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Notmaßnahmen sind keine Problemlösung

Zur Kritik des Personalentwicklungskonzepts der Bildungsbehörde

Als Antwort auf eine Bürgerschaftsanfrage hat die Senatorin für Kinder und Bildung in der Deputationssitzung vom 08.09.2017 ein Personalentwicklungskonzept für Lehrkräfte vorgelegt. Bei näherer Untersuchung besteht es aus einer Auflistung bereits bestehender Aktivitäten, einer Reihe von – teils ungeeigneten – Notmaßnahmen und einigen nicht konkretisierten Ideen, was getan werden könnte.

Anlass der Berichtsbitte in der Bürgerschaft waren die offensichtlichen und sich verschärfenden Mängel in der Lehrkräfteversorgung der Schulen. 50 Stellen konnten zum Schuljahresanfang an den allgemeinbildenden Schulen Bremens nicht besetzt werden. Nur 93% des Unterrichts werden dort von Lehrkräfte mit zweitem Staatsexamen ausgefüllt. Über 150 Stellen sind mit mehr ca. 500 Vertretungskräften ohne abgeschlossene Ausbildung besetzt. Der Anteil ist gegenüber dem letzten Schuljahr noch gestiegen. Seit Jahren fehlen Lehrkräfte mit sonderpädagogischer Qualifikation, obwohl der Bedarf durch die Inklusion ständig steigt.

Die Autoren des Konzepts beklagen am Anfang, dass die Universitäten zu wenige Lehrkräfte ausbilden und eine bundesweite Konkurrenz um Fachkräfte entstanden ist. Dieser Umstand zeigt die Unfähigkeit der Kultusministerkonferenz in ihrer Gesamtheit zu angemessener Ressourcenplanung, insbesondere seitdem die Universitäten in den wirtschaftlichen Wettbewerb geschickt wurden und in ihrer Konkurrenz um Forschungsgelder die Lehrer*innenausbildung vernachlässigt haben.Aber der beklagte bundesweite Mangel ist nur die halbe Wahrheit: Es gibt einen großen Anteil hausgemachter Ursachen.

Fehlende Analyse der Ursachen - fehlende Konsequenzen

Da die größte Zahl der Bremer Lehrkräfte Ende der 1970er Jahre eingestellt wurde und danach ein langer Einstellungsstopp folgte, haben wir es seit einigen Jahren mit einer hohen Zahl von Pensionierungen zu tun. Es war absehbar, dass der Einstellungsbedarf besonders hoch ist. Die GEW hat oft genug darauf hingewiesen. Die Lage erforderte eine rechtzeitige Aufstockung der Ausbildungskapazitäten. Aber stattdessen wurden viele Ausbildungsplätze weggekürzt: An der Universität wurden die Studiengänge Behindertenpädagogik, Sport und Deutsch als Zweitsprache abgeschafft und dann auch noch 100 Referendariatsplätze abgebaut. Durch diese Maßnahmen, die gegen den Widerstand der GEW durchgesetzt wurden, ist jetzt die Not groß.

In der Konsequenz muss es jetzt darum gehen, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele möglichst gut qualifizierte Fachkräfte auszubilden. Diese Quadratur des Kreises kann nur gelingen, wenn massiv in die Qualität und Quantität der Ausbildung investiert wird. Aber genau dies sieht das Personalentwicklungskonzept der Behörde nicht vor. Und so bleibt es ein überwiegend hilfloses Stückwerk.

Fortschreibung des Mangels

Neben der Altersstatistik ist die Prognose des kommenden Bedarfs eine wichtige Planungsgrundlage. Zwar wird im Behördenpapier der kommende Anstieg der Schüler*innenzahl einkalkuliert, aber eine Verbesserung der Schüler/Lehrer-Relation, die in Bremen schlechter ist als in den meisten Bundesländern, wird nicht geplant. Angesichts des Förderbedarfs in der Inklusion und für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund wäre dies aber dringend geboten.

Ersatz von Lehrer*innen durch Kräfte ohne Lehramtsexamen

Viele im Papier vorgesehene Maßnahmen zielen darauf ab, Lehrkräfte durch anderes Personal zu ersetzen. So sollen Diplom-Behindertenpädagog*innen statt fehlender sonderpädagogischer Lehrkräfte eingestellt werden. Eine weitere neu geschaffene Gruppe von „Unterstützendem Lehrpersonal“ soll Lücken stopfen. Das erinnert an frühere Krisenzeiten, in denen „Hilfslehrer“ ohne Absicherung und mit geringer Bezahlung beschäftigt wurden.

Ausbau von Notmaßnahmen

Viel Wert wird im Konzept auf die Qualifizierung von Seiteneinsteigern gelegt. Es soll u.a. ein neuer „Seiteneinstieg Q“ geschaffen werden. Der Seiteneinstieg von Akedamiker*innen aus anderen Berufen ist in Zeiten des Mangels eine legitime Maßnahme – aber er bleibt eine Notmaßnahme und ersetzt keine reguläre Ausbildung für das Lehramt. Außerdem werden im Papier keine Angaben über die Entlastung für diejenigen gemacht, die diesen schwierigen Weg gehen.

Geradezu genial scheint der Behörde die Idee zu sein, Vertretungsunterricht von Studierenden zum Bestandteil ihrer Ausbildung zu deklarieren und ihnen für diese Tätigkeit Studienanteile anzuerkennen. So gibt man der Not den Anschein der Tugend. Mit wissenschaftlich begleiteter Praxiserprobung als Teil des Lehramtsstudiums hat diese Idee nichts zu tun, zumal noch nicht einmal angedacht ist, dass diese Vertretungskräfte in ihrer Praxis an der Schule angemessen begleitet und unterstützt werden.

Der einzige Fortschritt, den das Papier bei der Auflistung von Notmaßnahmen enthält, ist das Zugeständnis, dass die schon laufende Weiterbildung von Lehrkräften aus den Schulen für das Fach Inklusive Pädagogik nun nicht mehr zu Lasten der abgebenden Schule erfolgen soll. Die Entlastungsstunden werden ganz von der Behörde übernommen.

Keine Investitionen in die Ausbildungsqualität

Eine wichtige Maßnahme, für die GEW und Personalrat lange gekämpft haben (u.a. mit der Weigerung, einem Einsatz von Studierenden sonst weiter zuzustimmen), war die Wiederaufstockung der Referendariatsplätze auf 550. Diese Maßnahme ist fast kostenneutral, denn mit zehn Stunden bedarfsdeckendem Unterricht finanzieren die Referendar*innen ihre Ausbildung zu einem großen Teil selbst. Gleichzeitig gilt aber die PEP-Quote des Senats weiter, die dem ausbildenden Landesinstitut für Schule kontinuierlichen Personalabbau vorschreibt. Auch eine bessere Ausstattung der Mentoren an den Schulen ist nicht geplant. Mit der PEP-Quote für das LIS wird eine Verschlechterung der Ausbildung vorprogrammiert.

Attraktivität des Lehramtsberufs: Einige Ideen, aber keine Umsetzung

Schließlich ist den Autoren auch aufgefallen, dass es für fertig ausgebildete Lehrkräfte nicht besonders attraktiv ist, in Bremen eine Stelle anzutreten. Andere Bundesländer bieten bessere Bedingungen. So sind in Niedersachsen die Pflichtstunden in den meisten Schularten niedriger und in Berlin werden Grundschullehrkräfte demnächst nach A 13 bezahlt. Was läge also näher, als zu diesen Ländern aufzuschließen? Aber die Autoren scheuen sich, diese Konsequenz zu ziehen. Als Verbesserungen werden Maßnahmen aufgeführt, die wegen der Länderkonkurrenz schon durchgeführt wurden (Zulage für Lehrkräfte mit der Besoldungsgruppe A 12) oder wegen der anfallenden Arbeit für das weiter Funktionieren der Schulen unabdingbar waren (zwei Stunden Ermäßigung für Lehrkräfte in den Schulen mit dem Sozialindex fünf).

Die „ultima ratio“: Lehrkräfte noch stärker belasten

Sollten die genannten Maßnahmen nicht ausreichend greifen, so zeigt die Behörde schon mal die Folterwerkzeuge: die „vorhandenen Ordnungsmittel“ sollen ausgeschöpft, d.h. Teilzeitanträge, Freistellungen und Frühpensionierungen sollen erschwert oder ganz gekappt werden. Solche Maßnahmen bewirken das Gegenteil vom Beabsichtigten: Viele Lehrkräfte sind nicht freiwillig in Teilzeit. Die überhöhte Pflichtstundenzahl und die persönlichen Umstände zwingen sie dazu. Genauso ist es mit der Frühpensionierung. Wer sich hier daran macht, die „vorhandenen Ordnungsmittel“ zu verschärfen, treibt den Krankenstand in die Höhe und setzt eine Negativspirale von Demotivierung und „Dienst nach Vorschrift“ in Gang.

Das ideologische Sahnehäubchen: Die„Selbstständige Schule“

„Die Schule der Zukunft ist eine (eigen)verantwortliche Schule, die im Rahmen von Zielvereinbarungen agiert“. So beginnen die Autoren ihre Ausführungen über die Aufgaben der Schulleitungen im Rahmen der Personalentwicklung. Seit nunmehr 17 Jahren (seit Willi Lemkes gescheiterter Idee, die Berufsschulen zu Anstalten des Öffentlichen Rechts zu machen) nimmt die Bildungsbehörde immer neue Anläufe die „selbstständige Schule“ einzuführen, u.a. um sich selbst von Aufgaben zu entlasten und sie den Schulleitungen aufzubürden. Gemeint war und ist meist nicht etwa pädagogische, sondern fast immer wirtschaftliche, und das heißt auch personalwirtschaftliche Selbstständigkeit – mit anderen Worten: Wettbewerb. Gleichzeitig wird an anderer Stelle beklagt, dass gerade die Schulen mit wenig attraktiven Arbeitsplätzen in den Problembezirken unter Lehrkräftemangel leiden. Dass dies das Ergebnis ist, wenn man dem Wettbewerb der Schulen um Lehrkräfte freien Lauf lässt, dieser Widerspruch interessiert nicht, wenn man die Monstranz der „Selbstständigen Schule“ weiter vor sich her tragen will. Zur Problemlösung leisten solche Überlegungen keinen Beitrag.