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Die Lüge von der Chancengleichheit

Europäische Standardisierung ist nicht Qualitätsverbesserung

Wirtschaftliche Interessen und Schule

Europäische Groß-Unternehmen, ihre Lobby, Politiker, die Bildungsentscheidungen treffen, haben schon seit langer Zeit ihre Interessen, ihre Forderungen an Bildung formuliert. So gab es bereits 1959 in Den Haag ein Treffen, welches den Mangel an Fachkräften in Technik und NW formulierte! Ziel war die Durchsetzung der Ideologie des „ewigen Wachstums“ und der Bildungsbereich sollte dieser Entwicklung angepasst wird. Das von ihnen sogenannte Humankapital als dritter Faktor neben Kapital und Arbeit musste und muss ausreichend qualifiziert zur Verfügung stehen. Bildungssystem als Lieferant von Arbeitspotenzial: Die OECD wurde 1960 gegründet. Die Konferenz in Washington 1961 „ Economic Growth and Investment in Education“ forderte einen höheren Bildungsstand als den, den es zu der Zeit gab, für den Bereich der Naturwissenschaften als „key to more and rapid meaningful economic growth“. Weder die wirtschaftliche noch die militärische Entwicklung wollte man der Willkür überlassen, sondern durch Bildung steuern. Man wollte eine Bildungs-Planung. Wegen der Formulierungen in vielen Länderverfassungen, die den mündigen Bürger im Auge haben/bzw. hatten, wurde Bildung natürlich immer auch für die Entwicklung der Bürger zu Demokraten im Munde mitgeführt, auch soziale Forderungen wie Ausnutzung der Begabungsreserven und gleiche Chancen, auch freier Zugang zur Bildung wurden formuliert. Im Kern ging und geht es aber um Investitionen für den Ertrag; eine Investition, die „a high rate of return“ gewährleisten sollte. Also keine Ausgaben ohne zählbaren Ertrag. So wird durchgehend die Illusion genährt, dass es Chancengleichheit, Bildungsgerechtigkeit, so wie „kein Zurücklassen auch nur eines Kindes“ (no child left behind), oder gar einen Zugang zur Bildung für Jederfrau geben könnte.

Aktuell das gleiche Bild: Sparmaßnahmen

Diese Forderungen werden in NRW im Wahlkampf von der SPD vertreten, von Schulz auf Bundesebene wieder belebt. Die Eltern, die Gewerkschaft, auch in Bremen, vertreten dies. Und es soll ohne Rücksicht auf Herkunft und Einkommen sein. Schauen wir uns um: Es gab und gibt es das bisher nicht. Und das Wachstum der Privatschulen in den EU-Ländern zeigt uns das Gegenteil an. Von Südeuropa und den Chancen der Jugendlichen dort mal völlig abgesehen. Wie überall im öffentlichen Sektor eigentlich aller Länder in Europa kämpft der Bildungsbereich, d.h. die Schulen, die Hochschulen, die Kindergärten, mittlerweile um eine Mindestausstattung, um überhaupt annähernd mit den Aufgaben fertig werden zu können. Der Haushalt, das Personal, die Schrottschulen, wie überhaupt der öffentliche Sektor werden auf ein Minimum heruntergefahren. Lehrkräften in Griechenland, Portugal, Spanien wurden die Löhne massiv gekürzt im Zuge der Rezession. Gleichzeitig gehen die Einkommen und Gewinne der oberen Zehntausend horrend in die Höhe. Mag sein, dass es den Anspruch gegeben hat, den Widerspruch zwischen emanzipatorischer, mündiger Bildung des Individuums einerseits und Bildung zum Erreichen des Wirtschaftswachstums zu lösen. Und als Ziel einer demokratischen Gesellschaft daran festzuhalten mag richtig sein. Was wir aber über die letzten Jahre in Europa und weltweit erleben ist eine massive Einflussnahme sogenannter Thinktanks wie Bertelsmann und sogenannter Fachleute, die unter dem Schirm der Bildungstheoretiker, der Bildungswissenschaft auftreten und den nationalen Kultus/Erziehungsministerien von außen Order geben, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um das Land in der Wachstumsspirale zu halten.

Wer hat Angst vor PISA, VerA... ?

Dafür haben sie sich schon vor einem Jahrzehnt subtile Mittel ausgedacht. Und wohlgemerkt, die OECD ist keine Bildungsorganisation! Wer kenn ihn nicht den Pisa-Schock ! In einer fragwürdigen Testerei wurden Daten erhoben und Postulate formuliert, die nicht einmal die Chance hatten unter Erziehungswissenschaftlern, pädagogischen Fachleuten, Lehrkräften diskutiert zu werden. Sie wurden übergestülpt und deren Auswertungen und Konsequenzen als Bildungsqualitätssteigerung angepriesen. Es wimmelt nur so von Qualitätsinstituten oder Schulinspektionen, die solch tolle Maßnahmen wie Ziel-Leistungsvereinbarungen aus der Wirtschaft in die Bildung transformieren möchten. Den Beweis für Erfolge dadurch ist man uns allerdings bis heute schuldig geblieben. Sogar die KMK bemängelte unlängst, dass doch jetzt genug getestet worden sei und man endlich konkrete Erfolge bzw. Vorschläge sehen möchte! Damit man überhaupt flächendeckend testen konnte, Sinn hin oder her, wurden 2004 die sogenannten Regelstandards eingeführt. Ab dem Zeitpunkt sprach man auch in Bremen von Behördenseite immer wieder von der „Implementierung der Bildungsstandards“. Diese konnten dann angeblich gemessen werden. So haben wir europaweit das Phänomen, dass wir inzwischen zwei Ebenen in der Bildungspolitik vorfinden: Die Tester, Vermesser, Vergleicher, Qualitätsinspektoren, Einordner mit ihren 5 Stufen, mittig der „Regelstandard“ mit 500 Punkten. Liegt ein Land 30 Punkte drunter oder drüber, wird mit Fortschritt oder Rückschritt entweder gelobt oder getadelt und dadurch der Druck verstärkt, weitere „Bildungsreformen“, bevorzugt in Richtung Input-Output-kompetenzorientiert durchzuführen, um nicht „den“Anschluss zu verpassen. Nennen wir es mal das Hamsterrad der Evaluationskreisläufe in Endlosschleife.Und diese möchten auch Kinder und Jugendliche mindestens in den Kernfächern in tausende von Einzelkompetenzen zerbröseln, um sie in sogenannte Kompetenzrasterbögen-und Zeugnisse einpressen und vergleichen zu wollen. Dies wird auf Dauer nicht gelingen, sondern den Widerspuch zu einer pädagogischen Praxis verschärfen. Ebenso sehen wir durch den Bolognaprozess für die Hochschule, die Lehrerausbildung in Bachelor und Master keinen Fortschritt. Im Gegenteil, Bachelorstudenten übernehmen Billigjobs an Schulen.

Pädagogik geht anders

Auf der anderen Seite haben wir Pädagogen, viele Erziehungswissenschaftler, wohlgemerkt nicht Bildungsforscher, eben die Praktiker in Kita,Schule und Hochschule. Unsere Kritiken an dieser Politik prallen bis jetzt weitgehend an der OECD und den hörigen KmKs ab. Aber die Proteste dagegen, dass die Qualität sinkt, die Bedingungen nicht mehr stimmen, immer mehr Kinder und Jugendliche abgehängt werden durch dieses Schulsystem, die nehmen zu. Weil auch Erfolge dieser großangelegten Umsteuerung in der Bildung ausbleiben.

Zusätzlich machen Thinktanks wie Bertelsmann ihre Verbesserungsvorschläge und drängen die Politiker. Dahinter stecken handfeste ökonomische Interessen, der Markt ist riesig, gerade auch bei der Digitalisierung von Schulen. Im Bildungsbereich an einem Strang zu ziehen, davon sind wir in Europa meilenweit entfernt, wenn das überhaupt erwünscht ist. Stand ist der, das für all die Veränderungen Kraft und Zeit gebraucht wird und der Prozess mittlerweile von der Schul-Basis völlig losgelöst ist. Eine Maßnahme löst die andere ab, aber keiner weiß mehr, wohin es gehen soll.

Not tut eine Debatte über pädagogische, demokratische Bildung und ein Eindämmen des Einflusses der europäischen Humankapitalprediger!