Zum Inhalt springen

Senior:innen

Alterspolitik und soziale Verantwortung

"Vielleicht ist 70 bald das neue 35" - Senior*innenpolitische Fachtagung

Foto: GEW

Freiwilligenarbeit, die Rolle des Wohlfahrtsstaates, Ansätze für eine zeitgemäße Senior*innenpolitik – auf der 7. Senior*innenpolitischen Fachtagung „Alterspolitik und soziale Verantwortung“ der GEW Anfang Juli diskutierten Ältere mit Expert*innen aus Wissenschaft und Politik in Bonn zu einem breiten Themenspektrum der Senior*innenpolitik.

Signal an die Älteren

Was bedeutet alt werden in unserer Gesellschaft, wie kann eine zeitgemäße Politik für Senior*innen aussehen und wie können Menschen im Ruhestand wirkungsvoll an der Gesellschaft teilhaben? Mit solchen Fragen beschäftigte sich die Tagung. Gut 120 Teilnehmer*innen aus allen Bundesländern waren angereist, um sich darüber mit renommierten Expert*innen aus Wissenschaft und Politik auszutauschen. Gefördert wurde die Tagung vom Bundesfamilienministerium (BMFSFJ). Seit 25 Jahren findet etwa alle vier Jahre eine Senior*innenpolitische Fachtagung mit unterschiedlichen Schwerpunkten statt „Das ist ein klares Signal der GEW an die älteren Mitglieder: Ihr seid uns wichtig“, betonte Manfred Doetsch vom Bundessenior*innenausschuss (BSA), der, zusammen mit Ute Wiesenäcker, die Älteren in der GEW vertritt.

Solidarität, Selbstbestimmung und Teilhabe

Es ist kein Zufall, dass bei der Suche nach einer zeitgemäßen Politik für Ältere das Thema Freiwilligenarbeit eine wichtige Rolle spielt. Mehr denn je engagieren sie sich ehrenamtlich, in traditionellen Vereinen ebenso wie in Projekten oder in der Gewerkschaftsarbeit. „Was ist die Rolle der Senior*innen in der GEW? Wie schaffen wir es, für die Jüngeren Professionspolitik zu machen und für die Älteren eine Altersphasenpolitik?“, fragte Frauke Gützkow, im GEW-Vorstand zuständig für Senior*innenpolitik, zum Auftakt. „Alt werden ist vielfältig, geprägt von Lebenssituation, Biografie, Geschlecht und Herkunft. Wir brauchen eine Senior*innenpolitik, die auf respektvoller Solidarität zwischen den Generationen fußt und Älteren Selbstbestimmung und Teilhabe ermöglicht.“

Einsatz von Frauen

In seinem Fachvortrag über „Freiwilligenarbeit versus Wohlfahrtsstaat als Ressource“ erinnerte der Koblenzer Sozialforscher Stefan Sell daran, wie wichtig Freiwilligenarbeit für die Gesellschaft ist. 84 Prozent der fünf Millionen Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt. „Trotzdem gehen wir so schamlos schlecht mit der Ressource pflegende Angehörige um, die letztlich nichts anderes als Freiwilligenarbeit machen.“ Nutzt der Staat ehrenamtliches Engagement, um die Kosten im Sozialbereich niedrig zu halten oder kann Freiwilligenarbeit eine sinnvolle Ergänzung zu wohlfahrtsstaatlichen Dienstleistungen sein? Hildegard Theobald, Professorin für Gerontologie an der Universität Vechta, verglich die Rolle von Freiwilligenarbeit und Sozialstaat in Deutschland, Japan und Schweden. Dabei wurde erschreckend deutlich, dass in den ganz unterschiedlichen Versorgungssystemen eines allen gemeinsam ist: „Sie setzen auf den Einsatz von Frauen“, kritisierte Gützkow. „Das ist ein gesellschaftlicher Missstand, den wir dringend bekämpfen müssen.“

Senior*innenmitwirkungsgesetze

Bei der Debatte über Senior*innenpolitik in Kommunen, Land und EU brachte Klaus Beck, Bundessenior*innenbeauftragter des DGB, die Stimmung der Tagungsteilnehmer*innen auf den Punkt. Scharf wies er darauf hin, dass Politik für Ältere immer noch keine große Rolle in der politischen Landschaft spiele. Gerade mal acht Zeilen habe die Ampelkoalition der Senior*innenpolitik eingeräumt, in der Debatte über das allgemeine Gleichstellungsgesetz finde das Thema Altersdiskriminierung nicht statt. Beck erinnerte an eine zentrale gewerkschaftliche Forderung: „Damit die Anliegen Älterer gehört werden, brauchen wir endlich flächendeckend Senior*innen-mitwirkungsgesetze.“

Regina Görner, Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO), sagte, dass Senior*innen meist dieselbe Erfahrung machen: „Raus aus dem Erwerbsleben, heißt raus aus allem. Das gilt sogar fürs Ehrenamt.“ Viele Organisationen suchten vor allem 30- bis 35-Jährige, beobachtet Görner, Ältere werden oft weggeschickt. „Aber das sind Menschen mit reichem Erfahrungsschatz und viel Zeit. Wir sollten uns für ein Umdenken einsetzen – dann ist vielleicht bald 70 das neue 35.“

Generationendialog

Wie sehr der Generationendialog derzeit viele in der GEW umtreibt, wurde in der lebhaften Debatte mit Vertreter*innen von Junger GEW, Deutschem Bundesjugendring und des LSA Thüringen sichtbar. Alle sprachen sich für mehr Austausch und eine engere Zusammenarbeit von Alt und Jung aus. Franziska Hense von der Jungen GEW und Gabriele Matysik vom BSA Thüringen berichteten vom fruchtbaren Miteinander bei einer gemeinsamen Tagung in Erkner im Juni. Daher waren sich die Tagungsteilnehmenden darüber einig: Es braucht mehr gemeinsame Veranstaltungen für Alt und Jung auch in der Gewerkschaftsarbeit.

Vielfältige Anregungen

Das Themenspektrum der Workshops umschloss wesentliche Arbeitsfelder der senior*innenpolitischen Arbeit der GEW: Alter(n)sgerechte Arbeit, Leben mit der Digitalisierung, Pflegezeit für Angehörige tragfähig gestalten, Altersbilder hinterfragen, selbst reparieren und sich im Alltag organisieren, intergenerationelles Wohnen, sichere, flexible Mobilität für Senior*innen und Altersarmut von Frauen bekämpfen. Die in den Workshops entwickelten Handlungsoptionen wurden von den Gastgeber*innen des BSA formuliert und in der zusammenfassenden Schlussrunde im Plenum diskutiert. Der facettenreiche Input der Tagung gab allen Teilnehmenden vielfältige Anregungen, um die eigene gewerkschaftliche und ehrenamtliche Arbeit weiterzuentwickeln.

Spürbares Wir-Gefühl

Und wohl lange nicht mehr war das Wir-Gefühl der GEW-Senior*innen so spürbar, wie beim abendlichen Kulturprogramm. Die Sängerin Petra Bassus sang, begleitet von der Gitarristin Marcella Hagenauer, flammende Chansons über das Leben, Leidenschaft und politisches Engagement – und viele der 120 Teilnehmenden dieser Senior*innenpolitischen Tagung sangen ausgelassen mit.