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Arbeitszeiterfassung

Warum verschenkt ihr Jahr für Jahr bis zu 7500 Euro?

Aktion „Gläserne Schule“ als guter erster Schritt

Foto: Shutterstock/GEW

Damit ein Weg aus der Bildungskrise überhaupt möglich ist, gilt es, die materielle Basis zu erfassen. Es geht bei der Erfassung der real geleisteten Arbeitszeit ja nicht um irgendwelche grundlegenden Umwälzungen, sondern schlicht um die Feststellung eines Ist-Zustandes. Jede Projektplanung beginnt mit der Frage: Wo stehen wir? Warum verweigern Politik und Bildungsbürokratien diesen Schritt in der Personalbewirtschaftung, obwohl er doch die Voraussetzung für jegliches künftiges planvolles Vorgehen ist? Die schwierige Erfassung der Lehrkräftearbeit kann es nicht sein. Bei anderen Berufsgruppen im Öffentlichen Dienst funktioniert das völlig problemlos, wie z.B. bei den Richter*innen. Misstrauen die Dienstherren den Lehrkräften etwa? Bedarf es einer komplizierten gesetzlichen Regelung für die Erfassung der reinen Arbeitszeit? Nein, man muss es nur tun. Warum es dazu eine Abstimmung unter den Bundesländern braucht, wie es die bremische Senatorin öffentlich verbreitet, ist nicht nachvollziehbar. Lehrkräfte sind Kommunalbeamt*innen, und Fragen von Arbeitsorganisation werden von den jeweiligen Dienstherren geregelt.

Zugespitzte Lage

Es gibt also keinen Grund, die Ist-Aufnahme zu verweigern, es sei denn, man will die reale aktuelle Situation einfach nicht zur Kenntnis nehmen, weil dann die dramatisch zugespitzte Lage in den Bildungseinrichtungen für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sichtbar wird und zu intensiven politischen Diskussionen führen würde. Das erinnert mich an die Reaktion des Innenministers nach der Absage eines Fußball-Länderspiels, der die Bekanntgabe von Hintergründen zu dieser Maßnahme verweigerte und sinngemäß damit begründete, dass die Bevölkerung dadurch möglicherweise beunruhigt sein könnte.

Arbeitsverdichtung als Lückenfüller

Das ist am Beispiel unserer Kolleg*innen der Polizei gut nachvollziehbar. In deren Ressort liefen 2021 über 370.000 Überstunden auf – aktuell sind es wieder mehr als 300.000. Im Schulbereich, der deutlich größer ist, waren das null Stunden, weil die erhöhten Aufwendungen wie im Bildungsbereich seit Jahrzehnten üblich durch eine Verdichtung der Arbeit für die Beschäftigten erbracht wurden. Die enormen Überstunden bei der Polizei mussten, weil ein individuell einklagbarer Rechtsanspruch besteht, vergütet werden. Der Innensenator war aufgrund des politischen Drucks gezwungen, die Anzahl der Stellen zu erhöhen. Und im Bildungsbereich? Keine politischen Debatten, und es wird weiter versucht, die bestehenden Lücken durch Arbeitsverdichtung zu schließen. Die für eine positive Entwicklung notwendige Handlungsdimension wird verschleiert und somit die Chance vertan, über politische Auseinandersetzung eine grundlegende Verbesserung der Situation zu erreichen. Ein solches Vorgehen ist gegenüber den Beschäftigten nicht nur rechtswidrig, respektlos und dumm, weil damit die künftigen Herausforderungen nicht bewältigt werden, sondern die Folgen der Überlast in den Kollegien werden die Misere weiter verschärfen. Langfristausfälle, innere und auch formale Kündigungen werden zunehmen und der Beruf wird immer unattraktiver.

Aussitzeritis

Dabei wird ein weiteres Aussitzen durch die Kultusminister*innen nicht durchhaltbar sein.  Die Form der häuslichen Arbeit, wie die Lehrkräfte sie traditionell leisten, greift im allgemeinen Arbeitsleben in Form des Homeoffice immer weiter um sich. Damit werden auch die Normierungen des Umgangs weiter zunehmen. Das bezieht sich nicht nur auf die Erfassung der Arbeitszeit, sondern auch auf viele andere daraus entstehende Regelungsnotwendigkeiten. So ist es schon jetzt unumstritten, dass die Arbeitgeber die im häuslichen Bereich eingesetzten Arbeitsmittel stellen müssen, also PC, Telefon, Verbrauchsmaterial und möglicherweise sogar ein Entgelt für die Nutzung der Privaträume. Die Kultusminister*innen haben überhaupt keine Chance, ihre Politik des „weiter so“ und der tendenziellen Verschleierung der Handlungsnotwendigkeiten auch nur noch mittelfristig durchzuhalten.  Jede weitere Verzögerung wird die Krise im Bildungsbereich verschärfen. Wahrscheinlich hoffen sie einfach darauf, den nächsten Wahltermin unbeschadet zu überstehen.

Überstunden-Klage

Die Kollegien ertragen dies erstaunlich geduldig, wohl auch, weil sie vor lauter Arbeit den Kopf für ihre eigene Interessenvertretung nicht frei bekommen. Es geht aber auch anders: In Baden-Württemberg haben zwei Kolleg*innen ihre Arbeitszeit zwei Jahre lang erfasst. Sie sind auf eine Jahresarbeitszeit in beiden Jahren von ca. je 2000 Stunden gekommen. Die gesetzliche Regelung fixiert eine Jahresarbeitszeit von 1.800 Stunden - die ist dort etwas höher, weil die 41-Stundenwoche gilt. Jetzt haben sie die Vergütung ihrer Überstunden beantragt. In Bremen würde die Überstundenzahl bei gleicher Arbeitsintensität ca. 240 Stunden p.a. betragen. Eine Stunde wird aktuell mit 31 Euro vergütet, d.h. bei dieser Modellrechnung für eine Vollzeitbeschäftigte käme eine Forderung von 7.440 Euro zustande, die der Dienstherr zahlen muss, weil die Arbeit ja geleistet wurde und er sie angenommen hat. Die Württemberger werden klagen.

Und in Bremen?

Warum machen wir das nicht auch in Bremen?  In der Schule wird nur die Anwesenheitszeit erfasst, die ist nach geltendem Recht komplett Arbeitszeit. Es brauchen zusätzlich nur die externen Aufgaben belegt zu werden, die auch mithilfe einer App erfasst werden. Nach einem Jahr ist zu sehen, wieviel Jahresarbeitsstunden geleistet wurden. Dann wird die Differenz zu der vom Bundesinnenminister fixierten Jahresarbeitszeit ermittelt. Für diese Stunden wird Überstundenvergütung beantragt. Wenn die Senatorin diese verweigert, besteht eine gute Basis für eine rechtliche Auseinandersetzung. Außerdem können während der Erfassungsphasen immer wieder Zwischenergebnisse im Bildungsmagazin veröffentlich werden. Eine solche mit geringem Aufwand betriebene Aktion „Gläserne Schule“ wäre doch ein guter erster Schritt, der im Erfolgsfall ein nettes Zubrot für alle Beteiligten bringen würde.

Von Elke Suhr

Für immer mehr Gewerkschaften ist eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeiten eine Kernforderung, nicht nur beim Streik bei der Bahn. Für die Beschäftigten vieler Bildungseinrichtungen wäre schon viel gewonnen, wenn sie nicht mehr die unbezahlte Mehrarbeit leisten müssten, die sie regelmäßig machen. Etliche Studien haben gezeigt, dass Lehrkräfte eine wöchentliche Arbeitszeit von 49 Stunden haben. Unsere Forderung zur Reduzierung des Stundendeputats bei Lehrkräften (mindestens um zwei Stunden auf den Stand von 1997) bleibt deshalb genauso bestehen, wie die Forderung nach mehr Vor- und Nachbereitungszeiten für pädagogische Mitarbeiter*innen.

Nicht so paradox, wie es erscheint

Die Forderung zur Reduzierung der Arbeitszeit ist nicht so paradox, wie sie auf den ersten Blick - auch in Zeiten des Fachkräftemangels - erscheint. Denn ein Blick hinter die Kulissen zeigt, dass die Belastungen durch lange Arbeitszeiten zu mehr Unfällen, mehr stressbedingten Erkrankungen und dadurch zu vermehrten Ausfällen führen. Im Gegensatz dazu steigert eine Reduzierung der Arbeitszeit die Motivation, hilft beim Gewinnen und Halten von Fachkräften und führt zu einer besseren Gesundheit, wodurch es zu weniger Ausfällen kommt (Windscheid-Profeta: Leben und Arbeiten in Flexibilität, Forschungsförderung Report 08/23).

Das Zögern der Arbeitgeber im Bildungsbereich bei der Arbeitszeit-erfassung zeigt, dass sie sehr wohl wissen, dass die meisten Lehrkräfte regelmäßig viel zu viel arbeiten. Sie scheinen sich vor den Konsequenzen zu scheuen, die sie daraus ziehen müssten. Den Forschungsergebnissen zu einer erhöhten Arbeitszufriedenheit und damit verbunden einer besseren Haltekraft und einer höheren Attraktivität des Berufs, die sich durch eine Deputatsreduzierung ergeben würden, scheinen sie im Augenblick nicht zu trauen.