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Debatte

Bekenntnisse eines Wachhundes

Eine Antwort auf die Stellungnahme von Gunnar Weber und Unterzeichneten

Maske und Desinfektionsmittel
Foto: Katharina Krieger

1. In der letzten Ausgabe dieser Zeitschrift sprachen sich Gunnar Weber und weitere GEW-Mitglieder (siehe Text weiter unten auf der Seite) in eindringlichen Worten gegen eine angebliche Diskriminierung Ungeimpfter in der Bildung und anderswo aus. Es drohe eine Spaltung der Gesellschaft durch die staatliche Politik, würden weitere Einschränkungen eingeführt. Selten ist ein Text so durch die Ereignisse überholt worden wie dieser. Mittlerweile sind die Zahlen explodiert und Ungeimpften ist der Zutritt zu fast allem verwehrt, eine allgemeine Impflicht rückt näher. Zu dieser kann man kritisch stehen, wie es beispielsweise die Bremer Gesundheitssenatorin tut. Dennoch betont auch sie, das Impftempo müsse dringend beschleunigt werden, unter anderem durch Aufklärung.

2. Die in der Stellungnahme vielbeschworene Freiwilligkeit der Impfung kann nicht heißen, dass die Entscheidung sich allein im Privaten abspiele, als individuelle Risikoabwägung ohne Bezug auf andere. Vermutlich wäre das bei einer durch Zeckenbiss erworbenen Hirnhautentzündung der Fall; wer die Impfung ablehnt, steckt bei eintretender Infektion niemanden an.

Bei Covid-19 ist das anders. Die Impfung dagegen ist ihrem Wesen nach eine kollektive Maßnahme. Der Schutz einer Person gegen einen ersten oder erneuten Ausbruch ist um so größer, je höher der Impfgrad der Gesamtbevölkerung ist. Im Hinblick auf die aggressive Delta-Variante hatte das RKI ja bereits im Sommer 2021 eine Impfquote von 85% angemahnt. Wer also Schutz für notwendig erachtet, muss nach freier Erwägung auch wollen, ja ist sogar darauf angewiesen, dass andere mitziehen und die Impfung nicht bloß als unverbindliches ‚Angebot‘ ansehen. Das könnte man als den epidemiologischen Imperativ bezeichnen. Ihn den skeptisch Gesinnten zu erklären, heißt nicht Druck ausüben, sondern an Einsicht zu appellieren. Wo stattdessen moralische Empörung auftrumpft und eine Stigmatisierung Ungeimpfter, da ist eure Sorge vollkommen berechtigt.

3. Doch weshalb stellt ihr Behauptungen wie die folgende auf? ‚Immer mehr ÄrztInnen und WissenschaftlerInnen sprechen sich gegen eine Impfung von Kindern und Jugendlichen aus‘. Zunächst gilt es zwischen den beiden Gruppen zu unterscheiden: Bei Kindern lässt sich debattieren, obwohl Claudia Bernhardt schon eine Impfstation für sie vorbereitet. Jugendlichen ab zwölf hingegen legt die Ständige Impfkommission schon seit August 2021 nahe, den Schritt zu tun. Desgleichen ruft die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin dazu auf, unter Verweis auf Untersuchungen bei zehn Millionen Fällen. Christian Drosten empfiehlt es und würde übrigens, wie er dem WDR sagt, auch sein eigenes Kind unter zwölf impfen lassen.

Das sind drei seriöse wissenschaftliche Stimmen für die Notwendigkeit der Impfung in besagter Gruppe. Eure Belege für das Gegenteil konnte ich leider nicht überprüfen – ihr liefert ja keine. Eine solche Berufung auf ominösen Ungenannte offenbart in Zeiten, wo impfskeptische Gruppen reichlich Fake News verbreiten, bedenklichen Stil.

4. Fragwürdig ist auch die Wortwahl in Bezug auf Beschäftigte in der Bildung, die sich für das Impfen, unter Umständen sogar als Pflicht, einsetzen. Im Text heißt es, diese sollten sich nicht zu ‚Wachhunden‘ oder ‚Erfüllungsgehilfen‘ der ‚staatlichen Corona-Politik‘ machen. Klingt der eine Begriff nach gefletschten Zähnen, weckt der andere irritierende politische Assoziationen, mit finsteren staatlichen Machenschaften, deren Büttel man nicht werden dürfe. Es sei dahingestellt, ob Staaten eher von humanitären oder ordnungspolitischen Motiven getrieben sind. Doch so gut wie alle Regierungen auf der Welt, über Parteigrenzen hinweg, verfügen seuchenpolitische Maßnahmen. Die einzigen, die sich offen dagegen aussprechen, sind rechtspopulistische Kräfte wie Trump und die AfD; vielleicht wollen sie dem Schöpfer nicht ins Handwerk pfuschen oder nach sozialdarwinistischer Manier der Natur ihren Lauf lassen, worin sie sich nebenbei mit esoterischen Gemütern treffen. Gegen solchen Irrationalismus, der Köpfe vernebelt und Seuchenschutz behindert, sehe ich mich als Lehrer in der bescheidenen Pflicht, etwas Aufklärung zu betreiben. Mit Glück gelingt es mir, einen kleinen Spaltpilz in die Gemeinde zu säen und Einzelne abtrünnig zu machen. Falls mich das zu einem ‚Erfüllungsgehilfen’ macht, ist das eben so. Nachher, wenn die letzte Welle abgebt ist, können wir gerne kritische Diskussionen führen, etwa über die skandalös schlechten Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen. Wir säßen gemeinsam im selben Raum, ohne Maske, bei einem kühlen Bier, und wir hätten zumindest ein Problem weniger.

Ausgegrenzt! | Stellungnahme 2 zur Corona-Impfpolitik

Von Gunnar Weber, Elke Henocque und Angelika Hofner im Namen von 22 weiteren Kolleginnen und Kollegen

Die Frage, die uns umtreibt ist, wie es sein kann, dass die Entscheidung, ein freiwilliges Impfangebot nicht anzunehmen, zum Ausschlusskriterium sozialer und gesellschaftlicher Teilhabe wird und welche Rolle wir als Schulen und als Kolleg*innen in diesem Prozess spielen wollen.

Wer hätte vor Corona für möglich gehalten, dass der Status „geimpft“ bzw. „ungeimpft“ ein stigmatisierendes Distinktionsmerkmal werden könnte? Also, was geschieht hier? Verurteilung, Schuldzuweisung und Ausgrenzung durch, mal mehr mal weniger, nahestehende Menschen. Der soziale Riss verläuft mitten durch Familien, Freundes- und Bekanntenkreise sowie Belegschaften und Kollegien. Es handelt sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die Frage danach, wie wir zukünftig leben wollen, beschäftigt uns als professionelle Pädagog:innen im Besonderen und ganz zentral in unseren beruflichen Kontexten, in denen wir verantwortungsvolle Beziehungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen leisten wollen.

Hier müssen wir unserem Auftrag gerecht werden und dürfen uns nicht an einer Politik beteiligen, die den Druck auf jene erhöhen soll, die sich nicht freiwillig für eine freiwillige Impfung entscheiden. Wir müssen also auch die Schüler:innen und Kolleg:innen schützen und unterstützen, die nicht der derzeitigen Mehrheit angehören. Wir machen uns Sorgen um Kinder und Jugendliche, die dem vielfachen Druck durch Impfung aus dem Weg gehen wollen, obwohl sich immer mehr Ärzt:innen und Wissenschaftler:innen kritisch zur Impfung von Kindern und Jugendlichen äußern, da diese Gruppe eher durch die Impfung als durch Covid 19 gefährdet ist.

Wir erwarten, dass kein Druck auf Schüler:innen und Kolleg:innen von Seiten der Personalvertretungen und der GEW ausgeübt wird, sondern dass - im Gegenteil - politischer und rechtlicher Schutz gegen den Druck von Behörde und Politik geleistet wird. Wir dürfen uns nicht zu Wachhunden und Erfüllungsgehilfen einer Corona-Politik machen, die unsere Gesellschaft entzweit und einzelne Bevölkerungsgruppen an den Rand drängt, sondern müssen uns gemeinsam und solidarisch gegen diese Politik der Spaltung zur Wehr setzen. Solidarische Grüße