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Schwerpunkt

„Es kommt bei KI auf den richtigen und wohldosierten Einsatz an“

Interview mit Yvonne Schiemann und André Sebastiani. Beide arbeiten im Referat Medien und Bildung in der digitalen Welt bei der SKB  Von

Welche Chancen gibt es durch den Einsatz von KI in der Bildung?

Lehrkräfte könnten durch den Einsatz von KI insbesondere von Routineaufgaben entlastet werden. Textgenerierende KI kann bereits jetzt Routineaufgaben erleichtern und bei der Planung von Unterricht unterstützen. Zum Beispiel wird die Differenzierung dadurch enorm vereinfacht. Mit einem einfachen Prompt kann ein fertiger Text für mehrere Niveaustufen umgeschrieben und ausgeben werden. KI kann auch zeitaufwändige Korrekturen enorm vorentlasten und beim Schreiben von E-Mails und Elternbriefen unterstützen. Adaptive Lernsysteme, die durch den Einsatz von KI immer leistungsfähiger werden, existieren bereits. Solche Programme generieren herausfordernde Aufgaben, erkennen Lernlücken, lassen diese schließen und geben direktes Feedback. KI kann sogar zur Bildungs- und Chancengerechtigkeit beitragen, da mit ihrer Hilfe beispielsweise längerfristige Projekte sinnvoll strukturiert werden können. Für Schüler kann KI dabei ein effektiver Lernbegleiter sein, unabhängig von ihrem familiären Hintergrund. Notwendige Voraussetzungen hierfür sind die kompetente Nutzung von KI-Anwendungen sowie die Einschätzung der Technologiegrenzen. Da KI in naher Zukunft alle Bereiche der Gesellschaft durchdringen wird, können durch den Einsatz von KI im Bildungsbereich Schlüsselkompetenzen für das Leben in der digitalen Welt erworben werden.

Gefährdet KI nüchternes Nachdenken und die Sinnlichkeit sowie das Gespür für sich und andere?

Künstliche Intelligenz ist ein Werkzeug unter vielen. Die Debatten um neue Medien und Technologien wiederholen sich dabei alle Jahre wieder. Man könnte in Ihrer Frage auch KI durch VHS, den PC oder Taschenrechner ersetzen und würde in der ewig gleichen Debatte enden. Letzten Endes kommt es immer auf den richtigen und wohldosierten Einsatz an. KI kann auch zum Nachdenken anregen. Sie kann mir beispielsweise Argumente und Gegenargumente zu einem Thema finden und zur kritischen Reflexion eigener Ansichten anregen. Man kann sie zur kreativen und sinnlichen Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Themen einsetzen. Sie kann z.B. kreative Bastelideen, Kochrezepte oder Schreibanlässe generieren. Insgesamt sehen wir gerade in den genannten Bereichen eher Stärken von KI.

Mit welchen ethischen Fragestellungen sind Lehrkräfte konfrontiert, wenn es um den Einsatz von KI in der Schule geht?

Künstliche Intelligenzen sind immer nur so gut wie die Daten, mit denen sie trainiert wurden. So kann es passieren, dass textgenerierende KI Vorurteile oder Rassismen reproduzieren, die in den Trainingsdaten enthalten sind. Ohne einen kritisch reflektierten Umgang mit den generierten Texten könnten sich Vorurteile verfestigen. Darüber hinaus müssen Datenschutz und Datensicherheit gewährleistet sein. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der KI-Anwendungen auf den Markt drängen, ist dies kein kleines Problem. Die Daten werden häufig auf Servern außerhalb der EU verarbeitet, und die Dienste verleiten oft dazu, persönliche Daten einzugeben. Wir würden uns daher wünschen, allen Schüler:innen und Lehrkräften eine sichere digitale Arbeitsumgebung anbieten zu können. Dies würde auch ein weiteres Problem angehen, nämlich das der Bildungs- und Chancengleichheit. KI ist eine sehr energieintensive Technologie, die nur begrenzt kostenlos zur Verfügung steht. Mit der exponentiell steigenden Leistungsfähigkeit von KI-Anwendungen stellt sich zunehmend die grundsätzliche Frage nach der Sinnhaftigkeit des eigenen Lernens. Warum soll ich etwas lernen, was die KI schneller und besser kann? Hier sind wir alle gefordert, die richtigen Antworten zu finden und das Bildungssystem zu reformieren.

Können Lehrkräfte den Einsatz von KI-Anwendungen durch Schüler:innen erkennen?

Nein, das ist insbesondere bei textgenerierender KI nicht mit hinreichender Zuverlässigkeit möglich und wird es vermutlich nie sein. Technische Lösungen liefern einfach zu viele falsch-positive und falsch-negative Ergebnisse. Würde man sich auf sie verlassen, würde man das Vertrauen zwischen Schülern und Lehrkräften nachhaltig zerstören. Eigentlich ist es auch die falsche Frage. Es sollte nicht darum gehen, eine neue Technologie mit einer anderen aufzuspüren, um ihren Einsatz zu verhindern. Vielmehr sollten wir die Herausforderung angehen, eine zeitgemäße Aufgabenkultur zu schaffen, die reflektierte und kritische Auseinandersetzungen mit Medien aller Art ermöglicht.

KI-Fortbildungen beim LIS sind in diesem Jahr alle ausgebucht. Werden zu wenige angeboten?

ChatGPT ist Ende November 2022 herausgekommen, und wir bieten bereits seit Anfang 2023 laufend Fortbildungen und Infoveranstaltungen dazu an. Wir haben einen Fachtag im Universum Bremen durchgeführt, der restlos ausgebucht war und für den wir gerade eine Folgeveranstaltung planen. Wir sind laufend an Schulen, geben Impulsvorträge und gehen mit den Kolleginnen und Kollegen in die Diskussion. Viele unserer Veranstaltungen bewerben wir aber gar nicht über das Fortbildungsverzeichnis, sondern bieten sie im Rahmen von schulinternen Fortbildungen an. Dazu sollten sich interessierte Kolleginnen und Kollegen gerne an uns im Referat 10 wenden.

Gibt es denn bereits Möglichkeiten, KI auch in Prüfungen einzusetzen?

Ein verpflichtender Einsatz ist im Moment nicht möglich, weil wir keine entsprechenden KI-Anwendungen zur Verfügung stellen. Bei Klausuren und anderen schriftlichen Prüfungen sind Hilfsmittel wie Smartphones oder iPads ja ohnehin untersagt, und der Einsatz wird als Täuschungsversuch gewertet. Ganz grundsätzlich bedarf es bei den zentralen Abschlussprüfungen Absprachen auf KMK-Ebene. Anders sieht es bei Projektarbeiten aus. Einige Schulen haben im Hinblick auf die Verwendung generativer KI bereits Regelungen getroffen. Natürlich darf Schüler:innen kein Nachteil entstehen, wenn Sie nicht auf KI-Anwendungen zurückgreifen. Wenn sie sich für den Einsatz entscheiden, sollten die eingesetzten Tools angegeben und die entsprechenden Textstellen gekennzeichnet werden. Außerdem sollten die verwendeten Prompts dokumentiert werden. So wird der Entstehungsprozess und die Auseinandersetzung mit der Thematik deutlich. 

Muss es ein Umdenken bei den Prüfungsformaten geben?

Dieser Punkt ist auch in der Kultusministerkonferenz unstrittig. Kompetenzen haben sich aufgrund der digitalen Transformation sehr stark verändert, jedoch nicht die Aufgaben und Prüfungen. Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken spielen in Prüfungen aber so gut wie keine Rolle. Hier ist ein Umdenken erforderlich, allerdings gilt es, ein dickes Brett zu bohren, denn das Thema betrifft ja auch die zentralen Prüfungen. Es bedarf einer engen Abstimmung unter den Ländern, die erfahrungsgemäß Zeit braucht. Angesichts der rasanten Entwicklungen im Bereich der KI ist es eine große Herausforderung für die Bildungsverwaltungen, Schritt zu halten. Ein Weg könnte z.B. sein, dass man den Prozess, den man zur Lösung einer Aufgabe durchlaufen hat, transparent macht, sodass sichtbar wird, wie ein Arbeitsergebnis zustande gekommen ist.

Verschärft KI die sozialen Ungleichheiten, indem sie nur für diejenigen zugänglich ist, die es sich finanziell leisten können?

Das ist eine Gefahr, die es zu verhindern gilt. Wenn man unser Bildungssystem zeitgemäß weiterentwickeln will, muss man Lehrkräften und Schülern einen sicheren Zugang zu generativer KI verschaffen.

Muss es bald das Fach Medienkunde geben? Oder muss zumindest das Thema KI in die Lehrpläne?

Medienkunde als Fach halten wir sogar für kontraproduktiv. Die KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ von 2016 sieht die Entwicklung von Medienkompetenz zu Recht als Querschnittsaufgabe aller Fächer. Digitale Geräte und Anwendungen sollen dort als Werkzeuge eingesetzt werden. Ein informatisches Grundverständnis ist aber notwendig, um mit den rasanten technischen Entwicklungen wie KI verantwortungsvoll umgehen zu können. Wir plädieren daher für Informatik als verpflichtendes Schulfach. Im Informatikunterricht geht es auch darum, technische Prinzipien und Funktionsweisen zu verstehen. Darüber hinaus ist Informatik im Kern angewandtes kritisches Denken, denn um programmieren zu können, muss ich Probleme zunächst formalisieren, um sie dann in logische Befehlsketten zu  übersetzen.

In Zeiten von Fake News wird die Transparenz der Quellen immer wichtiger. Ist in diesem Zusammenhang KI eine Gefahr?

KI erhöht die Menge an nützlichen Informationen, aber auch die Menge an Bullshit und Desinformation. Darin liegt natürlich eine Gefahr. Brandolinis Gesetz besagt, dass es eine Größenordnung mehr Energie benötigt, Bullshit zu widerlegen, als ihn zu produzieren. Alberto Brandolini hat diese Erkenntnis 2013 formuliert, durch die Anwendungen der künstlichen Intelligenz wird sie nun gewissermaßen auf Steroide gesetzt. Desinformationen werden immer schwieriger zu erkennen. Dadurch wird die Fähigkeit zum kritischen Denken immer mehr zu einer Schlüsselkompetenz für die digitale Souveränität. Wir planen zum kritischen Denken gerade eine Fortbildungsreihe in Kooperation mit dem Münchner Philosophen Nikil Mukerji.