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Schwerpunkt

„Zeugnistexte können auch demotivieren“

FDP-Bildungspolitiker Prof. Dr. Hauke Hilz über die „Bildungsrevolution“, mehr Gestaltungsspielraum und Schulnoten in der Grundschule

Foto: FDP

Warum haben Sie sich mit dem Satz „Bildungsreform war gestern, wir brauchen eine Revolution“ zitieren lassen?

Wir werden mehr als 20 Jahre Lehrkräftemangel haben. Wir müssen mit den Lehrkräften, die uns zur Verfügung stehen und die wir in den nächsten 20 Jahren bekommen, auskommen. Deswegen muss man über neue Wege nachdenken, auch Unterricht neu zu gestalten. Wie kann man die digitalen Möglichkeiten nutzen, um besser individuell geförderten Unterricht zu haben und gleichzeitig mit dem Personal auszukommen. Vielleicht muss man auch daran denken, wegzukommen von den klassischen 20 bis 25 Kindern in einem Klassenraum, eine Lehrkraft dazu und dann machen wir Unterricht.

Was würde die FDP – wenn sie könnte – im Bremer Bildungswesen „revolutionieren“?

Wir brauchen verbindliche Standards, um bei der Digitalisierung an den Schulen voranzukommen. Wir werden da nicht auf Freiwilligkeit setzen, sondern auf klare Vorgaben. Wir brauchen mehr Schulautonomie. Das heißt mehr Aufgaben, die die Schulen selbst entscheiden und nicht die Behörde. Denn überall dort, wo Gestaltungsspielraum gegeben ist, dort blühen die Schulen auf. Wir wollen Modellprojekte, die gut funktionieren, übertragen, wie zum Beispiel jahrgangsübergreifende Unterrichte, gerade in den sozial benachteiligten Schulen. Wir wollen den Ganztagsschulausbau vorantreiben. Das ist ein wichtiger Faktor für Bildungserfolg und Bildungsgerechtigkeit. Und wir wollen Schulnoten wieder einführen.

Das Bildungsressort muss derzeit mit vielen Negativschlagzeilen leben. Beneiden Sie Ihre Kollegin Sascha Aulepp um ihren Job?

Ich beneide niemanden um einen Job. Man muss aber von der Bildungssenatorin mehr erwarten als das, was bisher passiert. Ein krasses Beispiel ist das Sprachförderkonzept, das es immer noch nicht gibt. Es ist beschlossen, aber nicht umgesetzt. Es ist schlimm genug, dass wir in Bremerhaven kommunal ein Sprachförderkonzept aufsetzen und finanzieren mussten, damit überhaupt etwas passiert.

Nehmen wir mal an, die FDP hat in einer Koalition Regierungsverantwortung. Würde Ihre Partei auch das Bildungsressort übernehmen?

Man muss überlegen, in welcher Konstellation man dann regiert und welcher Koalitionspartner was machen könnte, aber wir sind natürlich bereit, Verantwortung zu übernehmen. Und das gilt für alle Ressorts.

Viele Expert:innen halten Noten ab Klasse drei für falsch. Keine Bremer Grundschule möchte zu Notenzeugnissen zurück. Warum fordern Sie genau das?

75 Prozent der Menschen in Bremen und Bremerhaven wollen Noten ab Klasse 3, weil sie die Zeugnisse nicht mehr verstehen. Das hat eine Umfrage ergeben. Da müssen wir doch etwas an den Zeugnissen ändern. Das ist ein großes Problem.

Eine Umfrage ist für Sie eine stärkere Leitlinie als die Überzeugung der Expert:innen?

Nein, die Umfrage ist für mich keine stärkere Leitlinie, aber es gibt auch Experten, die zu Fragen der Motivation und Demotivation bei Zeugnissen differenziert haben. Ja, Noten können motivieren, wenn sie gut ausfallen, und demotivieren, wenn sie schlecht ausfallen, aber Texte können das auch. Der Kernpunkt ist, dass Noten verstanden werden, der Text in vielen Fällen nicht.

Der Fachkräftemangel ist ein akutes Problem in Kitas und an Schulen. Was ist aus Ihrer Sicht kurz- und langfristig zu tun?

Kurz- und mittelfristig muss man die Studienplätze für Lehrämter an Bremer Hochschulen ausbauen. Es kann nicht sein, dass wir noch den Numerus clausus haben. Wir müssen so viele Plätze anbieten, dass alle, die Lehramt studieren wollen, es auch können. Wir müssen auch im Bereich der Erzieherinnen und Erzieher die Kapazitäten erhöhen. Und wir müssen bei der Anerkennung von Berufsqualifikationen ausländischer Lehrkräfte, aber auch von Quereinsteigern besser werden. Auch Pädagoginnen und Pädagogen, die nur ein Fach studiert haben, müssen zugelassen werden. Wir brauchen gut ausgebildete Lehrkräfte, die zwei Fächer studiert haben, aber weil wir sie nicht in ausreichender Zahl haben, müssen wir zu dem Mittel greifen.

Sie lehnen den Bremer Bildungskonsens ab, wollen „Leistung“ stärker in den Fokus rücken und plädieren für Neugründungen von Gymnasien? Für diese Positionen finden Sie kaum Mitstreiter:innen.

Das weiß ich nicht. Wir müssen das Gymnasium so ausbauen, wie es nachgefragt wird. Insofern sind wir der Meinung, dass wir auch weitere Gymnasien in Bremen brauchen. Die Nachfrage in Bremerhaven ist derzeit für ein Gymnasium ausreichend.

Wie ist Ihre Haltung zur Inklusion?

Inklusion ist richtig und wichtig. Sie muss personell entsprechend ausgestattet werden.

Sollten auch Gymnasien einen Beitrag leisten?

Natürlich. In dem Maße, wie sie es können. Bei den Kindern mit Beeinträchtigungen gibt es auch leistungsstarke, die auf jeden Fall auch auf dem Gymnasium beschult werden sollten. Bei den Gymnasien muss man gucken, wie der Leistungsstand ist und wie man das einbinden kann.