Zum Inhalt springen

Bremerhaven

„Die Armut reicht nur für eine Schlagzeile“

Am 20. Februar berichtete u. a. die Nordsee-Zeitung groß auf Seite 1 und mit umfassendem Hintergrundartikel auf Seite 3 über das „Armutsrisiko in Deutschland“. So schlimm, peinlich und inakzeptabel es gesellschafts- und gesamtpolitisch für ein ausgewiesen reiches Land ist, „so viele Arme wie noch nie“ zu beherbergen, so drastisch stellt sich die Situation in Bremerhaven dar. In der Seestadt leben mehr als 38 % der Kinder in Armut – dies ist der Spitzenwert für die gesamte Bundesrepublik.

Bremerhaven - Wenngleich die Schlagzeilen auch dick wie selten gewesen sein mögen: Das Thema ist zu schnell vom Tisch! Dabei hat Armut in Bremerhaven Tradition. Schon 1999 war genau die Armut in der Stadt der Impuls zur Gründung der Initiative „Bremerhavener*innen für Kinder und Jugendliche“. Vor mittlerweile gut 15 Jahren ermittelten wir empörende Zahlen: Schon damals konzentrierte sich Armut auf 5 von 24 Ortsteilen: Zusammengefasst betraf es in Leherheide 1.409 Kinder und Jugendliche unter 21 Jahren, in Lehe 1.877, in Geestemünde 1.469, das bedeutete: 4.755 junge Menschen in 3 Stadtteilen. Niemand redete gerne darüber, das scheint sich bis in die Gegenwart fortzusetzen.

Heute ist die Datenlage exakter, und wir wissen von mehr als 6.000 Personen unter 18 Jahren, die in SGB II-Haushalten leben, wie es jetzt genannt wird. Trotz aller gesetzgeberischen und statistischen Neuordnungen ist klar: Das Problem bleibt! Dabei sind Lösungen längst formuliert.

Unterschiedliche Studien weisen nach, dass neue Arbeitsplätze alleine nicht zum Abbau der Kinderarmut führen. Neben der Einführung einer armutsfesten Grundsicherung und einer Erhöhung der Hartz IV-Regelsätze für Kinder heißt es immer wieder: Investitionen in Kitas und Schulen sind ein wichtiger Eckpfeiler, eine Konzentration auf benachteiligte und kinderreiche Quartiere ist erforderlich (vergl. z.B. Arbeitnehmerkammer 2012).

In diesem Zusammenhang ist der Einsatz der BaFöG-Mittel (1.378 Mio. €) für die Absicherung der Unterrichtsversorgung und die Sprachbildung in der Grundschule ein richtiger Schritt. Er wird nur nicht reichen!

 

So lange die Schulen sich durch diverse Notmaßnahmen über die Runden helfen müssen, beispielsweise mit

  • Betreuung statt Unterricht,
  • Ausschöpfung bis Überdehnung des Beamtengesetzes i. S. der Mehrarbeit,
  • Ausschöpfung des bedarfsdeckenden Unterrichts von Referendar*innen und Angebote an diese Personengruppe zusätzliche Stunden zu geben („Nebentätigkeit“),
  • Aufteilen von Klassen
  • Einsetzen von sonderpädagogischen und weiteren ausgewiesenen Förderstunden für Regelunterricht,
  • Erhöhung der realen Klassenfrequenzen,

so lange wird kein „Durchbruch“ erzielt werden.

 

Und endlich muss man sich mit den Altlasten befassen. Bis 2005 war es der Großen Koalition „gelungen“, das Stellenvolumen im Schulbereich um 14 % zu kürzen – bei nahezu gleichbleibender Schülerzahl. Angegriffen wurde damals die Grundversorgung, heute spüren wir die Auswirkungen in voller Stärke.

Aktuell greift die „Grippewelle“ um sich und spitzt das Problem der Unterrichtsversorgung nochmals zu. Schulen bekommen die Rückmeldung, dass der Vertretungspool ausgeschöpft sei. Bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage hat ein solcher „Pool“ auch keine Perspektive. Keine Lehrkraft mit beendeter Ausbildung muss sich auf ungünstige Arbeitsbedingungen einlassen. Für Bremerhaven kann das nur heißen, dass das Personalvolumen auf 109 % erhöht wird. 9 % ist die durchschnittliche Höhe des Vertretungsbedarfs gemäß mehrjähriger Statistik des Schulamts. Mindestens diese Zahl an Lehrkräften benötigt die Stadt, um 100 % Unterricht auch nur annähernd leisten zu können.

Der Frühling wird kommen, die Grippewelle abebben, das Problem bleiben: Bremerhaven braucht eine Strategie gegen die Armut der Stadt. Die Schulen alleine werden den Sachverhalt nicht lösen, sie sind aber ein wesentlicher Bestandteil für gesellschaftliche Verbesserungen.