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Schwerpunkt

„Es ist an der Zeit, das Referendariat grundlegend zu reformieren“

Von den Problemen im Vorbereitungsdienst in Bremen

Silvan Wilsch | Referendar | Kandidat für die Jugend- und Ausbildungsvertretung (PR Schulen)

Dieser Artikel setzt sich kritisch mit dem Lehramtsreferendariat in Bremen auseinander. Es geht dabei um eine Kritik an strukturellen Missständen und nicht an bestimmten Personen oder Personengruppen. Die Kolleg*innen an den Schulen und am Landesinstitut für Schule (LIS) sehen sich unter prekären Arbeitsbedingungen mit einem ausufernden Aufgabenpensum konfrontiert und geben ihr Bestes, um uns Referendar*innen zu unterstützen. Dafür möchte ich mich bedanken und hoffe, Anstöße zu liefern, die uns allen in Zukunft die Arbeit erleichtern und die Ausbildungssituation verbessern.

Big Brother is watching you

Referendar*innen befinden sich über die gesamten 18 Monate ihres Vorbereitungsdienstes unter ständiger Beobachtung. Ob am LIS oder an der Schule: Jegliche Personen, die am Ausbildungsprozess beratend und unterstützend beteiligt sind, sind auch in die Bewertung der Referendar*innen involviert. Durch das Schulgutachten stellt sich für Referendar*innen bei jeder Interaktion an der Schule die Frage, ob ihr Verhalten und ihre Aussagen bewertet werden und sich eventuell negativ auf ihre Abschlussnote auswirken. Viele Referendar*innen haben daher das Gefühl, nicht frei ihre Meinung äußern zu können und zu keinem Anliegen „Nein“ sagen zu können. Eine absurde Situation, sollen sie doch gleichzeitig ihre Schüler*innen zu mündigen Bürger*innen erziehen. Auch auf fachlicher Ebene führen die bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse an Schule und LIS zu Anpassungsdruck, was die kritische Reflexion und offene Kommunikation hemmen kann. Dies führt dazu, dass Ausbilder*innen oftmals keine Vorstellung von den Problemen und Ängsten ihrer Schützlinge haben. Zudem kann es zur Reproduktion konventioneller Unterrichtspraktiken führen und die Anwendung progressiver Ansätze verhindern. Expert*innen fordern daher seit Jahren die Auflösung der Doppelrolle der Ausbilder*innen als Beratende und Bewertende und eine stärkere Ausrichtung des Referendariats an den Bedürfnissen der Referendar*innen.

Strukturelle Ungleichbehandlung

Ein weiteres zentrales Anliegen vieler Referendar*innen sind die heterogenen Ausbildungsbedingungen hinsichtlich der Lehrproben und der Ausbildung an einer oder zwei Schulen. Der Einsatz an zwei Schulen bedeutet Mehrarbeit und zusätzliche Belastungen. Es gilt, sich in zwei Kollegien und Schülerschaften zurechtzufinden, zwei Schulgebäude und Schulsysteme kennenzulernen (mögliche Abschlüsse, Abläufe, Regeln etc.), zwei Stundenpläne zu koordinieren, zwischen den Schulen zu pendeln, Konferenzen, E-mails und Elternabende doppeln sich etc. Ebenfalls problematisch ist die Tatsache, dass es keine einheitlich angewandte Regelung bezüglich der Lehrproben gibt. Vielen Referendar*innen wird gestattet, ihre zwei Lehrproben an zwei unterschiedlichen Terminen zu absolvieren. Anderen wird vorgeschrieben, dass sie beide Lehrproben an einem Tag absolvieren müssen. Konkret führen diese Faktoren zu eklatant unterschiedlichen Ausbildungsbedingungen. Während Referendar A seinen Vorbereitungsdienst an einem Gymnasium in der Bremer Innenstadt ableistet und seine Lehrproben mit einem Abstand von sechs Wochen ablegt, ist Referendarin B an einer Oberschule im Bremer Norden eingesetzt, pendelt zusätzlich noch zu einem Gymnasium und muss ihre beiden Lehrproben an einem Tag ablegen. Diese strukturellen Missstände verstoßen gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und Chancengleichheit. Es muss daher eine Kompensation für die geleistete Mehrarbeit geben und eine einheitliche angewandte Regelung bezüglich der Prüfungstermine, die allen Referendar*innen die Wahl lässt, ob sie ihre Lehrproben an einem Tag oder an unterschiedlichen Terminen ablegen möchten.

Keine Interessenvertretung

Seit über neun Monaten gibt es für Referendar*innen in Bremen keine Interessenvertretung mehr. Am Ende des Schuljahres 22/23 hat sich der Ausbildungspersonalrat (APR), mit dem Abschluss des Referendariats seiner Mitglieder, aufgelöst. Zu diesem Zeitpunkt konnte eine Neuwahl aufgrund mangelnder Kandidat*innen und Wahlhelfer*innen nicht ausgerichtet werden. Im aktuellen Schuljahr wurde bisher keine Wahl abgehalten, da vorher eine Vereinbarung mit dem LIS zur Arbeitszeitkompensation für Mitglieder des APR getroffen werden soll. Bisher hatten die Mitglieder des APR ihre Tätigkeit, entgegen geltendem Rechts, in ihrer Freizeit ausgeübt. Angesichts des immensen Arbeitspensums und des Leistungsdrucks sieht sich fast kein*e Referendar*in in der Lage, sich zusätzlich ehrenamtlich einzubringen.

Gespräche mit den ehemaligen APR-Mitgliedern verdeutlichen jedoch die Notwendigkeit einer Interessenvertretung. Sie berichten, dass das Referendariat oftmals als extrem belastend und nicht ausbildungsförderlich empfunden wird, selbst wenn es erfolgreich verläuft. Geklagt wird über zu viele Vertretungsstunden, über Diskriminierungserfahrungen, über willkürliche oder intransparente Bewertungen im Schulgutachten oder durch Fachleitungen. Berichtet wird auch über eine hohe Dunkelziffer von Referendar*innen, die sich trotz hohen Leidensdrucks nicht beschweren und sich keine Hilfe suchen. Die Angst, Schwäche zu zeigen oder negativ aufzufallen, sei oftmals zu groß.

Unter Mindestlohn

Ein weiterer Faktor, der zu zusätzlicher Belastung während des Referendariats führt, ist die geringe Vergütung. Geht man von einer (für die allermeisten utopischen) 40-Stunden-Woche aus, erhalten wir etwa neun Euro Stundenlohn. Das sind 25 Prozent unter Mindestlohn (exklusive Krankenversicherung). Diese prekäre finanzielle Situation führt bei vielen zu zusätzlicher Belastung und Stress. Eine Vielzahl von Studien belegt die außergewöhnlichen Belastungen während des Referendariats und deren negative Folgen für die Gesundheit. 2021 ergab eine Untersuchung, dass ein Viertel aller befragten Referendar*innen unter Burn-out-Symptomen leidet und ein Drittel den Schuldienst innerhalb der ersten fünf Jahre quittiert. Fehlende Erholungsphasen, ein verkümmertes oder nicht existentes Sozialleben, Schlafmangel, Stresssymptome wie Bauchschmerzen oder Tinnitus – alle Referendar*innen können aus eigener Erfahrung oder von Mitreferendar*innen berichten, die solche Symptome zeigen.

Engagiert euch!

Es ist allseits bekannt, dass Stress für Lernprozesse kontraproduktiv ist und die psychosoziale Gesundheit essenziell, um produktiv arbeiten zu können. Die aktuellen Ausbildungsbedingungen verhindern eine erfolgreiche, motivierende und ganzheitlich gelingende Ausbildung. Daher ergeht mein Appell an alle Referendar*innen in Bremen: Engagiert euch im APR! Eure Beteiligung ist entscheidend, um die Situation zu verbessern und eine wirkungsvolle Interessenvertretung zu gewährleisten. Ebenso ergeht der Appell an die Verantwortlichen im Bildungsbereich: Es ist an der Zeit, das Referendariat grundlegend zu reformieren. Eine stärkere Partizipation, transparente Anforderungen, faire Bedingungen und angemessene Vergütung sind Schlüsselkomponenten für eine erfolgreiche Ausbildung. Lasst uns gemeinsam die Grundlagen für eine zukünftige Generation von Lehrkräften schaffen, die nicht nur fachlich kompetent ist, sondern gesund, selbstbewusst und motiviert in den Schuldienst startet. Es liegt an uns allen, eine positive Veränderung herbeizuführen – für die Referendar*innen von heute und die Lehrkräfte von morgen.

Belange junger Beschäftigter im Blick

Liebe Kolleg*innen, ich bin Silvan Wilsch und seit einem Jahr als Referendar an zwei Schulen im Bremer Norden tätig. Seitdem setze ich mich (bisher vergeblich) für eine Neuwahl des Ausbildungspersonalrates (APR) ein. Umso mehr freue ich mich nun, meine Kandidatur als Jugend- und Ausbildungsvertreter (JAV) im Personalrat Bremen bekannt zu geben. Die Herausforderungen, mit denen junge Menschen am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn konfrontiert sind, können vielfältig und oft auch komplex sein. Ich bin fest davon überzeugt, dass eine starke JAV entscheidend ist, um ihre Interessen zu schützen und ihre Entwicklung im Berufsleben zu fördern.

Wertvoller Beitrag für den Personalrat

Meine Motivation, mich als JAV zu engagieren, gründet sich auf meinem starken Interesse daran, die Belange junger Beschäftigter und Auszubildender zu vertreten und ihnen eine Stimme zu geben. Ich möchte dazu beitragen, dass sie die bestmögliche Unterstützung und Beratung erhalten, um ihre beruflichen Ziele zu erreichen und erfolgreich in ihrer Ausbildung und ihrem Berufsumfeld zu sein. Durch meine Erfahrungen als Referendar und meine Leidenschaft für die Förderung junger Menschen bin ich davon überzeugt, dass ich einen wertvollen Beitrag zur Arbeit des Personalrats Bremen leisten kann. Ich freue mich darauf, mich für die Interessen der jungen Mitarbeiter*innen und Auszubildenden einzusetzen und sie mit meiner Fachkompetenz und meinem Engagement zu unterstützen.