Zum Inhalt springen

Schwerpunkt

Rot-Grün muss liefern

Ganztag: Neue Koalition schürt Hoffnung. Ein GEW-Kommentar aus Niedersachsen

Wencke Hlynsdóttir

Endlich: „Mehr Qualität im schulischen Ganztag - für hochwertige pädagogische Angebote“. Das hat die neue rot-grüne Landesregierung in Niedersachen in ihrem Koalitionsvertrag versprochen. Es wurde auch Zeit. Denn ein gut gemachter Ganztag gilt nachgewiesenermaßen als das beste Mittel gegen Bildungsungerechtigkeit! „Schließlich bieten Ganztagsschulen insbesondere Kindern und Jugendlichen mit Bildungsbenachteiligungen die Möglichkeit, von individueller Förderung zu profitieren“ (LiGa - Lernen im Ganztag). „Ganztagsschulen können zur Chancengleichheit beitragen, wenn ihr Ausbau sich an Qualitätsstandards orientiert, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gesetzt und politisch vorgegeben sein sollten (Studie „Ein ganzer Tag Ganztag - Auf der Suche nach Chancengleichheit“, Jungkamp und Pfafferott, 2020).

Zu wenig Fachkräftestunden

Aber offenbar scheut die Politik für einen qualitativ hochwertigen Ganztag die Kosten. Denn sie stellt dafür schlichtweg nicht die ausreichende Anzahl an Fachkräftestunden zur Verfügung, die es den Schulen ermöglichen würde, ein für die Eltern attraktives und qualitativ hochwertiges Modell anzubieten.

Um dies zu verstehen, muss man Folgendes wissen: Unter den Begriff „schulischer Ganztag“ fallen unterschiedliche Organisationkonzepte. So gibt es für die Schulen die Möglichkeit, ein verpflichtendes (gebundenes oder teilgebundenes) oder freiwilliges (offenes) Angebot vorzuhalten. Tatsache ist, dass die meisten Grundschulen das freiwillige Konzept wählen (müssen), welches wiederum nicht unbedingt von denjenigen angewählt wird, die am meisten davon profitieren würden.

Sparmodell mit Stolpersteinen

Im offenen Ganztag arbeiten neben den schulinternen Lehrkräften und pädagogischen Mitarbeiter*innen im Landesdienst additiv pädagogische Mitarbeiter*innen mit Fachexpertise und zunehmend viele ohne pädagogische Ausbildung vor Ort. Der schulische Vormittag wird in der Regel nach der Mittagszeit mit einem Betreuungsangebot durch außerschulische Träger und/ oder Kooperationspartner ergänzt. Als Qualifikation reicht an dieser Stelle bereits pädagogische Erfahrung. Gemeinsame (bezahlte) Zeit für pädagogische (Übergabe-) Gespräche gibt es nicht, ein gemeinsames abgestimmtes pädagogisches Konzept selten, eine Kontinuität von Bezugspersonen durch häufig wechselndes Personal nur rudimentär. Ein Sparmodell mit Stolpersteinen für die Bildungsgerechtigkeit der Kinder und für die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten.

Qualität durch Übergangslösungen?

Um qualitativ besser zu werden, braucht es dringend ausreichend Lehrkräfte – die fehlen aber zunächst einmal auch für den Unterricht – sowie unterschiedliche pädagogische Fachkräfte, also sogenannte multiprofessionelle Teams. Allerdings herrscht nicht nur bei den Lehrkräften, sondern auch beim pädagogischen und therapeutischen Fachpersonal ein eklatanter Fachkräftemangel. Es wird kaum möglich sein, neues, pädagogisch und therapeutisch ausgebildetes Personal für den Ganztag zu gewinnen. Herausfordernd kommt dazu, dass ab 2026 der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung beschlossen wurde. Um die personellen Lücken für diese Anspruchsvorgaben zu schließen, werden weitere Fach- und Lehrkräfte benötigt. Die gute alte Quadratur des Kreises.

Angesichts des jetzt schon existierenden Fachkräftemangels ein nur zu lösendes Problem, wenn Abstriche in der fachlichen Ausbildung gemacht werden. So kündigt Rot-Grün bereits realitätsnah an, dass angesichts des Fachkräftemangels Schulen kurzfristig durch Übergangslösungen „durch zusätzliches Personal“ unterstützt werden sollen. Welches zusätzliche Personal kann das sein?  Doch wohl nur bestmöglich nachqualifiziertes und geschultes. Hierfür gilt es Geld in die Hand zu nehmen, um die Bedingungen für die Kinder, Eltern und Beschäftigten nicht noch schlechter werden zu lassen. Was sonst soll es heißen, wenn die Koalition Qualität verspricht?

Alternativlose Forderungen

Unsere Forderungen für Qualität im Ganztag bleiben – auch in der Übergangszeit – alternativlos. Denn die Grundschule im Ganztagsbetrieb übernimmt die gesellschaftliche Verantwortung vor allem für den Ausgleich und die Verringerung von sozialer Benachteiligung sowie die Unterstützung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dafür braucht es im Wesentlichen: Mehr qualifiziertes Personal - für Bildung, Erziehung und Betreuung in kleineren Gruppen/ Klassen. (Bezahlte) Zeit - für gute pädagogische Arbeit im multiprofessionellen Team. Ausreichend Platz - für jedes Grundschulkind im Ganztag und für die Beschäftigten zum Arbeiten. Hochwertiger architektonischer Ausbau vom Lernort zum Lebensort mit Mensen, Differenzierungs-, Freizeit- und Freiräume für drinnen und draußen inkl. Räumen für Ruhe und Rückzug. Kostenfreies und hochwertiges Mittagessen.

Bloß keine Billiglösungen

Wir werden als GEW keine Billiglösung auf Kosten der Kinder, Eltern und Beschäftigten akzeptieren und erwarten zeitnah Antworten auf folgende Fragen: Welche Gelingensbedingungen formulieren Land und Schulträger für einen gemeinsamen Qualitätsrahmen für die ganztägige Bildung und Erziehung? Welche Rahmenbedingungen, wie z.B. multiprofessionelle und institutionsübergreifende Zusammenarbeit, bauliche/ räumliche Konzepte stellen sie auf. Mit welchen Konzepten werden Beschäftigungsverhältnisse geschaffen, die nicht prekär, sondern auskömmlich sind? Als Bildungsgewerkschaft werden wir unsere Expertise einbringen und unseren Einfluss geltend machen. Messen wir die Landesregierung bei der nächsten Wahl daran, ob sie in der Lage war, ihre Qualitätsversprechen einzulösen: Ganztägiges Lernen in hoher Qualität.