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Corona und Schule

Das Corona-Abitur

Prüfungsvorbereitung im "Homeoffice" - zwei Gymnasiastinnen aus Bremen und Bremerhaven berichten

Niemand ist im „Gammelmodus“!

Corona und Schule von Carla Oberg  | Gymnasium Hamburger Straße Bremen 

Ich starre auf den kleinen, sich im Kreis drehenden Pfeil. Bereits seit einer Stunde schaue ich itslearning, der Lernplattform meiner Schule, beim Laden der Startseite zu. Auf dem Bildschirm meines Smartphones tauchen in rasender Geschwindigkeit zahlreiche Nachrichten aus zahlreichen WhatsApp-Chats auf. Natürlich schaue ich mir die Nachrichten im Fünfminutentakt an: „Bei mir funktioniert es schon seit Stunden nicht“, versehen mit einem augenrollenden Smiley. „Bei mir auch nicht. Wie soll ich das bloß aushalten?“, lautet die Antwort. Die fünf angefügten, verzweifelten Smileys brechen mir fast das Herz. Aber nur fast. Denn es tut gut zu sehen, dass es allen anderen ganz genau so geht wie mir. 

„Fühle mich eingeengt“

Die ersten zwei Wochen im Homeschooling fühlen sich schrecklich an. Das liegt an zahlreichen Faktoren, auch an solchen, mit denen Schule wenig zu tun hat. Es fehlt viel: Die Hobbys, der Umgang mit Menschen. Kommunikation übers Internet ist unersetzlich geworden, dennoch kann sie reale Begegnungen kaum ersetzen. Ich fühle mich eingeengt. An manchen Tagen breche ich wegen Nichtigkeiten in Tränen aus. In diesem „sich ganz schön schlecht fühlen“ nimmt die Schule einen großen Platz ein. Eigentlich soll sie soll sie Struktur und Normalität vermitteln. Gleichzeitig wird dieser Auftrag in den ersten zwei Wochen fast schon zu ernst genommen. Es scheint, als hätte sich die Schule das Ziel gesetzt, meinen Tag allein auszufüllen.  Wie das am einfachsten geht? Den Schüler*innen so viele Aufgaben zu geben wie möglich. Und noch ein paar mehr. Vermutlich öffnet sich mein itslearning-Account nur deshalb so unzuverlässig, weil er mit Arbeitsblättern, Aufgaben, und Anweisungen so verstopft wird, wie nie zuvor. Manchmal ist das fast absurd. Die Lehrer*innen haben den Anspruch, vielleicht auch die Vorgabe, mit dem gesamten Lehrplan am Ende des Schuljahres fertig zu werden. In einem Fach werden Arbeitsaufträge erteilt, die wir sonst nie in zwei Wochen Schule geschafft hätten. Ich arbeite sechs volle Stunden an einer Dramenanalyse, die für zwei Schulstunden gedacht ist. Aufstehen, Schule, Mittagessen, Schule, ein kurzer Spaziergang, Schule, Abendessen, Schule, Schlafen. Von der Schule träumen. Unausgefüllte Freizeit habe ich zwei Stunden am Tag.

Unterricht nach Schema F

Als wäre das nicht genug, begeistert mich die Qualität des „Unterrichts“ nicht besonders. Nach zwei Tagen weiß ich, wie der nächste Tag aussehen wird: noch mehr Aufgaben über itslearning entgegennehmen, am Schreibtisch erledigen und der Lehrkraft zurückschicken. Methodische Vielfalt, geschweige denn Kreativaufgaben, gibt es kaum. Wenigstens eine Lehrerin richtet ein Chatforum für unsere Fragen ein und bemüht sich so gut sie kann, einen angenehmen Unterricht zu gestalten. Von einer anderen Lehrerin bekomme ich regelmäßig sehr nette Nachrichten mit Anregungen. Sonst folgt der Unterricht dem immer gleichen Schema. Wie gewissenhaft ich die Aufträge bearbeite, hängt davon ab, wie viel ich zugesendet bekomme. Manchmal vergesse ich im Chaos, den Befehlen lückenlos nachzukommen. Ja, die Kommunikation mit den Lehrer*innen beschränkt sich teilweise auf die Entgegennahme von Befehlen, manchmal sogar Vorwürfen und Unterstellungen. Einen Tag vor dem Abgabetermin bekomme ich die erboste Nachricht, warum ich noch nicht die Matheaufgaben abgeschickt habe. Mir muss doch klar sein, dass das sonst nicht anders gewertet werden kann, als unerledigt, das wird eine schlechte Note. Sei nicht so faul! Das wird mir ständig suggeriert, vielleicht bin ich aber auch so überfordert, dass ich andere Menschen zu Unrecht beschuldige, mir Faulheit zu unterstellen.

Briefe an die falsche Adresse

In einem offiziellen Elternbrief meiner Schule wird vor dem „Gammelmodus“ gewarnt, der uns ältere Schüler*innen vom fleißigen Arbeiten abhalten würde und dem es gilt, „entgegenzuwirken“. In meinem gesamten Bekanntenkreis können diese Vorwürfe entschieden zurückgewiesen werden. Wir bemühen uns nach Kräften, die Aufträge zu bewältigen und können beruhigen: Niemand ist im „Gammelmodus“! Dennoch macht mich diese Unterstellung wütend, denn sie zeigt, wie wenig wir Schüler*innen zu Wort kommen dürfen. Auch die Tatsache, dass dieser Brief nicht an uns, sondern an unsere Eltern gerichtet wurde, spricht eine deutliche Sprache. Sie sollen mit uns den Tag strukturieren und die Aufgaben erledigen, denn die Schule kann das jetzt nicht leisten. Das ist auf der einen Seite verständlich, auf der anderen jedoch auch ein Problem.

Nicht alle Eltern haben die nötige Zeit, Energie oder auch Wissen, um ihren Kindern so zu helfen, wie es zumindest meine Schule fordert. Nicht in jedem Haushalt gibt es genügend Platz und Laptops, damit die Schularbeit erledigt werden kann. Es ist fatal, dass an diese Schüler*innen kaum gedacht wird.

Es geht auch anders

In den Osterferien freue ich mich nicht auf die Schule. Umso überraschter bin ich, dass sie deutlich angenehmer wird. Einerseits liegt das an mir, weil ich mir die Zeit besser einteile und Methoden gefunden habe, die mich trotz sozialer Isolation glücklich machen. Andererseits liegt das an den neuen Konzepten vieler Lehrer*innen. Es werden Umfragen erstellt, in denen wir Fragen stellen und kritisieren dürfen. Video- und Telefonkonferenzen werden geplant, nette Nachrichten verschickt und Lehrpläne zu unserem Vorteil umgestellt. Wir bekommen konstruktives Feedback über ein nun tadellos funktionierendes itslearning. Die meisten scheinen verstanden zu haben, dass es unmöglich ist, einem Lehrplan zu folgen, der für „normale“ Zeiten ausgelegt ist. So kann es weitergehen.

Das Corona-Abitur

Prüfungsvorbereitung im „Homeoffice“ von Yette Strauss Suhr | Lloyd Gymnasium Bremerhaven

Es ist Freitag der 13te. Seit dem Vorabend kursieren Gerüchte, dass ab Montag die Schule ausfällt. Mein Handy tutet ununterbrochen mit Nachrichten aus der Whatsappgruppe meines Abijahrgangs. Eine Nachricht ist angekommen. Morgen Vollversammlung in der Aula, dort würden wir informiert werden, wie es weiterginge. Mit einem komischen Gefühl im Bauch fahre ich in die Schule. Vielleicht zum letzten Mal? Aber ich müsste noch eine Klausur schreiben und es wäre noch zwei Wochen prüfungsrelevanter Unterricht. Und Mottowoche!
 

In der Aula wird uns gesagt, was wir schon erahnt haben. Ab Montag ist die Schule zu. Danach geht es im Blitztempo zu den Fachlehrer*innen der Prüfungsfächer. E-Mail-Adressen, Material und ein unsicheres „Schöne Ferien...?" werden ausgetauscht. Und ab da geht es mit gemischten Gefühlen ins „Homeoffice" für die Prüfungsvorbereitung. Ich muss am Samstag nochmal in die Schule, denn die Matheklausur wurde unter Murren der Schüler*innen vorverlegt. Nach der Klausur, fahre ich nach Hause. „Lernplan" lautet meine Mission. Mit meinen Textmarkern in der Hand male ich die Wochen bis zu den Prüfungen auf ein A3 Blatt. In meiner Routine ist die Prüfungsvorbereitung ein wichtiger Teil, doch auch Sport, Kunst und Freunde*innen haben ihren Platz.

Ein typischer Corona-Tag fängt um 7 Uhr an. Aufstehen, eine Stunde Sport. Krafttraining, joggen, Yoga. Dann Frühstück, duschen und Blumen gießen nicht vergessen. Um 9 Uhr beginne ich die erste Lerneinheit. 30 Minuten Wiederholung vom Vortag, 30 Minuten Mathe, 30 Minuten Kunst. Aufgaben rechnen, Inhalte wiederholen, denn „in Form bleiben" gilt auch für alle Fächer. Nach einer kurzen Pause eine Mediation oder Listening Übung für Englisch, dann Mittagspause.

Nach der Mittagspause geht es weiter mit Lerneinheit zwei. Geschichte: Ich lerne ungefähr so: Erst checke ich was, was ich wissen muss und mache mir Listen mit dem relevanten Prüfungswissen. Daraufhin durchsuche ich meine prall gefüllte Lernzettel-Mappe der letzten Klausuren, um zu sehen, was ich schon habe. Zu jedem Thema habe ich Informationen gesammelt und mir Lernzettel erstellt. Schön und visualisiert; ich habe ja nicht umsonst Kunst-LK. Dann kommt der anstrengende Teil. Das Lernen. Mappe zu und alles aufschreiben was ich weiß, danach prüfen, wo die Lücken sind. Lücken auffüllen und noch mal von vorne. Gerne mache ich auch Aufnahmen von mir bei denen ich die Inhalte erkläre und immer wieder anhöre.

Im Grunde ist Corona für mich kaum eine Umstellung in der Prüfungsvorbereitung. Nur in der Bibliothek oder mit Freund*innen lernen fällt raus. Und das Fitnessstudio ist zu. Aber joggen gehen kann man ja. Alles benötigt nur kreative Maßnahmen. Ich war so klug, mir vor der Schließung der Bücherei noch einige Bücher zu den Abithemen auszuleihen. Und das Internet erleichtert einem ja auch einiges, weshalb ich mit dem selbstständigen Arbeiten gut zurechtkomme. Wir sind ja über Itslearning mit den Lehre*innen vernetzt. Tatsächlich wurde ich über die Plattform jedoch nur von wenigen Lehrkräften mit Material ausgestattet.

Mittlerweile geht es rasant schnell auf die Prüfungen zu. Natürlich werden wir für immer das „Corona-Abi" sein, genau sowie 2020 das Corona-Jahr sein wird, aber den Umständen entsprechen läuft es für mich gut. Mir ist dabei bewusst, dass ich in meiner Situation sehr privilegiert bin. Ich habe ein eigenes Zimmer, einen eigenen Computer mit gutem Internetzugang. Meine Eltern unterstützen mich und sind jetzt sogar öfters da, um leckere Sachen zu kochen. Ich hoffe jetzt einfach nur, dass die Prüfungen auch stattfinden, sonst habe ich umsonst gelernt.