Bei einer solchen Gemengelage gewinnt natürlich die Frage nach der Zulässigkeit von politischen Streiks als Mittel der Willensbildung deutlich an Aktualität.

Leitbild Europäische Sozialcharta

Die konkrete Utopie könnte so funktionieren: Im Streikfall gehen Menschen nicht zur Arbeit, zur Schule, zum Amt, zur Universität. Kulturstätten sind zu, Cafés bleiben geschlossen, hunderttausende Telefonate werden nicht angenommen, Mails nicht beantwortet, Brötchen werden nicht gebacken, Haare bleiben ungeschnitten. Entgegen der Rechtssprechung leiten Expert:innen aus Wissenschaft und Recht aus der bestehenden Gesetzeslage kein Verbot der politischen Streiks ab. Auch der Arbeitsrechtler und Jurist Prof. Dr. Wolfgang Däubler von der Universität Bremen kommt zu dem Ergebnis, dass der politische Demonstrationsstreik zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nach dem Grundgesetzartikel 9 Abs (3) legal sei. Er betont, dass die Legalität des politischen Streiks insbesondere auch europa- und völkerrechtlich sogar geboten sei. Auch deshalb sollte der Bundestag zeitnah das deutsche Streikrecht an die Bestimmungen der Europäischen Sozialcharta anpassen.

Keine Erpressung

Politische Streiks geben abhängig Beschäftigten die Chance, ihre gemeinsame materielle Interessenslage wirkmächtig zum Ausdruck zu bringen, das Staatshandeln möglicherweise zu beeinflussen und ein wachsendes soziales Ungleichgewicht zu verhindern. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hob in einer Ausarbeitung aus dem August 2022 hervor: „Wer politische Meinungsäußerungen – und nichts anderes ist ein politischer Streik - für Erpressung hält, der diffamiert damit einerseits ein Instrument der Demokratie und die berechtigten Sorgen und Anliegen weiter Teile der Bevölkerung. Und er ignoriert oder leugnet, dass die Unternehmer jeden Tag die Beschäftigten mit der Drohung durch Arbeitsplatzverlust oder Verlagerung der Produktion ins Ausland erpressen.“

Aber wie umsetzen?

Fast alle Gewerkschaften haben inzwischen Beschlüsse gefasst, in denen das politische Streikrecht gefordert wird. Doch es wird nicht die Frage diskutiert, wie diese Forderung durchgesetzt werden kann. Diese Forderung sollte nicht an den Gesetzgeber gerichtet werden, weil das mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem schlechteren Recht führen würde. Daher bleibt nur der Versuch, ein besseres Recht über die Rechtsprechung durchzusetzen. Das verlangt aber als ersten Schritt den bewussten Rechtsbruch. Diesen Rechtsbruch kann man allerdings auch positiver bezeichnen: „Streikrecht als Menschenrecht“.