Kolumne
Zeit für die Urschrei-Therapie
Was ich schon immer mal sagen wollte
Wer mich besser kennt, weiß, dass ich überhaupt nicht zu Wutausbrüchen neige. Mit erhobener Stimmlage sprechen ist auch nicht mein Stil – außer vielleicht, wenn es darum geht, mich gegenüber meinem Liebsten verständlich zu machen, wenn die Batterien seines Hörgeräts zur Neige gehen. Aber ehrlich gesagt: Jetzt möchte ich schreien, und im übertragenen Sinne werde ich es hier auch tun, denn was sich der bremische Senat und die Senatorin für Kinder und Bildung am 1. April erlaubt haben, macht mich RICHTIG SAUER!!!
Wie gewonnen, so zerronnen
Was ist also geschehen? Das Thema Arbeitszeiterfassung an Schulen beschäftigt uns ja schon eine ganze Weile. Trotz der spätestens seit 2022 geltenden Verpflichtung aller Arbeitgeber:innen, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten aus Gründen des Gesundheitsschutzes zu erfassen, tun sie es in Schulen bisher einfach nicht. Das kennt ihr ja bereits. Anfang Februar hat nun die beim Senator für Finanzen angesiedelte Einigungsstelle einen Initiativantrag des Personalrats Schulen bestätigt, in dem dieser die Pilotierung und anschließende flächendeckende Erfassung der Arbeitszeit an allen Schulen und ReBUZ beantragt hatte. Der Personalrat bekam Recht, weil er ja eigentlich nur die Umsetzung geltender Rechtsprechung eingefordert hat. Normalerweise ist ein Mitbestimmungsverfahren in derartigen Angelegenheiten mit der Einigungsstelle abgeschlossen, und die beantragte Maßnahme muss umgesetzt werden. ES PASSIERT ABER TROTZDEM NICHT!!!
Doppelt unverschämter „Aprilscherz“
Und warum? Bei bestimmten Maßnahmen hat der Senat ein Letztentscheidungsrecht und kann Einigungsstellenbeschlüsse wieder aufheben, was er am 1. April dann auch getan hat. Ja, könnte man denken, hat er eben von diesem Recht Gebrauch gemacht. Hierbei gibt es aber zwei Haken. Erstens war der Senat dazu gar nicht berechtigt, weil es sich nämlich um eine rein soziale Maßnahme handelt – so sieht es jedenfalls der Personalrat. Und zweitens spricht sich damit ausgerechnet ein rotrotgrüner Senat explizit für die fortdauernde Missachtung höchstrichterlicher Rechtsprechung zum Gesundheitsschutz mehr als 9000 seiner Beschäftigten im öffentlichen Dienst aus. IST DAS EUER ERNST???
An den Haaren herbeigezogen
Der Senat hat sich das wie folgt zurechtgebastelt: Er interpretiert die Maßnahme als „eine gemischte organisatorische und soziale Angelegenheit“, weil die „organisatorische Gestaltung der Arbeitszeiterfassung“ ein Teil davon sei. Das ist aber dermaßen an den Haaren herbeigezogen, dass es schon wehtut. Bei organisatorischen Maßnahmen handelt es sich nämlich zum Beispiel um Zusammenlegungen von Dienststellen oder die Einführung neuer Arbeitsmethoden. Das Messen der Arbeitszeit mag ungewohnt für Schulbeschäftigte sein, eine neue Arbeitsmethode ist es dadurch aber noch lange nicht. Das schwante wohl auch dem Senat, denn er schreibt weiter: „Doch selbst bei der Annahme, dass es sich bei der vorliegenden Maßnahme im Schwerpunkt oder sogar um eine rein soziale Angelegenheit handelt, wird die Auffassung vertreten, dass ein Letztentscheidungsrecht des Senats gegeben ist.“ An dieser Verrenkung merkt man schon, dass unsere Regierung jetzt ordentlich Bammel hat, denn der Personalrat hat das Verwaltungsgericht angerufen, um das Letztentscheidungsrecht überprüfen zu lassen. Die Verhandlung hierüber findet am 14. Mai statt.
Übersetzung in einfache Sprache
Die Begründung des Senats, mit der er sich über die Entscheidung der Einigungsstelle hinwegsetzt, lässt tief blicken. Er schreibt: „Die Arbeitszeiterfassung von Lehrkräften hat Auswirkungen auf die Erledigung des Amtsauftrags und damit auf das Gemeinwohl.“ Ich übersetze: „Wenn wir (der Senat) die Arbeitszeit von Lehrkräften messen, werden alle Überstunden und Verstöße gegen Arbeits- und Gesundheitsschutz (die wir bisher gepflegt ignorieren konnten und dies auch gerne weiter tun wollen) sichtbar, und wir wären zum Handeln gezwungen. Dann - so unsere Vermutung - ist der Schulbetrieb in Gefahr.“ UNFASSBAR FRECH!!!
Und, so der Senat weiter „Die Einführung der Arbeitszeiterfassung an Schulen kann darüber hinaus erhebliche haushaltsrelevante Folgen haben.“ Hier die Übersetzung: „Wir gehen davon aus, dass wir zu wenig Personal für die Aufgaben an Schulen eingeplant und eingestellt haben. Wenn das durch die Erfassung der Arbeitszeit nachgewiesen wird, müssten wir das ändern - und das wird teuer.“ Ihr verlangt also von euren Beschäftigten, den Schulbetrieb unter Missachtung des eigenen Gesundheitsschutzes und mit andauernden und erheblichen Überstunden am Laufen zu halten, und ihr selbst macht die Augen schön fest zu. DAS IST UNVERSCHÄMT - UND RECHTSWIDRIG!!!
Schreitherapie für Fortgeschrittene
Als ob das nicht schon übel genug wäre, kam es in der Sitzung der Bildungsdeputation am selben Tag noch schlimmer. Hier ist zunächst einmal festzuhalten, dass in der schriftlichen Vorlage der Behörde der Eindruck erweckt wird, der Personalrat hätte sich nicht auf einen „zeitlich gestreckten Vorschlag“ eingelassen. Hierbei wird allerdings folgendes unterschlagen: Der Personalrat war durchaus zu einer zeitlichen Verschiebung bereit, nur enthielt keiner der Vorschläge der Behörde einen verbindlichen Termin für die flächendeckende Erfassung der Arbeitszeit. Ein Pilotversuch hätte also bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag laufen können. NICHT AKZEPTABEL!!!
Der Gipfel
Aber nun zum traurigen Höhepunkt. Frau Aulepp - unser aller, uns mit fürsorglichem Interesse zugewandte Chefin - hat in der Aussprache zum Thema zwei Dinge zum Besten gegeben. Erstens ließ sie sich über einen Politiklehrer aus, der ihr gesagt habe, für ihn sei das Ansehen der Tagesschau Arbeit. Mag sein, dass sich das so zugetragen hat, es aber als amtierende Bildungssenatorin in einer öffentlichen politischen Diskussion als Argument gegen die Arbeitszeiterfassung anzuführen GEHT GAR NICHT!!! Das ist einfach nur Stammtischniveau und das Schüren von Vorurteilen gegenüber den eigenen Lehrkräften. Das war´s aber noch nicht. Es kam nämlich noch der Satz: „Wenn die Lehrer dann ihre Arbeitszeit wahrheitsgemäß aufschreiben ...“ Das war der Moment, in dem mir vor Fassungslosigkeit die Kinnlade endgültig runterklappte. WAS HAT DAS WORT „WAHRHEITSGEMÄSS“ BITTE IN DIESEM SATZ ZU SUCHEN???
Das Schwein wird vom Wiegen doch fett?
Der Staatsrat hat dem Ganzen dann noch mit der Behauptung das Krönchen aufgesetzt, der Beruf von Lehrer:innen würde sich durch die Arbeitszeiterfassung dramatisch verändern und diejenigen, die die Erfassung heute so vehement einfordern, würden sich bestimmt in der Zukunft sagen, so hätten sie das aber nicht gewollt. WHAT???
Wir können unseren Job nicht mehr so machen wie bisher, weil wir aufschreiben, wann wir jeweils damit anfangen und aufhören? Das ist einfach nur ein billiger und durchsichtiger Einschüchterungsversuch durch niemand anderen als unseren Arbeitgeber, dem das Wasser ganz offensichtlich bis zum Hals steht. ABER NICHT MIT UNS!!!