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Schwerpunkt

Zwischen den Stühlen

Jugendbegegnungen in Europa – Gedanken zu einem kostbaren Gut der Friedensarbeit

Foto: GEW/Shutterstock
Foto: GEW/shutterstock

Die Meldungen zum Umgang mit Förderprogrammen für internationale Jugendbegegnungen reißen seit dem gewaltsamen Einmarsch Russlands in die Ukraine nicht ab. Alle Verbände, Organisationen und Stiftungen sind betroffen und sitzen vor allem in einer Zwickmühle:

Die Aufrechterhaltung des interkulturellen Dialogs als Zeichen einer jugendgerechten Friedensbewegung (gerade jetzt!) versus der bedrohlichen Lage durch Aussetzen einer gesicherten Finanzierung (Folgenabschätzung nicht möglich).

Letzeres lässt sich nur schwer in dieser kurzen Zeit des Krieges in Europa belegen, allerdings gibt es erste Hinweise auf Unterbrechungen der Zusammenarbeit mit russischen Organisationen. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat als erste Kultureinrichtung in Deutschland alle Projekte mit Russland auf „Eis gelegt“ (vgl. Zeit Online 26.02.22). Auch gewerkschaftsnahe Bildungseinrichtungen verzichten in diesem Jahr auf ihre Austauschprogramme, weil der Angriffskrieg unmittelbar alle bisherigen Bemühungen in Frage stellt (vgl. Arbeit und Leben Hamburg).

Eine Grundsatzdebatte

Die haben sich die international erfahrenen Einrichtungen sicher nicht ausgesucht und beantworten sie dieser Tage dennoch. Die Solidaritätsbekundungen und Klarstellungen sind vielfältig. So verweist der Volksbund auf seinem Gedenkportal auf sein ungebrochenes Engagement, sich auch für die in Russland lebenden Menschen stark zu machen, die sich für ein Endes des Krieges in der Ukraine einsetzen. Internationale Begegnungen sollen aufrechterhalten werden. Wohingegen die Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch sich seiner Grundlagen entzogen fühlt, weiter mit staatlichen russischen Verwaltungen zu kooperieren. Sie stellt Maßnahmen auf den Prüfstand und findet damit eine Form der Auseinandersetzung mit der schwierigen Situation. Die davon abhängigen Jugendorganisationen sind geradewegs betroffen und beziehen Position gegenüber dem zu leistenden Spagat: Die Deutsche Jugendfeuerwehr warnt vor einer Verurteilung des gesamten russischen Volkes und sieht die Wiederaufnahme von Kontakten gefährdet, wenn es erstmal zu einem Stillstand in der Kommunikation gekommen ist. 

Zwischen den Stühlen

Wie bei der bekannten Reise, bei der Menschen auf den zur Verfügung gestellten Sitzgelegenheiten nicht ausreichend Platz finden und einer (der Mensch) übrigbleibt. Die Jugendverbandsarbeit ist bunt gestaltet – kirchliche und freie, bildungspolitische und soziale Träger finden nebeneinander Platz. Die große Einigkeit ist gleichzeitig ihre Stärke: Sie wollen aufklären über demokratische Strukturen, friedvolles Miteinander und zukunftsorientierte Ideen, wie junges, europäisches Leben gestaltet werden kann. Das Deutsch-Französische Jugendwerk erinnert nicht zu Unrecht an die 2015 einstimmig vom UN-Sicherheitsrat verabschiedete Resolution 2250 zu „Jugend, Frieden und Sicherheit“, mit der die positive Rolle junger Menschen bei der Schaffung eines nachhaltigen Friedens anerkannt wird (vgl. Globale Kampagne für Friedenserziehung). Eine große Aufgabe, die sich in den Aufrufen zu den jeweiligen Spendenaktionen und dem Bereitstellen von Unterkünften für geflüchtete Familien bei jedem Verband ablesen lässt. Jugendarbeit steht im Angesicht des Krieges (einfach) nicht still.

Wermutstropfen

Förderungen sind stets abhängig von ihrer nachgewiesenen Durchführung, ob projektbezogen oder institutionell. Müssen Organisationen befürchten, dass die Fortführung ihrer Finanzierung in Frage gestellt wird, wenn sie sich für ein Aussetzen ihrer Aktivitäten mit Russland entscheiden? Ein Gegenbeispiel, um Befürchtungen dieser Art an dieser Stelle nicht zu vervollständigen, ist der Aufruf des Deutsch-Polnischen Jungendwerks. Es stellt explizit Fördermittel bereit, mit denen Hilfsangebote für ukrainische Partnerorganisationen umgesetzt werden können. Seit über 30 Jahren ist die Ukraine Teil des trilateralen Austauschs mit Deutschland und Polen und auf diesen Erfahrungen basiert auch die Einrichtung der Initiative „Austausch macht Schule“ (vgl. gleichnamige Internetadresse). Diese setzt sich dafür ein, dass Jugendbegegnungen Teil des Bildungssystems in Deutschland werden. Einer Regelfinanzierung stünde dann (doch) nichts mehr im Wege.  

Abschluss

Krieg zerstört den Zugang zu Bildung und wirtschaftliche Chancen. Mehr denn je sind folglich Partnerschaften zwischen Schulen, Städten und Einrichtungen (auf-)gefordert, die unverzichtbaren Strukturen demokratischen Handelns aufrecht zu erhalten und Visionen für die Wiederbelebung der (alten) Freundschaften zu entwickeln.

Was der einzelne Mensch bewirken kann, scheint dabei von ebenso großer Bedeutung zu sein, wie die Frage nach dem System, in dem sich dieses Engagement bewegt. Freiräume für Demokratiebildung sind offen zu halten und zu fördern – das ist auch ein Auftrag der GEW (vgl. Resolution der Gewerkschaften); für ihren nichtschulischen Kontext vielleicht insbesondere.