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Arbeitszeit

Ein neues Spielfeld für den Arbeitgeber

Ex-Staatsrat Mark Rackles propagiert sein Arbeitszeitmodell

Foto: Shutterstock/GEW

Mark Rackles, ehemaliger Bildungs-Staatsrat aus Berlin, reist durch die Lande, stellt die Ergebnisse seiner Telekom-Studie vor und fordert die GEW überall auf, mit den Ländern in Verhandlungen über ein neues Arbeitszeitmodell einzutreten. Er empfiehlt ein Jahresarbeitszeitmodell, das Grundlage einer Globalzuweisung an die einzelnen Schulen bildet. Dort soll diese Zuweisung dann durch die Schulleitungen auf die einzelnen Kolleg*innen verteilt werden. Rackles‘ zentraler Ausgangspunkt ist die These, das Pflichtstundenmodell sei überholt. Es sei veraltet, ungerecht, unflexibel, unpädagogisch und ineffizient. Diese These ist nicht neu. Sie wurde in den 1990er-Jahren sowohl von vielen Kultusministerien als auch von Teilen der GEW-Spitze vertreten. Die Verhandlungen über ein neues Arbeitszeitmodell, die daraufhin geführt wurden, sind überall gescheitert, weil der Anteil des Unterrichts an der Gesamtarbeitszeit strittig blieb. Eine Ausnahme bildet Hamburg, das mit der einseitigen Einführung eines solchen Modells durch den Arbeitgeber heute die höchsten Unterrichtsverpflichtungen im Bundesgebiet aufweist.

Die Pflichtstundenzahl als verbindliche Obergrenze der Unterrichtsverpflichtung

Wer die Pflichtstunde in Bausch und Bogen als überholt bezeichnet, verkennt oder verschweigt, dass sie schon immer eine doppelte Bedeutung hatte:

  • Zum einen diente sie der Strukturierung der Unterrichtszeit in 45-Minuten-Abschnitte. In dieser Bedeutung ist sie sicherlich veraltet und bedurfte der Modifizierung. Dies ist schon jetzt an den Schulen eine erprobte Praxis. Doppelstunden und kurze Unterrichtsabschnitte, die oft pädagogisch sinnvoll sind, können leicht in Pflichtstunden oder Anteile davon umgerechnet werden. Betreuungsarbeit durch Lehrkräfte kann anteilig als Teil der Unterrichtsverpflichtung berechnet werden.
  • Die zweite Bedeutung allerdings ist hoch aktuell und schützenswert. Die Stundenzahl legt nämlich eine verbindliche Obergrenze der Unterrichtsverpflichtung fest. Und das ist eine allgemeine Schutzbestimmung zu Gunsten der Beschäftigten und eine historische Errungenschaft:
  • Sie ist eine Schutzbestimmung, weil der Unterricht immer eine besonders intensive Phase der Arbeit darstellt, die notwendige Erholungszeiten erfordert und gleichzeitig ein bestimmtes Quantum an Vor- und Nachbereitung nach sich zieht. Mehr Lehrverpflichtung bedeutet darüber hinaus nicht nur eine längere Unterrichtszeit, sondern auch mehr Lerngruppen mit zusätzlichen Korrekturen, mehr Kommunikation über Schüler*innen und vermehrte Elternarbeit.
  • Eine historische Errungenschaft ist sie insofern, als bis ins 19. Jahrhundert hinein allein die Lehrkräfte an den höheren Schulen eine solche Obergrenze hatten, während die Unterrichtsverpflichtung der Volksschullehrer*innen bedeutend höher lag und ungeregelt war. (Allerdings ist bis heute die geringere Wertschätzung der Arbeit in den unteren Klassenstufen durch eine höhere Pflichtstundenzahl noch nicht vom Tisch.)

Die jetzt gerichtlich angeordnete Messung der Gesamtarbeitszeit der Lehrkräfte ruft nicht nach einem neuen Arbeitszeitmodell. Vielmehr zeigt sie auf, dass Unterrichtsentlastungen auf der Tagesordnung stehen. Beispielhaft konnte das von der GEW Niedersachsen mit der von ihr in Auftrag gegebenen Arbeitszeitstudie der Universität Göttingen erreicht werden. Die in Reaktion darauf vom Kultusministerium eingesetzte Arbeitszeitkommission musste Empfehlungen herausgeben, die als ersten Schritt eine generelle Stundenreduzierung in der Primarstufe und mehr Entlastungsstunden in den anderen Schularten vorsahen. Bis heute fehlt allerdings noch der ausreichende politische Druck, diese Empfehlungen umzusetzen. Aber der Weg, um von einer Arbeitszeitmessung zu konkreten Entlastungen zu kommen, ist hiermit aufgezeigt.

Die gravierenden Tücken des Modells

  • Rackles macht die Jahresarbeitszeit zum Ausgangspunkt. Dieses Modell, das (ebenso wie das berüchtigte Hamburger Modell) so „gerecht“ daherkommt, indem es die Lehrkräfte scheinbar mit den anderen Arbeitnehmer*innen gleichstellt, ist für den Bereich der Schulen ein strategischer Irrweg. In Modellen, die die gesetzliche bzw. tarifliche Jahresarbeitszeit von ca. 1700 Stunden auf die Schulwochen (unter Berücksichtigung des Urlaubsanspruchs und der Feiertage) umlegen, ist das Ergebnis eine Wochenarbeitszeit von weit über 44 Stunden. Dies bedeutet eine regelmäßige Überschreitung der gesetzlichen bzw. tariflichen Wochenarbeitszeit. Sowohl der Gesundheitsschutz als auch die Tatsache, dass viel Vor- und Nachbereitung in den Schulferien stattfindet, werden ignoriert.
  • Das Modell beinhaltet zugleich eine Globalzuweisung von Arbeitsstunden an die einzelnen Schulen. Diese Praxis, nach der die Arbeitgeber seit langer Zeit streben, hat für sie entscheidende Vorteile: Die Verwaltung des Mangels wird nach unten delegiert.
  • Gerade zu einem Zeitpunkt, zu dem die Rechtsprechung die Arbeitgeber zu einer Messung der Gesamtarbeitszeit der Lehrkräfte zwingt, was im Ergebnis die Forderung nach Unterrichtsentlastungen unabweisbar machen wird, verschafft der Ruf nach Verhandlungen über ein neues Arbeitszeitmodell den Arbeitgebern neuen Bewegungsspielraum, sich dem Beweis ihrer Überlastung der Lehrkräfte zu entziehen. Sie können ein neues Spielfeld eröffnen, nachdem das alte sie unter Handlungsdruck gesetzt hat.

Worauf es jetzt ankommt

  • Die GEW sollte die Rechtsprechung nutzen, und die Personalräte sollten im Rahmen ihrer Mitbestimmung überwachen, dass die Messung der Gesamtarbeitszeit korrekt erfolgt. Die vom Göttinger Institut offengelegten Kriterien und Methoden sind dabei eine wichtige Hilfe. In Sachsen hat das Kultusministerium unter dem Druck der GEW bereits eingewilligt, mit einer Arbeitszeitmessung nach diesen Kriterien zu beginnen. Das sollte jetzt Bundesland für Bundesland angestrebt werden.
  • Aus den Ergebnissen sind dann Entlastungsforderungen abzuleiten, für die öffentlicher Druck erzeugt werden muss.
  • Und schließlich gilt es weiterhin, den Kampf um eine bessere Bildungsfinanzierung und um eine Erhöhung der Ausbildungskapazitäten zu führen. Uns wird nichts geschenkt, schon gar nicht durch ein neues Arbeitszeitmodell!