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Bildung und Gesellschaft

„Arisierung“ in der schulischen Bildung

Das bildungsmagaz!n dokumentiert die Rede von Sophia Beer und Lewin Meyer vom Gymnasium Horn zur Eröffnung des Bremer „Arisierungs“-Mahnmals

Lewin Meyer und Sophia Beer vom Gymnasium Horn | Foto: Karsten Krüger

„Weißt du, was Arisierung ist?“ – So lautete unsere Frage an Lisa. Sie ist Q2-Schülerin und angehende Abiturientin unserer Schule, des Gymnasiums Horn. Wissen Sie, was sie darauf geantwortet hat? „Ne, noch nie gehört.“ Ganz egal, mit wem wir sprachen, die Antworten waren fast alle gleich. Kaum einer konnte sich etwas unter dem Begriff „Arisierung“ vorstellen. Wir haben daraufhin einige Geschichtskurse unserer Schule befragt, darunter auch einen Leistungskurs. Und auch hier konnte uns keiner eine korrekte Antwort auf die Frage geben, was „Arisierung“ sei. Uns beiden ging es genauso, bevor wir uns in den letzten Wochen intensiv mit dem Thema beschäftigt haben. Um unsere Rede vorzubereiten, bekamen wir außerdem vielfältige Unterstützung. Doch was ist mit den anderen Schülern in Bremen, denen die zeitlichen Ressourcen und die persönliche Unterstützung fehlen, um sich mit der Arisierung zu befassen?

Ökonomische Dimension vermitteln

Unser Bildungssystem weist in diesem Bereich eklatante Lücken auf, auch Lücken der Ignoranz gegenüber den Opfern der Arisierung. Die Einweihung des Mahnmals schafft nun Raum, unsere Erinnerungskultur neu auszurichten. Insbesondere unsere Bildungseinrichtungen tragen hierbei eine große Verantwortung. Wir müssen uns also die Frage stellen, welche Rolle das Thema „Arisierung“ in der schulischen Bildung spielen kann und sollte. Im Geschichtsunterricht beschäftigen sich Schüler in verschiedenen Jahrgangsstufen natürlich mit dem Nationalsozialismus, mit der Machtübernahme der NSDAP, ihrer menschenverachtenden Ideologie und der brutalen Tötungsmaschinerie. Die Enteignungen der „jüdischen Besitztümer“ werden dabei jedoch nur marginal thematisiert. Wie würden wir uns fühlen, wenn wir auf eine solche Art zuerst diskriminiert, dann gedemütigt und schließlich deportiert würden, aber unsere Besitztümer vorher noch ordentlich aufgelistet überreichen sollen? Wir müssen uns und allen Schülern den Holocaust mit all seinen Facetten – also auch seiner ökonomischen Dimension, der Arisierung – nachvollziehbar und greifbar vermitteln.

Lehrpläne anpassen

Doch wie kann das gelingen? Zuerst müssen die Lehrpläne angepasst werden. Die aktuelle Fülle dieser hindert Lehrkräfte daran, Themen, die nicht für das Abitur vorgesehen sind, aufzugreifen. Es ist schon schwierig genug, die jetzigen Lehrpläne im vorgegebenen Zeitrahmen zu durchlaufen. Den Lehrkräften sollten deshalb, zusätzlich zum Anpassen der Lehrpläne, Unterrichtsmaterialien zur Verfügung gestellt sowie Fortbildungen angeboten werden, um die Unterrichtsvorbereitung zum Thema Arisierung zu erleichtern. Hierdurch wird es außerdem möglich, neue Unterrichtsformate in die schulische Bildung zu integrieren, welche fächerübergreifend eingearbeitet werden sollten. Wie es mein Kunstkurs jetzt zur Einweihung des Mahnmals getan hat, wäre beispielsweise eine kreative Auseinandersetzung mit Arisierung im Kunstunterricht möglich. Die Kunstwerke ließen sich in der Innenstadt an historisch relevanten Orten ausstellen. Einige Schüler aus einem Deutschkurs unserer Schule sind heute Abend ebenfalls anwesend, um die Veranstaltung zu dokumentieren. Einige der daraus resultierenden Produkte werden wir in unserer Schülerzeitung veröffentlichen.

Fachkompetenz und Netzwerke nutzen

Des Weiteren könnten Schulausflüge zu Erinnerungsorten, wie dem neuen Mahnmal, dem Haus des Reichs oder dem Landherrnamt angeboten werden. Vielleicht in Form einer didaktisierten Radtour, ähnlich der, wie Evin Oettingshausen und Henning Bleyl sie konzipiert haben und anbieten. Auch könnten Schulen bei der Durchführung von Unterrichtseinheiten und Projekten beispielsweise mit der Landeszentrale für politische Bildung, dem Verein „Erinnern für die Zukunft” oder dem Denkort Bunker Valentin kooperieren, die über eine große Expertise im Bereich der Arisierung verfügen. Diese Fachkompetenzen und Netzwerke sollten seitens der Bremer Schulen unbedingt genutzt werden.

Rolle Bremens thematisieren

Ebenfalls sollte die besondere Rolle Bremens bei der Arisierung im Schulunterricht thematisiert werden. Der regionale Bezug ermöglicht den Schülern, aus anderen Blickwinkeln auf unsere NS-Vergangenheit zu blicken. Unser Bremer Hafen war damals ein wichtiger Umschlagpunkt für die jüdischen Besitztümer, welche aus den besetzten europäischen Ländern hierher transportiert wurden. Des Weiteren mussten die Familien, welche über den Seeweg ausreisten, ihre Güter in Bremerhaven zurücklassen. Bremische Behörden und Unternehmen, wie z.B. Kühne + Nagel, waren maßgeblich am Raub des jüdischen Eigentums beteiligt. So fanden hier in Bremen ebenfalls große Massenversteigerungen statt, zum Beispiel im Weserstadion. Wer nicht über die NS-Vergangenheit dieser Stadt Bescheid weiß, der läuft blind durch diese Stadt. So als würde er eine Augenbinde tragen. Es liegt in unserer Verantwortung, den Bürgern diese Augenbinde abzunehmen und ihnen die Arisierung und Bremens Mitschuld bewusst zu machen. Das mag vielleicht klischeehaft klingen, aber wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir uns an diese grausame und menschenverachtende Vergangenheit erinnern, damit sich die Geschichte nicht wiederholt. Sich mit Themen wie der Arisierung auseinanderzusetzen, kann somit präventiv gegen Diskriminierung und Rassismus sowie Rechtsextremismus wirken.

Kulturelles Gedächtnis stärken

Der vielleicht wichtigste Grund von allen, warum wir uns besonders jetzt mit unserer Erinnerungskultur befassen müssen, ist folgender: Die Möglichkeiten, sich mit Zeitzeugen des Nationalsozialismus auszutauschen, sind kaum noch gegeben. Das ist, was die Kulturwissenschaftler Aleida und Jan Assmann als kommunikatives Gedächtnis bezeichnen. Wie bei jedem geschichtlichen Ereignis geht dieses nach etwa drei Generationen langsam verloren. So verhält es sich nun ebenfalls mit den Zeitzeugen des Nationalsozialismus, welche sukzessiv versterben und oftmals schon zu alt sind, um von ihren Erinnerungen zu berichten. Als Folge dessen müssen wir unser sogenanntes kulturelles Gedächtnis durch die Erinnerungskultur stärken. Bereits im jungen Alter damit anzufangen, ist hierbei essenziell. Und diese jungen Menschen erreichen wir am einfachsten und effektivsten über unsere Schulen. Deshalb ist es unerlässlich, Themen wie die Arisierung, die lebensnah thematisiert werden können, in der schulischen Bildung zu integrieren. Für eine lebendige Erinnerungskultur und eine starke Demokratie.