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Schwerpunkt

Augen für die Welt öffnen

Projekt „Erasmus+“: Auch der GEW würden internationale Kontakte im Berufsschulbereich gut tun

Michael Graf-Jahnke
Foto: privat

Da musste ich erstmal lächeln, als mich der Wunsch erreichte, etwas über meine Auslandsaktivitäten mit „Erasmus+“ zur Solidarität unter Jugendlichen zu schreiben. Einmal aus Nostalgie, wem unsere Solidarität gehört, hatten wir nicht alle diesen Satz skandiert: Ganz klar, den Unterdrückten der Völker oder den unterdrückten Völkern. [Zum Nachlesen eine Quelle: https://www.bpb.de/medien/31231/1XOLT3.pdf.] Somit wird klar, ich bin auf dieser Bühne nur ein kleines Licht. Macht ja nix. Coronageschwächt und im Kampf gegen alle institutionalisierten Hindernisse bin ich in dem Projekt „Coastline“ aufgegangen, um die europäische Solidarität zu befördern. Ziel meiner seit 2017 andauernden Anstrengungen ist es, mit Auszubildenden des dualen Systems einen Auslandsaufenthalt zu organisieren, der sie mit den kulturellen und den arbeitsorganisatorischen Gegebenheiten des Partnerlandes in Kontakt bringt, um ihre Ausbildung mit der internationalen Komponente zu erweitern.

Berufliche Flexibilität als Ziel

Europa steht hinter mir, die globalisierte Unternehmerschaft sowieso, die humanitären Bestrebungen der deutsch-französischen Freundschaft machen es uns schon seit Jahrzehnten vor. Warum also nicht die „Internationalisierung der Beruflichen Bildung“ - wie vom Bundesinstitut der beruflichen Bildung (BIBB) propagiert - beim Wort nehmen und die damit verbundenen Programmgelder einwerben und der beruflichen Bildung und ihren Auszubildenden zuführen? Meine Auszubildenden finden Argumente: „Ich bin gerade auf Montage und arbeite für General Electric. Hinter mir sind fünf Italiener. Neben mir singen Franzosen zu ihrer Arbeit.m Vor mir arbeiten welche, deren Sprache verstehe ich nicht. Aber ohne Englisch geht hier gar nichts. Ich bin Syrer, ich bin gerade in Deutschland angekommen und froh eine Ausbildungsstelle zu haben, warum soll ich jetzt schon wieder weg, um in Europa zu arbeiten.“ Gegensätzlich? Unsere Rahmenrichtlinien weisen als Ziel dazu aus, „berufliche Flexibilität zur Bewältigung der sich wandelnden Anforderungen in Arbeitswelt und Gesellschaft auch im Hinblick auf das Zusammenwachsen Europas zu entwickeln.“ Ist das schon internationale Solidarität. Lassen wir mal den Bärtigen sprechen: „Proletarier aller Länder vereinigt euch.“ War ja gerade 1. Mai. Fangen wir mal mit Europa an.

Eine Schule auf dem Weg nach Europa

Seit 2020 läuft „Coastline“, welches am Technischen Bildungszentrum Bremen im Team Mechatronik ausgedacht und projektiert wurde, um Auszubildenden des Berufsbildes Mechatronik die Möglichkeit einer Lernsituation im europäischen Ausland zu bieten. Ziel dieses Projekts ist also, über die zu vermittelten Inhalte mit Hilfe der englischen Sprache eine Brücke zu bauen, um die vorhandenen Sprachkenntnisse in konkrete Bezüge zur Alltagsarbeit zu setzen und in einen bilingualen Unterricht zu überführen.

Europass Mobilität international

Montagetätigkeiten oder Reisen zu Kunden in das Ausland sind zwar derzeit durch die Pandemie eingeschränkt, aber müssen weiter durchgeführt werden, da ein wesentlicher Teil des Auslandgeschäftes weiterhin abgewickelt werden muss. So sind die beteiligten Lehrer des Mechatronik-Teams trotz Pandemie direkt nach Beendigung des Lockdowns mit den Partnerschulen in Spanien und Portugal übereingekommen, „Coastline“ entgegen diesen widrigen Umständen durchzuführen. Die Akkreditierung der Schule wurde durchgeführt, deren erklärtes Ziel ist, den Auszubildendenaustausch nachhaltig bis Programmende 2027 im Schulalltag zu verankern, Dazu ist ein Berufsschulentwicklungsplan zu projektieren, dessen Meilensteine die durchgeführten Mobilitäten von Bildungspersonal und Auszubildenden sind. Die Lernsituationen und die zu erwerbenden Zertifikate, die außer der interkulturellen Kompetenz, der internationalen Fachkenntnisse, die Kenntnisse der Arbeitsprozesse, die Fremdsprachenkompetenz zudem in einem Europass Mobilität müssen international anerkannt werden.

Bilaterale Austausche

Verschwiegen werden sollen hier nicht die vielfältigen Freizeitaktivitäten, die es für Auszubildende zu erfahren gibt, die wesentlich zur Motivation und positiver Grundhaltung führen. So sind die Partnerschulen in landschaftlich und kulturell reizvollen Gebieten angesiedelt, welche das Defizit der sportlichen Aktivitäten kompensieren oder auch nur die Neugier und die Wissbegier nach anderen Lebensentwürfen stillen. Vieles bleibt hier ungesagt, aber nach drei Austauschen steht es uns zu, eine Aussage über die Bereitschaft zur Internationalisierung der Partnerschulen zu treffen. Zunächst einmal sind Austausche nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Die Schulen sind auf alle organisatorischen Fragen vorbereitet und haben bereits Lösungen standardisiert, die es einfach machen, internationale Azubis in ihren Schulalltag zu integrieren. Allgemein wird daher auch erwartet, dass die Austausche bilateral zu gestalten sind. Das bedeutet für uns als Partnerschule, in einem Konsortium von akkreditierten Schulen eine Infrastruktur aufzubauen, welche Übernachtungsmöglichkeiten, Firmenbesuche, Praktikumsplätze und kulturelle als auch sportliche Aktivitäten umfassen.

Von positiver Haltung profitiert

Alles bisher Beschriebene sollte unbedingt für die bremische Berufsbildung, die Handelskammer, die Berufsschulen, die Bildungsbehörde und vor allem der politischen Ebene in einem Event der Internationalisierung der Berufsbildung gewürdigt werden, welches auch die Partnerschulen mit einbezieht. Dort wäre das Forum, um die beteiligten Firmen mit diesen nicht grundsätzlich neuen, aber jetzt auch durchführbaren Auszubildendenaustausche zu konfrontieren und eine neue Sicht auf die Internationalisierung der Berufsbildung zu eröffnen. Diese positive Haltung der an der Berufsbildung beteiligten Institutionen ist uns an den Standorten den jeweiligen Partnerschulen, in Santander in der autonomen Region Kantabrien, in Ferrol der autonomen Region Galiziens in Spanien und in dem zentralen in der Industrieregion Braga gelegen Vila Nova do Famalicao in Portugal entgegengebracht worden. Abschließend sei gesagt, dass „Das Europa der Einheit“ ein immer wieder zu erarbeitendes Verständnis ist, welches auf allen Ebenen und vor allen Dingen auf der Ebene der Beruflichkeit neu zu definieren, zu entwickeln und zu beleben ist.

Nicht alle in einem Boot

Da hat aber einer die Rechnung ohne den Wirt gemacht! Solidarität unter Auszubildenden durch verlängerte Klassenfahrten auf Kosten der europäischen Union, blaues Wasser, heißer Sand, Sangria und sonnengebräunte Körper - so brachten es meine KuK auf den Punkt: Das ist deine Motivation! Nicht etwa die internationale Solidarität! Hört ihr da die Vorurteile gegenüber den sonnenhungrigen Lebemenschen, die sich auf Kosten der Europäischen Union einen feinen Lenz im Süden Europas machen. Griechenland, Italien, Spanien, Portugal und selbst Frankreich sind diesem Verdacht ausgesetzt. Großbritannien heißt jetzt United Kingdom und hat einen Schlussstrich unter die europäische Solidarität gezogen. Frankreich ist für fünf Jahre gesichert. Die europäische Solidarität zeigt Risse in Polen, Ungarn, in der Slowakei und was in der Ukraine geschieht, lässt uns nicht unberührt. Die Flüchtlingsfrage erfährt eine neue, zutiefst unsolidarische Dimension und leitet uns zu der Frage: Sitzen wir nicht alle in einem Boot?

Geringere europäische Wahrnehmung

Alle in einem Boot schon, aber unsere Jugendlichen in der Berufsvorbereitung, in der Ausbildungsvorbereitung, in der betrieblichen Erstausbildung und nicht zuletzt im lebenslangen Lernen haben einen Nachholbedarf bezüglich der europäischen Wahrnehmung. Die Grundrechte-Charta der europäischen Union weiß da Rat. Zum Schutz der Jugendlichen sagt sie: „Zur Arbeit zugelassene Jugendliche müssen ihrem Alter angepasste Arbeitsbedingungen erhalten und vor wirtschaftlicher Ausbeutung und vor jeder Arbeit geschützt werden, die ihre Sicherheit, ihre Gesundheit, ihre körperliche, geistige, sittliche oder soziale Entwicklung beeinträchtigen oder ihre Erziehung gefährden könnte.“

Unbekannte Möglichkeiten

In dieses Boot sollten wir unsere Schutzbefohlenen setzen, damit sie eine wirkliche Teilhabe an den Errungenschaften der Europäischen Gemeinschaft wertschätzen, verstehen und sie aktiv ausfüllen können. Und siehe da, es wurde reagiert. Es gibt das europäische Solidaritätskorps, welches transnational hohes, aber hier zulande geringes Aufsehen erfährt. Obwohl hier gerade die betreffenden Aussagen für eine europäische Solidarität gemacht werden, ist noch nicht für alle ersichtlich, welche Möglichkeiten sich hier auftun. Das gilt im Übrigen auch für unsere GEW, der internationale Kontakte auch gut zu Gesicht stehen würden.

Antragsflut sehr erwünscht

„Solidarität ist eine der Grundwerte der Europäischen Union. Das Europäische Solidaritätskorps ist eine großartige Chance für junge Menschen, sich freiwillig für ein soziales und vielfältiges Europa zu engagieren. Das geht z.B. in Freiwilligendiensten oder mit eigenen Initiativen. Durch ihren solidarischen Einsatz entsteht gesellschaftlicher Zusammenhalt in ganz Europa.

Bleibt mir nur noch zu erwähnen, dass wir es nicht den großen Firmen, den Industrie- und Handelskammern, den smarten Firmen und Instituten überlassen sollten. Deren allseits akzeptierte Motivation, die Bereicherung, die Akkumulation des Kapitals oder die Steigerung der Dividende, dieses Geld der Gemeinschaft für ihre Zwecke abzurufen, ist zu kritisieren. Stattdessen sollte sich die altmodische, altruistische und rückwärts gewandte Einstellung der Solidarität, in einer gesteigerten Antragsflut in den Programmen „Erasmus+“ und des europäischen Solidaritätskorps niederschlagen, um unseren Auszubildenden die Augen für die Welt zu öffnen.