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Recht

Recht ist veränderbar

Enttäuschendes Urteil zum Beamtenstreikrecht, aber Aufgeben gibt‘s nicht

2009 und 2013 hatte die GEW Bremen auch die verbeamteten Lehrkräfte zum Streik aufgerufen, weil der Dienstherr einseitig die früher übliche zeit- und inhaltsgleiche Übernahme des Tarif-ergebnisses verweigerte und sich von den Protesten dagegen überhaupt nicht beeindruckt zeigte. 2009 beteiligten sich ca. 1500 GEW-Mitglieder, 2013 über 600 Kolleg:innen. Ich habe seinerzeit an allen Streikaktionen aktiv teilgenommen und daraufhin, wie viele andere Kolleg:innen, einen „Verweis“ bekommen. Das ist die geringste beamtenrechtliche Disziplinarmaßnahme. Der Verweis kommt in die Personalakte und wird nach zwei Jahren automatisch entfernt, wenn es nicht zu weiteren „Verfehlungen“ kommt. Also eigentlich eine Auszeichnung für aktive Gewerkschafter:innen.

Grundsätze aus dem Kaiserreich

Da wir aber angesichts der gnadenlosen Kürzungspolitik und der geringen Verhandlungsbereitschaft der öffentlichen Arbeitgeber das Streikverbot für verbeamtete Lehrkräfte nicht akzeptieren wollten, legten einige von uns einen Widerspruch gegen diese Disziplinarstrafe ein. Wir wollten auf diesem Wege dann auch gerichtlich prüfen lassen, ob die vordemokratischen Regelungen im deutschen Beamtenrecht tatsächlich auch im dritten Jahrtausend noch Bestand haben dürfen. Auch in Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gingen Kolleg:innen den gleichen Weg. 2018 bestätigte das Bundesverfassungsgericht die bisherige Rechtsprechung und das Streikverbot mit Bezug auf Artikel 33 Absatz 5 und die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“. Diese Grundsätze stammen aus dem 19. Jahrhundert und dem Kaiserreich! Es ist eigentlich unfassbar, dass der öffentliche Arbeitgeber als Dienstherr sich auf vordemokratische Grundsätze bezieht.

Gute Chance verpasst

Nun hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine gute Chance verpasst, dem obrigkeitsstaatlichen Beamtenrecht Deutschlands endlich ein Ende zu bereiten. Ich hatte auf einen anderen Ausgang gehofft, aber am 14.12.23 hat der EGMR entschieden, dass das Streikverbot für verbeamtete Lehrkräfte in Deutschland zulässig sei und nicht gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstoße. Begründet wird das Urteil mit der Auffassung, die Koalitionsfreiheit sei für Beamte in Deutschland trotz Streikverbot gewährleistet, weil starke Gewerkschaften wie die GEW auch anders auf Arbeitsbedingungen und Gehälter Einfluss nehmen könnten und weil es zudem die Möglichkeit gebe, im Angestelltenverhältnis als Lehrkraft zu arbeiten. Nicht befasst hat sich der EGMR mit den „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“, auf die sich deutsche Gerichte in ihrer Rechtsprechung zum Streikverbot für Beamte immer berufen.

Streiten, vielleicht auch streiken

Der Rechtsweg ist nun ausgeschöpft. Für mich bedeutet das aber nicht, dass die GEW das Streikverbot nun akzeptieren muss. Recht ist veränderbar. Die Kämpfe und Aktionen der Gewerkschaften in der Vergangenheit haben nicht nur Arbeitsbedingungen und Einkommen verändert, sondern auch neue, erweiterte Rechte für die Beschäftigten erstritten. Genau diesen Weg müssen wir gehen. Wir müssen dafür streiten und vielleicht auch wieder streiken, dass der Dienstherr mit uns und befreundeten Gewerkschaften eine grundsätzliche Reform des Beamtenrechts und des Disziplinarrechts vereinbart. Wir brauchen ein Beamtenrecht und ein Disziplinarrecht, das demokratischen Grundsätzen entspricht, den Beschäftigten angemessene Beteiligungsrechte an der Ausgestaltung ihrer Arbeitsbedingungen garantiert und sie nicht länger der Willkür des Dienstherrn ausliefert, wenn dieser keine Verhandlungsbereitschaft zeigt.