In einer Diskussion über den Bildungsfinanzbedarf muss zunächst einmal geklärt werden, wie wir diesen Finanzbedarf definieren. Man kann ihn sehr unterschiedlich ableiten, abhängig vom jeweiligen Gesellschaftsverständnis. In einem neoliberalen Modell beschränkt sich der Staat auf eine schmale Grundbildung oder er gibt sogar nur Zuschüsse für Privatschulen. Alle weitere Bildung muss privat bezahlt werden. Wir kennen dieses Modell aus den USA, wo man für einen Uni-Abschluss entweder reiche Eltern haben muss oder am Ende seines Studiums meist hoch verschuldet ist. Ein solches Modell ist bei uns vom Grundgesetz und der Landesverfassung nicht vorgesehen. Nach Art. 20 GG ist die Bundesrepublik ein demokratischer und sozialer Bundesstaat, und laut Bremer Landesverfassung wird das Recht auf Bildung durch öffentliche Einrichtungen gesichert. Die Länder haben "Bildungsstandards" vereinbart, die verbindlich zu erreichen sind. Das bedeutet: Der Staat hat alle Bildungseinrichtungen (bis auf die betriebliche Weiterbildung) ausreichend zu finanzieren und sich die dafür notwendigen Mittel durch öffentliche Einnahmen zu beschaffen. Es geht in der politischen Debatte also vor allem um die Höhe und die Absicherung der öffentlichen Bildungsausgaben. Mit diesen grundsätzlichen Vorgaben fängt die Suche nach den Kriterien jedoch erst an. Wie müssen die öffentlichen Einrichtungen ausgestattet sein, um vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Realitäten die vereinbarten Ziele zu erreichen? Brauchen wir in den sozialen Brennpunkten eine Schüler/Lehrer-Relation von 1:10 oder reicht eine von 1:20? Wie wird das Maß des Notwendigen ermittelt? Die Erfahrungswerte von Lehrkräften, SchülerInnen und Eltern sind hierfür eigentlich der verlässlichste Maßstab. Aber dieser Maßstab wird in der politischen Debatte nicht wirklich ernst genommen. Vielmehr werden Vergleiche angestellt, national und international, Vergleiche der Ausstattung, der sozialen Ausgangslagen und der erreichten formal messbaren Qualifikationen. Die Interpretationen dieser Vergleiche werden dann als politische Argumente verwendet. Man sollte dabei aber nicht vergessen, dass dies eigentlich nur ein Hilfsmittel ist und das maßgebliche Kriterium die Erfahrung in der Praxis bleibt. Deutschland im internationalen Vergleich Es ist inzwischen allgemein bekannt und seit dem Dresdener Bildungsgipfel von 2008 auch offiziell bestätigt, dass die deutschen Bildungsausgaben im internationalen Vergleich recht bescheiden ausfallen. Sie liegen weit unter dem OECD-Durchschnitt. Im letzten abschließend erhobenen Vergleichsjahr 2011 betrugen die öffentlichen Ausgaben für Bildung in Deutschland 4,4% des BIP, im OECD- und auch im EU-Durchschnitt betrugen sie 5,3%. Bund, Länder und Gemeinden gaben in Deutschland 2011 laut Bildungsfinanzbericht des Statistischen Bundesamtes 110 Mrd.€ für Bildung aus. Es fehlten also ca. 22,5 Mrd.€, um auch nur den OECD- und EU-Durchschnitt zu erreichen. Nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamtes sind die Ausgaben bis 2014 auf 120,6 Mrd. € gestiegen. Hierzu gibt es jedoch noch keine internationalen Vergleichszahlen. Nach Auffassung des bildungspolitischen Sprechers der Grünen im Bundestag, Özcan Mutlu, sind aktuell ca. 25 Mrd. € nötig, um den OECD-Durchschnitt zu erreichen. Aber wie schon gesagt sind diese Zahlen nur ein Hilfsmittel. Der einzige bisher vorgelegte Versuch, den Bedarf nicht aus Vergleichszahlen, sondern aus Ausstattungskennziffern zu ermitteln, war eine vom GEW-Hauptvorstand in Auftrag gegebene Studie mit dem Titel „Bildungsfinanzierung für das 21. Jahrhundert“ von H. Piltz, die 2011 abgeschlossen wurde. Sie legte Kriterien zu Grunde, die jeweils im mittleren bis oberen Drittel der OECD-Ausstattungsvergleiche lagen, also z.B. 60% Ganztagsschulquote, maximale Unterrichtsverpflichtung der Lehrkräfte von 25 Wochenstunden und eine SozialpädagogInnenstelle auf 150 SchülerInnen. Auf Basis solcher Kriterien bezifferte die Studie einen Mehrbedarf von 57 Mrd.€ für alle Bildungseinrichtungen in Deutschland, also für Kitas, Schulen, Hochschulen und Weiterbildung. Zur Erinnerung: Die Mehrkosten zur Erreichung der Ziele des Bildungsgipfels (7% des BIP als öffentliche und private Ausgaben für Bildung) wurden vom Statistischen Bundesamt 2009 mit 15 Mrd., von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik mit 45 Mrd.€ jährlich beziffert. Die 2011 von der GEW genannte Zahl geht aufgrund einer Analyse des realen Bedarfs darüber hinaus. Soviel zum generellen Mehrbedarf in Deutschland, der je nach Sichtweise zwischen 22,5 und 57 Mrd.€ jährlich liegt. Bei einem Ausgangswert von 110 Mrd.€ bedeutet dies, dass zwischen einem Fünftel und der Hälfte der aktuellen Ausgaben zusätzlich benötigt wird. Die Lage in Bremen
| Das Haushaltsportrait der Finanzsenatorin verzeichnete 2014 Ausgaben von 4,584 Mrd.€. Davon waren 612 Mio.€ als Zinszahlungen veranschlagt. Nach Berechnung des Statistischen Bundesamtes summierten sich die öffentlichen Bildungsausgaben des Landes im selben Jahr auf 0,943 Mrd.€. (Abbildung 1) Diese Zahl sagt uns zwar, dass Bremen 20,5% seines Haushalts für Bildung ausgibt, was 0,943 Mrd. aber im nationalen und internationalen Vergleich bedeuten, ist damit noch nicht geklärt. Dies ist auch nur über Umwege darzustellen, weil die internationale Bezugsgröße "% vom BIP" hier nicht angewendet werden kann. Die gesamtstaatlichen Einnahmen aus dem BIP werden je nach der Bevölkerungszahl und den Aufgaben auf die Bundesländer verteilt. Dabei wird die Einwohnerzahl der Stadtstaaten mit 135% berechnet. Dies trägt ihrer Funktion als Oberzentren ohne eigenes Umland und den daraus resultierenden besonderen Belastungen Rechnung. Mit dieser Einwohnerwertung erhöht sich der bremische Anteil an der bundesdeutschen Bevölkerung von 0,8% auf fiktive 1,08%. Von den gesamtstaatlichen Bildungsausgaben von 120,6 Mrd. € entfielen auf die Länder und Gemeinden 112,4 Mrd. Nimmt man nun an, dass Bremen seiner Einwohnerwertung entsprechende Bildungsausgaben zu tätigen hat (was bei der oberzentralen Funktion der Universität und der Berufsschulen mehr als gerechtfertigt ist), so müsste es 1,21 Mrd.€ für Bildung ausgeben. Mit 0,943 Mrd. wird dieses Volumen bei weitem nicht erreicht. Bremen müsste hiernach ca. 268 Mio.€ mehr ausgeben. Bezieht man in die Bedarfsberechnung darüber hinaus ein, dass Bremen wie Deutschland insgesamt bei den öffentlichen Ausgaben für Bildung hinter dem OECD-Durchschnitt bleibt, so müsste eine Erhöhung um national mindestens 22,5 Mrd.€ erfolgen. Der bremische Anteil daran läge bei ca. 220 Mio.€. Zusammen mit dem Defizit gegenüber einem angemessenen Anteil an den derzeitigen nationalen Bildungsausgaben ergibt das ca. 490 Mio.€ Mehrbedarf. Bewegen wir uns vom dünnen Eis der statistischen Durchschnittswerte auf das Feld der Ausstattungsmerkmale, so wird dieses Ergebnis bestätigt. In der GEW-Studie von 2011 wurde dem Land Bremen ein Mehrbedarf von ca. 510 Mio.€ bescheinigt, um mittlere bis gute Ausstattungsmerkmale im OECD-Vergleich zu erreichen. Die Unterfinanzierung der Bildung in Bremen ist im Bereich der Schulen besonders eklatant. Dies zeigt der Stadtstaatenvergleich des Statistischen Bundesamtes. Die öffentlichen Ausgaben pro SchülerIn an den öffentlichen Schulen betrugen 2014 in Berlin und Hamburg 7400 €, in Bremen waren es nur 6300 €. (Abbildung 2) Um dieses Defizit gegenüber den anderen Stadtstaaten auszugleichen, sind bei aktuell 81491 SchülerInnen im Lande Bremen schon 73,3 Mio. € nötig. In Bezug auf die Bildungsfinanzierung befindet sich das Land in einem Teufelskreis. Bremen ist ein Bundesland mit extremen sozialen Gegensätzen: Einerseits der höchste Anteil von Hartz IV-Empfängern und Kindern mit Migrationshintergrund, andererseits das zweithöchste BIP pro Kopf und eine hohe Millionärsdichte. Die Großstadtregion Bremen reicht weit über die Landesgrenze hinaus, die gut verdienenden Mittelschichten wohnen zum Teil im niedersächsischen Umland, was die Konzentration von Problemen in der Kernstadt erhöht. Vor diesem Hintergrund waren die schlechten PISA-Ergebnisse keine so große Überraschung, auch wenn sie jahrelang durch die Medien gingen. Wer so viele soziale Probleme kompensieren muss, täte gut daran, besonders viel in die Bildung zu investieren. Zugleich ist Bremen aber als Stadtstaat ohne Umland besonders hoch verschuldet. Eine langfristig angelegte Politik müsste trotzdem die notwendigen Bildungsausgaben tätigen – als Investition in die zukünftige Fähigkeit, hochqualifizierte Arbeit zu leisten und als Beitrag zum sozialen Zusammenhalt. Aber genau das wird dem Land durch die Schuldenbremse und die Unterschrift unter die Sanierungsvereinbarung verwehrt. Der sogenannte Sanierungspfad führt zum einer immer stärkeren Ausdünnung des sozialen Netzes. Dies wird im Bereich der Schulen besonders deutlich: Die Große Koalition hatte die Zahl der LehrerInnenstellen in der Stadtgemeinde Bremen bei damals steigender SchülerInnenzahl von ca. 5100 auf ca. 4400 zusammengekürzt. Dies führte zu einer solchen Verschlechterung der Schüler/Lehrer-Relation, dass Bremen weit hinter den anderen Stadtstaaten und auch hinter dem Bundesdurchschnitt zurückblieb. (Abbildung 3) 2007 wurde der Stellenabbau von der neuen Regierung zwar vorläufig beendet, aber gleichzeitig wurden in grober Verkennung der schwierigen Ausgangslage neue große Projekte mit erheblichem Personalbedarf beschlossen, insbesondere der Neuaufbau der Oberschule und die Einführung der Inklusion als erstes Bundesland, ohne die dafür notwendigen Neueinstellungen einzuplanen. Diese Projekte sind bis heute viel zu gering ausgestattet. Der Landesrechnungshof hat das 2012 in einem Bericht dokumentiert, der vom Senat aber ignoriert wurde. Hiernach benötigen die Schulen allein zur Absicherung der Inklusion und Entwicklung der Oberschule jährlich mindestens 20 Mio.€ mehr. | | Wie soll es weitergehen?
| Wenn wir uns nun die Wahlprogramme der Regierungsparteien ansehen, so wird wiederum auf die grundlegende Unterfinanzierung des Bildungsbereichs nicht eingegangen. Vielmehr werden neue Großprojekte angekündigt, wie die flächendeckende Einführung der Ganztagsschule im Grundschulbereich. Gleichzeitig wird der finanzpolitische Kurs bekräftigt, der rigide Haushaltskürzungen beinhaltet. Wir fragen: Wie soll das zusammen gehen? SPD, Grüne und CDU haben vor kurzem die Schuldenbremse in die Verfassung geschrieben. An alle Parteien ist die Frage zu stellen: Welche politischen Schritte sind geplant, um die Bremer Haushaltssituation zu verbessern? Denn mit der aktuellen Haushaltspolitik wird das einstmals gut ausgestattete Bremer Bildungswesen gründlich ruiniert. |
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