Zum Inhalt springen

70 Jahre GEW | 190 Jahre Bremer Lehrervereine | Teil 9

Restauration und Reformpläne | Die Bremer GEW von 1957 bis 1967

Die Restaurationsperiode

Die 50er Jahre waren in der Bundesrepublik im doppelten Sinne eine Restaurationsperiode. Zum einen wurde die alte wirtschaftliche Stärke schnell wieder erreicht, zum anderen wurden zugleich die alten gesellschaftlichen Strukturen überwiegend restauriert. Mit der Wiedereinrichtung des Gymnasiums ab Klasse fünf war 1957 auch in Bremen, das 1949 mit der verbindlichen sechsjährigen Grundschule einen weitgehenden Reformschritt gewagt hatte, das traditionelle gegliederte System der Vorkriegszeit fast wieder hergestellt. Die demokratische Schulverfassung der Weimarer Republik mit der Wahl der Schulleitung durch das Kollegium war nach 1945 nicht wieder eingeführt worden. Stattdessen gab es seit 1952 einen „Schulleiterfindungsausschuss“ unter Beteiligung der Lehrkräfte. Durch das Betriebsrätegesetz von 1949 entstand als neue Institution ein Betriebsrat für die Bremer Schulen. Ab 1957 wurde daraus der Personalrat.

Die alte Forderung nach einer universitären Ausbildung der Volksschullehrer*innen wurde nicht erfüllt. Immerhin hatte Bremen seit 1947 eine pädagogische Hochschule als eigene Ausbildungsinstitution. Die traditionelle Zweiteilung der Lehrer*innenschaft zwischen Volksschule und Gymnasium hatte sich nicht verändert. Nach endlosen Besoldungsdiskussionen blieb es dabei, dass die Volksschul-Lehrkräfte bis zum Ende der 50er Jahre weniger als 70% der Gehälter von Gymnasiallehrer*innen erhielten. Angesichts der prosperierenden wirtschaftlichen Entwicklung mit entsprechenden Einkommen und der geringen Abiturientenquote, die bei ca. 5% lag, wurde der Lehrkräftemangel, der nach dem Kriege extrem war, nie ganz überwunden. Als dann ab Ende der 50er Jahre die Zahl der Schüler*innen stieg, vergrößerten sich die Probleme.

Die GEW als Interessenvertretung

Die GEW war nach ihrer Gründung schnell gewachsen. 1949 hatte der Verein Bremer Lehrerinnen und Lehrer (VBLL) bereits über 1000 Mitglieder. Das Ziel einer einheitlichen gewerkschaftlichen Interessenvertretung wurde jedoch nicht erreicht. Nachdem 1951 der Philologenverband wiederbelebt worden war, erfolgte 1952 auch im Volksschulbereich die Gründung des „Bremischen Lehrerbundes“ als Teil des Beamtenbundes. Bei den 1958 stattfindenden ersten Listenwahlen zum Personalrat erreichte der VBLL 1357 Stimmen (63,8%). Die Liste des Beamtenbundes erhielt 735 Stimmen (34,5%).

Die Zusammensetzung der GEW-Mitgliedschaft war sehr traditionell. Die große Mehrheit kam aus den Volksschulen. Dabei stieg der weibliche Anteil. 1950 waren 52% aller Bremer Lehrkräfte Frauen und an der Pädagogischen Hochschule betrug der Studierendenanteil Ende der 50er Jahre knapp 70%. Die GEW-Gremien blieben jedoch von Männern dominiert, sodass der stellvertretende Bundesvorsitzende Heinrich Rodenstein davon sprach, die GEW stünde in der Gefahr, „eine Männerorganisation mit weiblichem Publikum“ zu werden.

Auf Vorstandsebene bestand eine enge Verbindung zur Bildungsbehörde. Viele Schulräte waren ebenso wie die Vorstände GEW- und SPD-Mitglieder. Die Interessenvertretung der Lehrkräfte war stark sozialpartnerschaftlich geprägt. Nur in Ausnahmefällen – wie anlässlich der Pflichtstundenerhöhung von 1954 – kam es zu gewerkschaftlichen Kampfaktionen. Vorherrschend waren die Gremienarbeit im DGB und im Gesamtpersonalrat sowie Gespräche mit der SPD-Bürgerschaftsfraktion. Ein Erfolg dieser Lobby-Politik unter dem Landesvorsitzenden Georg Ficke, der 1955 auf Paul Goosmann folgte, war 1961 die Senkung der Pflichtstunden von 29 auf 28 für die Volksschulen und von 25 auf 24 für die höheren Schulen. Damit wurde die Pflichtstundenerhöhung von 1949 rückgängig gemacht. Ein weiteres Thema der Beschwerden war der immer noch nicht abgeschaffte Schichtunterricht. Auch hier gab es Erfolge. Unter Leitung des zuständigen Schulrats Wilhelm Berger (ebenfalls GEW-Mitglied) wurde ein anspruchsvolles Schulbauprogramm entwickelt und realisiert, das mit seinen lichtdurchfluteten Räumen, zum Teil in Pavillon-Bauweise, nationale und internationale Anerkennung fand.

Die innerverbandliche Willensbildung erfolgte immer noch auf Mitgliederversammlungen in den Ortsverbänden (Bremen, Bremen Nord und Bremerhaven). Von großer Bedeutung waren die Pädagogischen Wochen mit auswärtigen Referenten, die der VBLL und der Bremerhavener Lehrerverein in Zusammenarbeit mit der Bildungsbehörde veranstalteten (Bremerhaven hat diese Tradition bis heute fortgesetzt). Die Veranstaltungen in Bremen wurden jeweils von 1000 bis 2000 Teilnehmer*innen besucht. Beliebt war auch der „Winterball“ mit Kabarett-Beiträgen und einem Tanzorchester, den der VBLL jährlich veranstaltete, zunächst in den Weserterrassen und später im Parkhotel. Daneben waren auch das Bremer Lehrerorchester und der Lehrerchor wiedergegründet worden und gaben Vorstellungen.

Programmatische Erneuerung – der „Bremer Plan“ der GEW

Angesichts der vorherrschenden bildungspolitischen Stagnation versuchte die GEW Ende der 50er Jahre auf Bundesebene, neue programmatische und bündnispolitische Impulse zu geben. Der Appell „Erziehung entscheidet unser Schicksal“ forderte 1958 eine umfassende Bildungsreform und prognostizierte eine drohende Bildungskatastrophe aufgrund der Versäumnisse der 50er Jahre. Er wurde von vielen sozialdemokratischen Funktionsträgern unterzeichnet, darunter aus Bremen von Bildungssenator Willy Dehnkamp, Hans Koschnick und Annemarie Mevissen. Heinrich Rodenstein, Nachfolger Max Traegers als Bundesvorsitzender, initiierte die „september-gesellschaft“, ein Diskussionsforum mit Kultusministern, Industrievertretern und Vertretern der Bauernverbände, um gemeinsame Vorstellungen zu entwickeln. Begünstigt wurde diese Bündnispolitik durch den „Sputnik-Schock“ von 1957, die erste unbemannte Raumfahrt der Sowjetunion, die im Westen Befürchtungen über ein technologisches Zurückbleiben gegenüber den sozialistischen Ländern auslöste.

Auf der Vertreterversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutscher Lehrerverbände (AGDL), die im Juni 1960 in der Bremer „Glocke“ stattfand, wurde der „Plan zur Neugestaltung des deutschen Schulwesens“ vorgelegt. Er sah einen Neuaufbau mit gemeinsamem Unterricht bis zur sechsten Klasse vor (Grundschule 1. - 4., Mittelstufe 5. - 6., Oberschule 7. - 10. Schuljahr) und stellte viele weitere zukunftsweisende Forderungen auf (Vollzeitschulpflicht bis zur 10. Klasse, Höchstfrequenz von 25 Schüler*innen pro Klasse - in den Sonderschulen 15, Ausbau der Kindergärten und der Sozialarbeit, Studienstufe vom 11. - 13. Schuljahr). Von konservativer, insbesondere kirchlicher Seite gab es viel Kritik, die eine „Einheitsschule östlicher Prägung“ und eine „konsequente Entchristlichung der Schule“ heraufbeschwor. Zugleich bekräftigte der Plan die Forderung nach einer Hochschulausbildung und einer zweiten Ausbildungsphase für alle Lehrkräfte. Der Kongress äußerte sich auch zu den Kosten des Plans. Prof. Friedrich Edding forderte eine Erhöhung der Bildungsausgaben von 7 auf 15 Mrd. DM und und eine Steigerung der Lehrerzahl von 200.000 auf 380.000. Diese Berechnungen zum Lehrkräftebedarf von Eddding und später (1962) von Georg Picht spielten in den folgenden Jahren angesichts der steigenden Schülerzahlen in der öffentlichen Debatte eine immer größere Rolle. Die Versäumnisse wurden unübersehbar, der Reformdruck erhöhte sich. Die Bremer GEW wertete den Kongress in der BLZ ausführlich aus und setzte sich neue Ziele. Im Mittelpunkt sollte dabei in den nächsten Jahren der Kampf um eine neue Lehrerausbildung stehen.

Der lange Weg zur Universität

Der Bremer Senat hatte bereits nach dem Kriege die Einrichtung einer „Internationalen Universität“ mit sozialwissenschaftlichem Schwerpunkt erwogen und 1948 hatte die Bürgerschaft ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Wegen fehlender Räumlichkeiten und Finanzmittel wurde dieser Beschuss aber nicht realisiert. Die Pädagogische Hochschule war eine reine Ausbildungsinstitution ohne Promotionsberechtigung und Hochschulstatut. Die GEW forderte in den 50er Jahren mehrfach die Weiterentwicklung der „PH“ in eine wissenschaftliche Hochschule, aber erst als der Wissenschaftsrat 1960 eine weitere norddeutsche Universität empfahl, nahm der Senat das Thema wieder auf und setzte eine „Universitätskommission“ ein. Deren Gutachten schlug eine Campus-Universität unter Einbeziehung der PH vor, die aber eigenständig weiterexistieren sollte. Für die GEW forderten dagegen Theo Dietrich und Job-Günter Klink eine Integration der Lehrer*innenbildung in die neue Universität und gleichzeitig die Einrichtung eines Referendariats für alle Lehrkräfte. (Die Absolven*innen der PH hatten bisher sofort eine Klasse übernehmen und berufsbegleitend ihre zweite Lehrerprüfung vorbereiten müssen.)

1961 wurde eine Universitäts-Planungskommission eingesetzt und die GEW begann mit einer intensiven Öffentlichkeits- und Lobby-Arbeit für ihre Forderungen. In den folgenden Jahren war der Stand der Gründungsvorbereitung „Thema Nr. 1“ (Georg Ficke) auf den Vertreterversammlungen und in der BLZ. Intensiv wurde ab 1964 diskutiert, ob es eine pädagogische Fakultät geben oder die Lehrer*innenbildung Teil der Philosophischen Fakultät werden solle. Zugleich begann in der Bildungsdeputation die Konkretisierung einer zweiten Ausbildungsphase mit einem Fachseminar und sechs Unterrichtsstunden Freistellung. Trotz dieser optimistischen Debatten dauerte es noch sieben Jahre bis zur Gründung der Universität (1971) und elf Jahre bis zur Einrichtung des „Wissenschaftlichen Instituts für Schulpraxis“ (1975). Diese Jahre waren geprägt durch einen gesellschaftlichen Umbruch, den am 1. Juni 1965 die ersten Studentendemonstrationen gegen den Bildungsnotstand an 120 Hochschulstandorten ankündigten, darunter auch in Bremen.