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Wissenschaftszeitvertragsgesetz

Für eine echte Reform des WissZeitVG

Eindrücke aus der #AktionswocheWissenschaft

Ein Sonderbefristungsrecht namens „Wissenschaftszeitvertragsgesetz“ sorgt seit 2007 für Diskussionen. Es ermöglicht, Wissenschaftler*innen jeweils vor und nach der Promotion bis maximal sechs Jahre zum „Zwecke der Qualifizierung“ zu befristen. In Forschungsvorhaben, die von Dritten für eine begrenzte Zeitdauer finanziert werden, kann theoretisch ein ganzes Berufsleben auf befristeten Stellen bestritten werden – solange, bis es mit dem nächsten Anschlussprojekt nicht mehr klappt und man aus dem System fällt.

Bundesweit ist die Anzahl der Befristungen in Hochschule und Forschung irrational hoch, neun von zehn Wissenschaftler*innen sind aktuell befristet. Unter diesen Bedingungen fällt es schwer, den Regel(lehr)betrieb aufrecht zu erhalten, und viele Wissenschaftler*innen sind nicht mehr bereit, bis Mitte 40 und länger mit der Unsicherheit zu leben, ob sie eine Bleibeperspektive in der Wissenschaft haben.

Reformdesaster

Die Bundesregierung hatte 2021 in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, eine Reform des WissZeitVG anzugehen. Die letzte Reform 2016 hat die Probleme nicht gelöst, sondern in Teilen sogar verschlimmert. Ein vom BMBF im März 2023 präsentiertes Eckpunktepapier musste aufgrund des großen Protests von Wissenschaftler*innen innerhalb weniger Stunden zurückgezogen werden. Seit dem 7. Juni liegt nun ein Referentenentwurf aus dem BMBF vor, der erkennbar wieder nicht die Interessen der Beschäftigten im Blick hat. Anstatt für Qualifikationsstellen nach der Promotion einen klaren und rechtlich verbindlichen Rahmen für Karrierewege zu entfristeten Stellen zu schaffen, wird mit einer sachgrundlosen Befristung bis zu vier Jahren hantiert, ohne gesicherte Perspektive auf eine Anschlussstelle. Auch für viele andere Probleme gibt es in dem Entwurf keine signifikanten Verbesserungen – so haben projektbefristete Wissenschaftler*innen (anders als qualifizierungsbefristete) weiter keinen Rechtsanspruch auf Vertragsverlängerungen zum Nachholen von Zeiten des Mutterschutzes und der Elternzeit!

Bundesweit denken …

Die GEW und weitere Organisationen hatten schon vor einiger Zeit für Mitte Juni zu einer bundesweiten Aktionswoche Wissenschaft aufgerufen. Ziel war es, den Druck auf Bund und Länder zu erhöhen, die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft grundlegend zu verbessern, die Debatten in die Hochschulen und in die Gesellschaft zu tragen und unsererseits aufzuzeigen, wie wir uns konkrete Verbesserungen der Arbeitsbedingungen vorstellen.

Auch in Bremen haben wir – im Gespräch mit Universität und Politik sowie im Dialog mit Kolleg*innen – die Strukturprobleme und Fehlentwicklungen des WissZeitVG sowie des untauglichen BMBF-Änderungsvorschlags angeprangert. Zusätzlich arbeiten wir kontinuierlich daran, im Land Bremen und an den einzelnen Hochschulen die Arbeitsbedingungen über Landesregelungen und Selbstverpflichtungen weiter zu verbessern.

… lokal handeln

Die Fachgruppe Hochschule und Forschung der GEW Bremen hatte dazu Anfang Juni eine Online-Diskussion mit Sarah Ryglewski (Staatsministerin beim Bundeskanzler und Bremer Bundestagsabgeordnete, SPD), Dr. Mandy Boehnke (Konrektorin der Universität Bremen für Internationalität, wissenschaftliche Qualifizierung und Diversität) und Ralf E. Streibl (Sprecher der Fachgruppe Hochschule und Forschung der GEW Bremen) veranstaltet. Ergänzt wurde die Runde durch Impulsstatements von mehreren Kolleg*innen, die schlaglichtartig strukturelle Probleme aus eigener Anschauung illustrierten.

Die Aktionswoche selbst startete mit einem Stand an der Universität, an dem wir gemeinsam mit Kolleginnen von ver.di und vom Personalrat über den aktuellen Stand informiert haben. Abgerundet wurde die Woche durch eine Informationsveranstaltung zum WissZeitVG, in der wir Interessierten die aktuellen Rechtsgrundlagen sowie die Reformvorschläge der GEW und des BMBF erläuterten. In den Diskussionen wurde offenkundig, wie sehr sich junge Wissenschaftler*innen große Sorgen um ihre berufliche Zukunft machen. Deutlich trat zutage, dass sich die Hochschulen bzw. die Wissenschaftslandschaft in Deutschland Sorgen um ihr Personal machen müssen. Denn nicht wenige Betroffene sind bereit, ins Ausland zu wechseln oder aber die Wissenschaft zu verlassen, um einem sicheren, entfristeten Vollzeitjob in einem anderen Bereich nachzugehen. Auch für die Gewinnung ausländischer Fachkräfte ist das deutsche Wissenschaftssystem in seiner jetzigen Form unattraktiv und intransparent.

Fazit

Die Aktionswoche hat gezeigt,

a)            wie dysfunktional das WissZeitVG ist und dass man durch breite Proteste den Gesetzgeber mit der Nase auf die Probleme stoßen muss;

b)           dass man über gesetzliche Mindestregelungen hinaus Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft durch freiwillige Selbstverpflichtung der Hochschulen attraktiver gestalten muss (ein Grund, warum sich die GEW Bremen für die Weiterentwicklung des Bremer Rahmenkodex Gute Arbeit an den Bremischen Hochschulen engagiert);

c)            dass es nötig ist, die in Bremen schon vor Jahren begonnenen Wege zu entfristeten neuen Personalstrukturen neben der Professur weiter zu entwickeln und auszubauen (an der Universität Bremen hat sich der Anteil entfristeter Stellen bei promovierten Mittelbauler*innen schon erfreulich erhöht);

d)           dass es wichtig ist, Kolleg*innen in der Wissenschaft frühzeitig aufzuklären – denn diese erkennen die sie betreffenden Probleme sonst oft erst, wenn es (fast) zu spät ist.

Was tun?

Tut das, was ihr auch sonst in der Wissenschaft selbstverständlich tut: Betrachtet und analysiert die Faktenlage – und sucht die Diskussion! Redet über eure Arbeitsverhältnisse mit dem Ziel, sie zu verändern. Denkt mit uns gemeinsam darüber nach, wie Wissenschaft besser organisiert werden kann und wie ein grundlegender Strukturwandel im Wissenschaftsbereich aussehen kann und muss. Macht deutlich, dass gesellschaftlich notwendige qualitativ hochwertige Lehre und Forschung einerseits und gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft andererseits zwei Seiten der selben Medaille sind – und dass dies nicht zum Nulltarif zu haben ist: Die mangelhafte Grundfinanzierung der Hochschulen und die hohe Abhängigkeit von jeweils nur kurzfristig eingeworbenen Drittmitteln verschärfen die Probleme immens, weil dadurch die Handlungsspielräume der Hochschulen im Hinblick auf Entfristungen und Gestaltung angemessener Arbeitsbedingungen massiv eingeschränkt werden. Mischt euch in gewerkschaftlichen und/oder akademischen Gremien, Fachverbänden und Diskussionsveranstaltungen ein. Tragt die Problematik aktiv in Politik und Gesellschaft. Wir freuen uns über Mitstreiter*innen.