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Schwerpunkt

Wo werden Prüfungen geschrieben, wo abgesagt?

So gehen europäische Länder mit den Schulabschlüssen um. Ein Überblick.

Die BLZ blickt weit auch in Pandemiezeiten über unser Bundesland hinaus. Und hat in überregionalen Tageszeitungen, einschlägigen Zeitschriften und bei öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern recherchiert, ob oder wie in den Schulen im europäischen Ausland das Abitur und die anderen Abschlussprüfungen organisiert sind.

Hätten sich sich da die deutschen Bildungspolitiker*innen in den Ländern und beim Bund vielleicht das eine oder andere abgucken können oder müssen? Klare Antwort: Ja, durchaus. Aber lest selbst:

Schweden:

Zufriedene Gewerkschaften

In Schweden hat die Schulbehörde mit Ausnahme der dritten Klassen, nach der Basiskenntnisse wie Lesen und Schreiben überprüft werden, alle nationalen Prüfungen bis Ende Juni abgesagt. Das gilt für die hier neunjährige Grundschule, für Gymnasien und Einrichtungen der Erwachsenenbildung. In Schweden gibt es keine dem deutschen Abitur vergleichbaren Abschlussprüfungen und nationale Prüfungen sonst nur in wenigen Hauptfächern - die Ergebnisse fließen allerdings nur anteilig in die Abschlussnote ein. So werden die Abschlussnoten nun ausschließlich auf der Basis im regulären Unterricht erbrachter Leistungen festgesetzt. Kritiker sind deshalb unzufrieden. Sie sehen nationale Prüfungen auch als Mittel zum Leistungsvergleich der Schulen und fürchten, dass sich der Abstand zwischen gutem und weniger gutem Unterricht ohne diese Kontrolle vergrößern könnte.

Für die Behörden war dagegen entscheidend, insbesondere Lehrkräften der weiterführenden Schulen, die lange Phasen mit Distanzunterricht hatten, zusätzliche Arbeit zu ersparen - und ihnen mehr Zeit für die Arbeit mit den Schülern zu geben. Bildungsgewerkschaften haben dementsprechend positiv auf die Absage der nationalen Prüfungen reagiert.

Schweiz:

Matura wenn immer möglich

Im Jahr 2020 konnten die kantonalen Gymnasien noch auf die schriftlichen Maturitätsprüfungen verzichten. Die Matura- und Lehrabschlussprüfungen sollen in diesem Jahr wenn immer möglich regulär stattfinden. Für den Fall, dass die epidemiologische Lage eine Durchführung der Prüfungen nicht zulasse, hat der Bundesrat Spezialregelungen erlassen. Können beispielsweise die schriftlichen Maturitätsprüfungen nicht durchgeführt werden, berechnet sich die Maturitätsnote auf Grund der Leistungen im letzten Ausbildungsjahr im jeweiligen Fach, wie das Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation SBFI in einem Faktenblatt festhält. Ob die Maturitätsprüfung stattfindet, sollen dabei die Kantone entscheiden, heißt es.

Erlaube die epidemiologische Lage gar keine Prüfungen, soll sie durch eine Beurteilung durch den Lehrbetrieb ersetzt werden. Auch hier sollen die Kantone selber entscheiden, ob die Prüfungen gemäß Ausnahmeregelung durchgeführt werden.

Tschechien:

Zweifel am Sinn der Reifeprüfung

Der tschechische Regierungschef Andrej Babis forderte, für das Abitur in diesem Jahr die Durchschnittsnote heranzuziehen. Wegen der Corona-Krise hat sich der tschechische Regierungschef Andrej Babis dafür ausgesprochen, die Abiturprüfung wegen der Corona-Krise ausfallen zu lassen. In einem Social-Media-Video zog er die Bedeutung der Reifeprüfung grundsätzlich in Zweifel. Als Unternehmer mit 35.000 Mitarbeitern habe er bei Einstellungsgesprächen nie nach dem Abitur gefragt, sagte der Multimilliardär.

Großbritannien:

Abschlussprüfungen abgesagt

Im Vereinigten Königreich müssen die Schülerinnen und Schüler ihre Leistungsnachweise über schriftliche Arbeiten erbringen; auch gibt es Onlinetests, wobei ohne Videoschalten schwer zu überprüfen sein dürfte, wer die Fragen tatsächlich beantwortet. Die Abschlussprüfungen am Ende des Schuljahres haben England, Schottland, Wales und Nordirland bereits abgesagt. Es wird also keine GCSEs und A-Level-Exams geben, die den deutschen Realschul- und Abiturprüfungen entsprechen. Wie alternativ Abschlussnoten ermittelt werden sollen, ist derzeit noch Gegenstand von Beratungen. Im Wesentlichen dürfte es darauf hinauslaufen, dass die Schülerinnen und Schüler eine Note erhalten, die auf der Beurteilung ihrer Lehrer basiert. Im letzten Sommer war in England zur Benotung auch ein Algorithmus herangezogen worden, der allerdings dazu führte, dass viele Schüler schlechter abschnitten als erwartet und den Sprung an ihre Wunschuni nicht schafften. Auf massiven öffentlichen Druck hin wurden die Noten danach neu berechnet.

Frankreich:

Unsicherheit, Stress und Verwirrung

Der französische Bildungsminister Jean-Michel Blanquer hat angekündigt, dass die Regierung sich bemühen wird, die Schulen im ganzen Land offen zu halten, und hofft, dass die Prüfungen zum Jahresende stattfinden werden. Er besteht darauf, dass die Schließungen von Covid 2020 nicht wiederholt werden. Im Januar musste der Minister aufgrund der anhaltenden Pandemie die erste Reihe von speziellen „neuen Abiturprüfungen“ absagen, die für März geplant waren, um eine kontinuierliche Bewertung zu ermöglichen. Das Bildungsministerium behält sich seit kurzem vor, die Abiprüfungen bis zwei Wochen vor dem Termin zu modifizieren. So addiert sich Unsicherheit auf Unsicherheit, Stress auf Stress. Selbst die Lehrer seien verwirrt. Viele Gerüchte gibt es über eine Notenaufwertung als Ausgleich. Während die Schulen im April vier Wochen lang geschlossen waren, sind die Gewerkschaften besorgt über die organisatorischen Bedingungen des Grand Oral. Gymnasiasten fühlen sich nicht bereit, die Abschlussprüfungen 2021 abzulegen. "Wir hatten keine Stunde Zeit, um uns auf das große Mündliche vorzubereiten, es wird unter katastrophalen Bedingungen stattfinden", wird befürchtet.

Italien:

Schuljahr wird verlängert

Die Maturità, die Abschlussprüfung im vergangenen Sommer, war ein Präsenzabitur, aber ganz anders als sonst. Üblich sind zwei schriftliche und eine mündliche Prüfung. Wegen Corona gab es 2020 nur eine mündliche, 60 Minuten lang. Die Schüler bereiteten dafür ein Referat vor, das möglichst viel Wissen aus unterschiedlichen Fächern abdecken sollte. Wie die Abschlussprüfung in diesem Jahr abläuft, ist noch offen. Das Schuljahr wird um zwei bis drei Wochen verlängert, damit könnten auch die Abiturprüfungen nach hinten verschoben werden.

Coronaabitur in Mailand 2.0

An deutschen Auslandsschulen verbringen die Schülerinnen und Schüler im Regelfall ihre gesamte Schulzeit vom Kindergarten bis zum Abitur an der gleichen Schule. Dies schafft eine besondere, in der Regel lebenslange Verbundenheit mit der Schule. Die schriftlichen Prüfungen fanden ab Ende Januar statt. Die Schülerinnen und Schüler bereits seit fast einem Jahr im „Ausnahmezustand“. Die seelischen Belastungen sind zunehmend spürbar geworden im Laufe der Zeit. Was mussten sie alles aushalten über die Zeit? Fragen kommen auf. Welche Kompetenzen haben sie erworben in dieser Zeit? Ist es noch kongruent mit dem was wir in Prüfungen verlangen. Mit einer Sondergenehmigung haben wir es geschafft, in einer Phase der Schulschließung alle schriftlichen Prüfungen in Präsenz durchzuführen. Alle! Schülerinnen und Schüler haben an allen Prüfungen teilgenommen. Ein großer Schritt, auf den wir alle ein wenig stolz sind. Nun stehen ab 24. Mai die mündlichen Prüfungen an. Erneut eine Herausforderung. Die Schülerinnen und Schüler haben dann 75 Prozent der Qualifikationszeit im Ausnahmezustand verbracht. Keine Freunde treffen, keine Klassenfahrten, keine Urlaube, nicht mal alles „rauslassen“, nicht mal über die Stränge schlagen. Wir sind optimistisch, dass alle durchkommen, dass alle gesund bleiben. Und glücklich ins Leben gehen. Das ist es, was zählt.

Manfred Runge, Schulleiter Deutsche Schule Mailand