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Bildung und Gesellschaft

Berufliche Bildung wird weiter ausgegrenzt

Geplante Campusschulen schaffen keine angemessenen Angebote

Die Stellungnahme des DGB zur Neuorganisation des beruflichen Schulwesens (in Bildungsmagazin Nr. 4 2022) offenbart, wie wenig der Stellenwert der beruflichen Bildung in dem gesamten Bildungsspektrum gesehen wird. Statt Integration von beruflicher und allgemeiner Bildung zu fordern, die eine Konsequenz aus der realen gesellschaftlichen Entwicklung wäre, wird die mit der Campuslösung reale Desintegration der Berufsschulen aus dem Bildungswesen weitgehend inhaltslos zur Kenntnis genommen.

Blickwechsel erforderlich

Unsere Gesellschaft befindet sich durch Digitalisierung, Individualisierung, soziale Spaltung und Zuwanderung in einer latenten Umbruchsituation, die einen anderen Blick auf die inhaltliche Ausrichtung und Organisation von Bildung erfordern. Die Wirkungen auf die Biografien der Menschen werden zunehmend sichtbar. Das Bildungsmodell meiner Generation, nachdem die Arbeitnehmerschaft sich über den einfachen oder mittleren Bildungsweg rekrutiert, soll heißen Schule, Ausbildung und dann lebenslange Tätigkeit in dem erlernten Beruf, gilt schon lange nicht mehr. Und auch die akademisch geprägten Wege enden zunehmend in normalen Arbeitsverhältnissen, weil der wissenschaftlich determinierte Fortschritt in der Wirtschaft ein erhöhtes Maß an wissenschaftlich qualifizierter Arbeitskraft zur wirtschaftlichen Leistungserbringung erfordert.

Durchlässigkeit nötig

Diese Entwicklungen führten schon vor geraumer Zeit in der Zuspitzung dazu, dass einerseits die Konzepte des Lernens in der Berufsschule z.B. mit dem Lernfeldkonzept weiterentwickelt wurden. Gesellschaftlich wurde aber andererseits vor diesem Hintergrund die Notwendigkeit deutlich, die einmal in der Erstausbildung - akademisch oder beruflich - erworbenen Qualifikationen laufend zu erweitern. Das ist der Hintergrund der Debatte, die unter dem Stichwort „Lebenslanges Lernen“ geführt wird. Durch diese Entwicklung steht aber die strukturelle Trennung von beruflicher und akademischer Bildung in Frage, weil die meisten dieser Wege in der Arbeitswelt enden. Notwendig ist eine Durchlässigkeit zwischen den beiden Wegen, und zwar lebenslang.

Funktionierende S-II-Zentren

In Bremen führte diese Erkenntnis auch vor dem Hintergrund der von Pädagoge Georg Picht angestoßenen Bildungsnotstandsdebatte dazu, dass berufliche und allgemeinbildende Schulen unter den Stichworten „Integration von beruflicher und allgemeiner Bildung“ und dem Postulat von deren Gleichwertigkeit organisatorisch zusammengefasst werden sollten. Das geschah allerdings nur sehr halbherzig, aber an einigen Stellen funktionierte das. In einigen S-II-Zentren wurden so auf dieser Basis aufbauend auf berufliche Abschlüsse Bildungswege gestaltet, die den Übergang in die Hochschulen ermöglichen (FOS 12-BOS). Es wurden auch Angebote geschaffen, die aufbauend auf den Mittleren Bildungsabschluss mit einer inhaltlich berufsbezogenen Orientierung ebenfalls Wege in die Hochschulen öffneten (FOS 11-13, Berufliche Gymnasien) und dazu wurden mit den Berufsfachschulen die schulischen Möglichkeiten geschaffen, als Reparaturbetrieb zur Aufarbeitung der Defizite des allgemeinbildenden Schulwesens schulische Biografien zu stabilisieren oder gar neu auszurichten. Als besonders gutes Beispiel nenne ich hier die Berufsfachschule Pflegehilfe, mit der Hauptschülerinnen in einer Verbindung von Theorie und Praxis den einfachen beruflichen Abschluss so wie den Mittleren Bildungsabschluss erreichen konnten. Diese erfolgreiche produktive Symbiose hat der Senat und die ihn tragenden Parteien mit dem Bremer Schulgesetz 2009 bereits vor geraumer Zeit aufgegeben. Trotzdem wurde damals die Weiterexistenz der S-II-Zentren vom bildungspolitischen Sprecher der SPD zugesichert (Niemand hat die Absicht, die S-II-Zentren zu schließen).

Bildungsbegriff erweitern

Die faktische Ausgliederung aus dem Bildungswesen wird funktional dazu führen, dass sich die beiden Säulen getrennt entwickeln werden. Das allgemeinbildende Schulwesen schafft es schon heute nicht, angemessen auf die gesellschaftliche Entwicklung zu reagieren. Seine inhaltliche Ausrichtung ist weitgehend eindimensional schichtenspezifisch geprägt, was auch die harte Auslese nach Klasse vier in Verbindung mit der verbreiteten Testeritis weitgehend bestimmt. Die kulturelle Vielfalt, die soziale Ausgrenzung mit ihren unterschiedlichen Sprachcodierungen wird bestenfalls mit einigen Maßnahmen begleitet, im Kern ist die Alleinherrschaft bildungsbürgerlicher Ausrichtung und Auslese betoniert. Wenn z.B. die Grundschulen gezwungenermaßen mit pädagogischen Konzepten partiell auf solche Entwicklungen eingehen, ist der Reflex des Philologenverbandes mit der Kategorisierung „leistungsfeindlich“ sozusagen programmiert. Der Anspruch „Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung“ fordert somit eine Weiterung des Bildungsbegriffs, ist ein notwendiger Angriff auf den bildungsbürgerlichen Monopolanspruch, um größeren Teilen der Schülerschaft qualifizierende Bildungswege zu ermöglichen. Das ist unter demokratisch partizipativen Aspekten notwendig, aber auch vor dem Hintergrund des Facharbeiter:innenmangels. Wir leisten uns eine große Anzahl von Schul- und Leistungsmeidern, statt ihnen angemessene Bildungsangebote zu machen.

Praxisorientierung

Mit der Einführung des Faches Arbeitslehre vor langer Zeit, wurde einmal der erste Schritt in diese Richtung gemacht. Eigentlich liegt es doch auf der Hand, mit praxisbezogenen Bildungswegen nicht erst in der Sekundarstufe 2, sondern diesen Weg bereits in der Sekundarstufe 1 zu beginnen und damit eine gleichwertige Facette zum klassischen Abiturweg mit der Option unterschiedlicher Abschlüsse zu etablieren. Damit würde das Ziel der Chancengerechtigkeit bedient werden, damit könnten Sprachbarrieren minimiert werden, dadurch würde einem großen Teil der Schüler*innen signalisiert, dass auch ihre Fähigkeiten etwas wert sind.

Campusschulen als Wolkenkuckucksheime

Ich kann verstehen, dass aufgrund des real existierenden Mangels in den beruflichen Schulen, der materielle Input, der mit der Gründung der Campusschulen versprochen wird, zur Entwicklung durchaus positiv wahrgenommen wird. Aber die Stellungnahme des DGB signalisiert ja schon die Zweifel an der materiellen Absicherung dieser großspurig angekündigten Projekte und bei Betrachtung der realen Haushaltssituation des Landes Bremen post Corona wage ich die These, dass es sich weitgehend um Wolkenkuckucksheime handeln wird. Die Gebäude in den Stadtteilen werden für die Nutzung durch die allgemeinbildenden Schulen frei und die „Berufler“ werden dann in halbfertigen Komplexen arbeiten, so wie es bei den Reformen der bremischen SPD schon immer war.