Umweltschutz
Die Tiefsee gibt mir Hoffnung
Über den Quell allen Lebens und seine Bedrohung Auszug eines Interviews aus dem Greenpeace-Magazin mit Prof. Dr. Antje Boetius
Prof. Dr. Antje Boetius ist Deutschlands "Hochschullehrerin des Jahres". Der Deutsche Hochschulverband begründet die Auszeichnung für die Meeresforscherin und Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven u. a. mit ihrem Engagement, einem breiten Publikum in unterschiedlichsten Medienformaten anschaulich die Rolle des Meeres für unser Leben zu vermitteln.“
Sie hat dem Greenpeace-Magazin ein Interview gegeben, aus dem wir Auszüge veröffentlichen.
Wie kann die weitere Zerstörung der Ozeane verhindert und die Meereserwärmung gestoppt werden?
Wir wissen, dass das Leben auf der Erde, wie wir es kennen, ohne den Ozean nicht existieren würde. Wir kennen die Meeresströmungen, wissen, wie viel Wärme aufgenommen wird, wie tief die Meere sind, wie viel Kohlendioxid sie schlucken. Aber in allen Bereichen gibt es noch viel zu forschen. Wir wissen nicht genau, wie lange es dauerte, bis die Meere sauerstoffreich wurden, wie oft der Ozean seinen Sauerstoff wieder verloren hat und warum – und wie das in Zukunft sein wird, wenn die Erderwärmung steigt. Es bestehen Unsicherheiten. Ein Beispiel ist das Artensterben im Meer und wie man die Lebensvielfalt am besten schützt. Neuen Hochrechnungen zufolge schwinden die Arten derzeit im Meer schneller als an Land. Zugleich ist aber unklar, warum das so ist, was dagegen getan werden kann.
Wo zeigen sich die Folgen des Klimawandels am deutlichsten?
Beim Schwund von Meereis in der Arktis, der Abschmelzrate von Gletschern, dem Ausbleichen von Korallenriffen weltweit und den Hitzewellen im Meer. 2012, im Jahr mit der bisher größten Meereisschmelze, war ich mit unserem Forschungseisbrecher „Polarstern“ in der Arktis. Wir haben den Rückgang des Eises verfolgt und erforscht, was mit den im Eis lebenden Organismen passiert. Riesige Mengen an Meereisalgen sind in die Tiefe gesunken. Im nächsten Jahr wieder holen wir diese Arbeit. Wir wollen klären, wie sich das Leben verändert, wenn das Meereis schwindet. Ich sorge mich um die Folgen für große Meeressäuger, wie das arktische Walross, das seine Jungen nicht großziehen kann, wenn die Eisfläche fehlt. Hitzewellen im Meer sind zerstörerisch. Letztes Jahr sind Millionen von Organismen durch Überhitzung gestorben und wurden bergeweise vor der Pazifikküste angeschwemmt. Hitze bedroht auch die Nord- und Ostsee.
Was muss die Politik angehen?
Klare Regeln zum Schutz der Meere gibt es schon länger, aber sie müssen nun dringend von dieser Bundesregierung umgesetzt werden, weil wir unsere Ziele bislang nicht erreicht haben, auch nicht in Nord- und Ostsee. Wir müssen die chemische Belastung und Überdüngung unserer Küstengewässer zurückfahren, es darf also viel weniger Nitrat aus den Böden in die Meere gelangen. Es gilt, Windparks auszubauen und mit dem Raumbedarf von Naturschutz, Fischerei und Verkehr sinnvoll zu verknüpfen. Denn für alles reicht der Platz gar nicht. Und Deutschland muss Stellung sowohl zur Finanzierung des internationalen Meeresschutzes wie auch zu den Fragen des Tiefseebergbaus beziehen. Im Meeresboden gibt es riesige Rohstoffvorkommen, deren Gewinnung aber viel Zerstörung anrichten könnte.
Die Vereinten Nationen haben die „Dekade der Ozeanforschung“ ausgerufen. Erlebt die Forschung goldene Zeiten, erhalten Sie mehr Geld?
Trotzdem, abgesehen von der großartigen Entscheidung, dass unser Forschungsschiff „Polarstern“ einen Nachfolger bekommt, ist für die Meeres- und Klimaforschung wahrscheinlich weniger Geld da. Da es um globale Probleme geht und wir diese nicht allein – weder in nationalen noch in europäischen Grenzen – lösen können, geht es um sehr große Änderungen. Ich persönlich versuche zu verstehen, wie die Spielregeln einer globalen Gesellschaft lauten könnten, in der es uns Bürgerinnen und Bürgern und der nächsten Generation leicht gemacht wird, das Richtige zu tun.
Gibt es Orte am oder im Meer, die Ihnen trotz allem Hoffnung geben?
Auf jeden Fall. Immer, wenn ich in die Tiefsee tauche, dann sehe ich diesen riesigen Raum, voller fremder Lebewesen, wie ein anderer Planet, wo wir noch vieles richtig machen könnten.