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GEW Gremien

Nun aber wirklich!

Das Stichwort „Bildung“ in den Koalitionsvereinbarungen 2023 – 2027, Teil 1

Die Ziele der Koalitionsparteien im Lande Bremen und der Stadt Bremerhaven weisen eine hohe Kontinuität aus. Für das Bundesland versprechen SPD, Grüne und Linke: „Wir schaffen echte Bildungschancen und bilden im Land Bremen die dringend notwendigen Fachkräfte aus“ (Zeile 37-38). Die Chancen der Menschen sollen „gerecht verteilt“ sein: „bei der Bildung sowie auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt“ (Zeile 16-17). Deshalb ist es das Ziel der drei Parteien, „dass alle Kinder unabhängig von ihrem Elternhaus, der Herkunft oder dem Wohnort ihre Potenziale auch in der Schule entfalten können. Wir werden dafür sorgen, dass mehr Schüler*innen einen Schulabschluss erreichen“ (Zeile 141-143). Für die Stadtgemeinde Bremerhaven formulieren die dortigen Koalitionäre von SPD, CDU und FDP ihre Ausrichtung wie folgt: „Bildung, Ausbildung und Arbeit sind aber der Schlüssel für Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben“ (Seite 5). Diese drei Parteien betonen: Sie stünden „für ein Bremerhaven, das niemanden ausgrenzt und diskriminiert“ (ebenda).

An dieser Stelle blättern wir einmal zurück. Im Jahre 2019 konstituierte sich eine rot-grüne Landesregierung. Sie stellte fest: „Bildung ist der Schlüssel zu einem aktiven und selbstbestimmten Leben, zu Teilhabe an der Gesellschaft, zu guter Arbeit und nicht zuletzt zur Bekämpfung von Armut“ (Zeile 2112-2113) und ergänzte: „Bildungschancen und Schulerfolg dürfen nicht von der familiären Situation, der Herkunft oder dem sozialen Umfeld abhängen“ (Zeile 2120-2121). Dazu würden „starke und verantwortliche Schulen“ gebraucht, „die eine verlässliche Unterrichtsversorgung gewährleisten und die die unterschiedlichen Begabungen und Fähigkeiten unserer Kinder und Jugendlichen fördern“ (Zeile 2123-2125). Heruntergebrochen auf die Stadt Bremerhaven (damals SPD/CDU-Koalition) liest sich das ähnlich: „Bildung ist der Schlüssel zu einem guten Start ...“ (Seite 7), und ebenfalls soll durch ein Personalentwicklungskonzept dem Unterrichtsausfall entgegengewirkt werden (vgl. Seite 8).

Kontinuität in den Zielsetzungen auf allgemeiner Ebene ist, wie angekündigt, nicht das Problem. Diese ist sogar einzufordern, da wir als Gewerkschaft in den vergangenen acht Jahren wiederholt nachweisen konnten, dass beispielsweise von einer „verlässlichen Unterrichtsversorgung“ ganz und gar nicht die Rede sein kann, und zwar nicht nur in Bremerhaven, sondern im gesamten Bundesland. Was aber soll nun in der bevorstehenden Amtszeit passieren, um diesen Perspektiven tatsächlich näher zu kommen?  Ist es mehr als die Beschwörung, „nun aber wirklich“ Verbesserungen folgen zu lassen? Oder geht es um eine Selbstbekräftigung der Wünsche einer Koalition, deren Substanz nebulös bleibt? Unterrichtsausfall, Fachkräftegewinnung (Attraktivität der Arbeitsplätze), Qualität, aber auch die inhaltliche Ausrichtung der Arbeit an den Schulen lauten einige der entscheidenden Kriterien, dies zu beurteilen.

Arbeitsbedingungen

Die kommunale Koalitionsvereinbarung stellt gleich zu Beginn dieses Abschnittes fest, dass sich der Personalmangel nur beheben lässt, „wenn die Ausbildungszahlen von Lehramtsstudent:innen erhöht und die Arbeitsbedingungen in den Schulen attraktiver gestaltet werden“ (Seite 8). So weit, so richtig. Nur: Mindestens der erste Teil der Aussage fällt in die Zuständigkeit des Landes und ist somit von Politiker*innen aus Bremerhaven schnell und folgenlos notiert. Die Landesregierung wird begeistert sein, wenn die Seestadt-Koalition den Kapazitätsausbau für Lehrämter an der Uni Bremen, die Absenkung des NC sowie die Verstetigung von Programmen für Quereinsteigende unterstützt.

Hinsichtlich der Attraktivität der Arbeit für Pädagog*innen wird in der Seestadt der Dauerbrenner „Entlastung von bürokratischen Aufgaben“ wieder hervorgeholt, der Einsatz für eine Fortführung der „erfolgreichen Referendar:innenausbildung“ angekündigt (Stand diese überhaupt infrage?) und eine „gezielte Steuerung der Lehrkräftezuweisung an die Schulen“ (Seite 8) erwartet. Wir erinnern daran, dass zu Beginn des letzten Schuljahres 66 der 1.339 Stellen für Lehrkräfte in Bremerhaven nicht besetzt waren. Daraus lässt sich eine Unterdeckung von 6,72 Prozent ermitteln – ohne jede Vertretungsreserve. Wie soll vor diesem Hintergrund durch Steuerungsmaßnahmen eine Steigerung der Attraktivität gelingen?

In einer anderen Passage wird es fast schon grotesk. Die Koalition in Bremerhaven hält es für erforderlich, „die in den Ländern geltenden Rahmensetzungen für Beschäftigte anzugleichen“ (Seite 10). Gemeint sind: die Höhe der Unterrichtsverpflichtung, Regelungen der Beihilfe, Zugangsvoraussetzungen für Quereinsteigende und Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Auf eine solche Initiative aus Fischtown, man vermutet es sofort, hat die gesamte Republik nur gewartet.

Eine Chance bleibt noch: Gibt es Hoffnung durch das Land?

Zunächst erfolgt im Landeskoalitionsvertrag ein Bekenntnis zu einer „bedarfsgerechte(n) Ausstattung der Grund- und weiterführenden Schulen“ (Zeile 2766-2767). Dies will die Koalition sicherstellen (ebenda). Dazu werden „die Ausbildungskapazitäten an den Hochschulen im Land Bremen entsprechend der Bedarfe inklusiver Schulen“ (Zeile 2791-2792) ausgebaut. Dies gilt auch für die Referendariatsplätze für inklusive Pädagogik am LIS (Zeile 2794). Explizit angesprochen wird zu dieser Thematik eine Weiterentwicklung der Zuweisungsrichtlinie für Lehrkräfte. Verankert werden soll darin u.a. das stufenweise Erreichen einer Vollversorgung bei 110% (Vertretungsreserve) (Zeile 3070/3071). Ebenso sollen die Vergütung im Referendariat erhöht und Maßnahmen erdacht werden, um diesen Personenkreis in Bremen zu halten (Zeile 3098/3099).

Ziemlich am Schluss des insgesamt 170 Seiten starken Vertrages sorgen die Verfasser desselben allerdings für Irritation: Nach der richtigen Analyse, in den kommenden Jahren „die eigene Ausbildung von Fachkräften aller Richtungen und Laufbahnen zwingend“ (Zeile 7907) vornehmen zu wollen, werden einzelne Berufe als Schwerpunkte dieses Anliegens hervorgehoben. Explizit genannt sind Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen, Polizei und Finanzverwaltung, leider aber keine Lehrkräfte (vgl. Zeile 7909-7910).

Interessant und gleichfalls blass bleibt die Zusicherung „... in einen Dialog (zu) treten, um zu einer zeitgemäßen Definition von Lehrkräftearbeitszeit zu kommen“ (Zeile 3101). Dies wäre dann in dieser Angelegenheit ein erneuter Anlauf. Bereits im letzten Koalitionsvertrag auf Landesebene fand sich ein entsprechender Prüfauftrag, durch „Veränderungen in den Arbeitsbedingungen und der Arbeitszeitgestaltung“ (Zeile 658/659) die Lehrkräftetätigkeit attraktiv zu halten. Dies ist der letzten Landesregierung nicht gelungen, Gespräche zwischen der GEW und der zuständigen Senatorin verliefen früh im Sande.

In der nächsten Ausgabe betrachten wir die Aspekte „Qualität, Quantität und Gerechtigkeit“ in den Koalitionsverträgen sowie „Struktur und Inhalte“ schulischer Bildung.