Zum Inhalt springen

"Wir müssen uns in beiden Städten noch viel mehr anstrengen"

Bildungssenatorin Claudia Bogedan im BLZ-Interview

"Bei der Inklusion müssen wir kräftig nachlegen, da haben wir noch Ausstattungsdefizite", gibt Kinder- und Bildungssenatorin Claudia Bogedan im BLZ-Interview zu. Sie will allen Kindern ein Kita-Platz bieten. Und den Lehrermangel bekämpfen, denn es "klafft eine Lücke zwischen den Ressourcen und den Köpfen". Die BLZ fragte nach. Die Senatorin nahm sich gut 60 Minuten Zeit. Ein BLZ-Kommentar zu Halbzeitbilanz und ihren Äußerungen ist auf Seite 3 zu lesen

Es ist “Halbzeit”. Zwei Jahre sind Sie im Amt, zwei Jahre sind es bis zur Bürgerschaftswahl. Die Bildungspolitik ist im Land ein Dauerbrenner. Was bleibt noch zu tun bis 2019?

Das ist eine gute Frage. Hinter einigen Projekten aus dem Koalitionsvertrag können wir ein Häkchen setzen. Ressortzusammenlegung, Zuweisungsrichtlinie, Bildungsrahmenplan. Vieles ist auf den Weg gebracht, einiges ist umgesetzt.

... und jetzt, was muss noch?

Und jetzt bleibt noch ganz viel zu tun. Die Welt verändert sich. Was wir 2015 nicht geahnt haben ist das Thema “Wachsende Stadt”. Erneut ist die Bevölkerungsprognose höher als angenommen. Unsere Aufgabe ist es, im Kita-, aber auch im Schulbereich räumliche Kapazitäten zu schaffen, Fachkräfte zu sichern, und dafür zu sorgen, dass  Zugewanderte schnell Sprachkenntnisse erwerben und dann ins Schulregelsystem integriert werden. Das sind riesige Herausforderungen. Die müssen wir bearbeiten. Dafür konnten wir gute Voraussetzungen schaffen. Zum Beispiel beim Sofortprogramm Mobilbauten im Kitabereich. Da haben wir uns im Senat zusammengerauft und Schritte zur Realisierung beschleunigt.   

Die weit mehr als 5.000 Unterzeichner einer Petition des Bremer Bündnisses für Bildung sind da skeptischer. Sie kritisieren darin ihre Bildungspolitik und den Senat scharf. Wie wollen sie das Fachpersonal wieder zu zufriedenen Mitarbeiter*innen machen?

Die Frage ist, über welche Ebene von Unzufriedenheit wir da sprechen. Wir wissen, dass wir die Schulen zuletzt immens belastet haben. Jede Woche, jeden Monat kommen neue Schülerinnen und Schüler in die Vorkurse und in die Klassen, das ist eine große Integrationsaufgabe. Wir wollen unsere Schulen dabei besser unterstützen.

Sie versprechen Unterstützung. Wie wollen Sie ganz konkret helfen?

Doppelbesetzungen in den Klassenräumen sind ein wichtiges Thema. Wir werden das kurzfristig nicht durchgängig für die ganze Zeit des Unterrichts in allen Klassen realisieren können, müssen uns aber stärker in diese Richtung bewegen. Der Personalmix an den Schulen ist zu verändern. Das heißt: wir brauchen mehr Unterstützungskräfte, damit sich die Lehrkräfte mehr auf das Unterrichten konzentrieren können und entlastet werden. Mehr Schulsozialarbeit ist durch das Integrationsbudget schon organisiert, diese wird im Sommer an den Schulen ankommen.

Trotz der Zuweisungsrichtlinie, nach der bei mehr Schüler*innen auch die Anzahl der Lehrkräfte steigt, hat Bremen im Stadtstaatenvergleich eine sehr schlechte Schüler*innen/Lehrkräfte-Relation.

Ja, die Zahlen sind deutlich. Wir müssen uns darüber auseinandersetzen, ob der Bedarf pro Klassenverband anders bemessen werden muss.

Stichwort Lehrkräftemangel: Waren es Fehlentscheidungen den Sportstudiengang zu schließen und den Studiengang Inklusive Pädagogik frühestens erst 2019 wieder einzurichten?

In der Politik werden Entscheidungen immer vor dem Hintergrund der zu dem Zeitpunkt vorliegenden Fakten getroffen. Die Ausgangslage war damals eine andere. Mit der Erfahrung von heute, würde man das sicherlich nicht noch einmal so machen. Ich finde es schwierig von Fehlentscheidungen zu sprechen. Heute wissen wir, dass sich die Kooperation mit Oldenburg im Bereich Sportstudium als nicht tragbar erwiesen hat. Jetzt suchen wir nach anderen Modellen. Ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam mit der Wissenschaftssenatorin einen guten Modus finden werden. Wie es mit dem Planungen zum Studiengang Inklusive Pädagogik weitergeht, besprechen wir intensiv mit der Uni und machen unsere Bedarfe sehr deutlich klar.

Bremerhaven hat ein noch massiveres Lehrkräfteproblem. Jede(r) zweite Referendar*in verlässt nach der Ausbildung die Stadt und das Bundesland. Die Hauptgründe sind: Die schlechte Ausstattung in den Schulen und ein im Vergleich geringeres Gehalt. Was tut ihr Ressort, damit die unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen sich wieder angleichen?

Die Frage ist: Wie kriegen wir es überhaupt hin, Referendare zu halten. Im Land Bremen bleiben acht von zehn, dabei in Bremen mehr als in Bremerhaven. Wir müssen überlegen, wie wir es besser hinbekommen, dass beide Stadtgemeinden gleichermaßen profitieren. Auch in den Stadtteilen Bremens gibt es Unterschiede. Oft sind durch geringfügige Steuerungen Effizienzgewinne zu schaffen. Wir müssen aber stärker darauf achten, was die realen Bedarfe in den Schulen sind. In Bremerhaven ist fast jedes Fach ein Mangelfach. Das kann man sich bei der Steuerung zu Nutze machen. Wichtig ist auch der Bezug zur Stadt. Wer den hat, bleibt eher. Es klafft eine Lücke zwischen den Ressourcen und den Köpfen, die zur Verfügung stehen.

Hinzu kommt, dass die Großstadt Bremen für viele attraktiver ist.

Ja. Wir müssen uns aber in beiden Städten noch viel mehr anstrengen. Die Konkurrenz wächst, Fachkräftegewinnung ist kein Selbstläufer Auch in anderen Bundesländern wie NRW oder Niedersachsen kann man sich mittlerweile aussuchen, an welche Schulen man geht.Wir justieren an allen Stellschrauben, die wir zur Verfügung haben. . Zum Beispiel mit einem umfassenderen Zugang zum Referendariat.

Fachkräftemangel gibt es auch im Kita-Bereich. Wie beruhigen sie die Eltern?

Wir wollen möglichst allen Kindern einen Kita-Platz bieten. Deshalb haben wir in die Mobilbauten investiert. Um ausreichend Fachkräfte zu haben, müssen wir alles Mögliche tun. Wir werden die Ausbildungskapazitäten sowie die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher im Anerkennungsjahr erhöhen. Es ist verabredet, dass mehr sozialpädagogische Assistenzen eingestellt werden. Der Personalmix ist so zu verändern, dass Menschen aus angrenzenden Berufen befähigt werden, als Erzieher*innen zu arbeiten.

Die Eltern sind trotzdem skeptisch, ob dies überhaupt oder ob es schnell genug geht.

In Absprache mit den Trägern versuchen wir die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass es leichter gelingt, Fachkräfte zu gewinnen. Manches wird aber nicht sofort wirken. Bei den Einstellungen können wir nur darauf vertrauen, dass es gelingt. Auch kurzfristige Maßnahmen werden wir möglicherweise nochmal genauer angucken müssen, damit im Sommer genug Personal da ist. Auch mit arbeitsorganisatorischen Maßnahmen können wir einiges verbessern und beispielsweise vollzeitähnliche Beschäftigung aus einer Teilzeitbeschäftigung schaffen. 

Teilzeit hat in der Regel gute Gründe. Nach der Pflichtstundenerhöhung für Lehrkräfte hat sich die Teilzeitquote erhöht. 28 Stunden zum Beispiel im Grundschulbereich sind kaum zu schaffen. Entlastungsstunden würden zur Verringerung der Quote führen.

Genau. Meine Partei diskutiert das sehr laut. Ich habe mir diesen Vorschlag zu eigen gemacht und werde ihn auch in den anstehenden Haushaltsberatungen einbringen. Durch Entlastungsstunden kann die Attraktivität von Tätigkeiten an Schulen gesteigert werden. Das gilt insbesondere in sozial belasteten Stadtteilen.

Kommen wir zur Inklusion. Das Land Bremen und ihre Vorgängerinnen haben sich – im Vergleich – sehr früh dafür entschieden. Bei der Umsetzung gibt es aber massive Probleme. War der Zeitpunkt der Entscheidung und sind die Umsetzungsschritte zu ambitioniert?

Das ist eine Bewertung über die Vergangenheit. Wichtig ist doch, was wir jetzt machen, um für die Zukunft gut aufgestellt zu sein. Ich habe bisher keinen Hehl daraus gemacht, dass wir dort noch kräftig nachlegen müssen. Es gibt mehr Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Deshalb haben wir erheblich zusätzliche Ressourcen eingeworben. Diese werden den Schulen sukzessive zur Verfügung gestellt.

Es bleibt aber bei der Zwickmühle: die höchste Inklusionsquote im Bundesgebiet und eine mehr als dürftige Schüler*innen-Relation. Das passt nicht zusammen. Damit produziert man Unzufriedenheit.

Angekündigtes haben wir eingehalten. Wir haben Lehrkräfte eingestellt, die PEP-Quote galt da nicht. Auch Lehrkräfte in anderen Bereichen sind zusätzlich eingestellt worden. Die stehen in den Schulen zur Verfügung.

Nervt es, dass Sie jetzt vieles ausgleichen müssen? Hätten sie - wenn sie früher in Verantwortung gekommen wären - die Einführung der Inklusion besser vorbereitet?

Es ist immer leichter, rückblickend zu sagen, was man früher anders gemacht hätte. Mit den Erfahrungen von heute, hätte man die Inklusion mit Sicheherheit anders eingeführt.

„In NRW tun sich viele mit Vielfalt und Inklusion schwer“, haben Sie die Politik Ihrer Parteifreundin Hannelore Kraft kritisiert. Und Sie seien "froh, dass Ihre Kinder in Bremen zur Schule gehen werden.“ Bei den massiven Inklusionsproblemen hier im Land – diese Aussage müssen sie unseren Leser*innen erklären.

Wir haben noch Ausstattungsdefizite. Wir müssen die Schulen auch baulich ertüchtigen. Das kostet. Aber aufPraxis-Ebene sind unsere Schulen schon sehr weit entwickelt. Hier wird exellente, hochprofessionelle pädagogische Arbeit geleistet – und das unter schwierigen Bedingungen. Auf Bremen wird als Vorbild geschaut. Das gilt auch für den Bereich der Flüchtlingsbeschulung in den Vorkursen.

Nach den Vorkursen wechseln die Kinder und Jugendlichen oft schon nach einem halben Jahr in das Schulregelsystem. Nicht alle können dort dem Unterricht folgen. Die Sprachförderung muss fortgesetzt werden.

Diese große Integrationsaufgabe steht jetzt erst an. Nach der sprachlichen Erstintegrationbrauchen wir Angebote, die darüber hinaus gehen. Bestehendes würden wir gerne ausbauen.

Ressourcen heißt meistens Geld. Der dringend notwendige Schulbau kostet viel Geld. Er ist aus dem aktuellen Bildungshaushalt nicht zu finanzieren. Befürworten Sie ein Sonderprogramm, wie es das BBB vorschlägt?

In den nächsten zwei Jahren benötigen wir Planungsmittel, um Schulbaumaßnahmen vorzubereiten. Ab 2020 müssen die erweiterten Handlungsspielräume im Haushalt genau dafür genutzt werden.

Seit Jahren ist der Bremer Bildungshaushalt unterfinanziert. Die Eckwerte für 2018 und 2019 sehen zusätzliche Mittel von je neun Millionen Euro vor. Reicht hinten und vorne nicht um den aktuellen Bildungsnotstand zu beseitigen, sagen alle Experten. Wie und mit welchen Argumenten wollen Sie im Senat um mehr Geld werben.

Die Verabredung ist: Bildung soll der absolute Schwerpunkt sein. Ein Ausdruck dafür sind diese sogenannten Verstärkungsmittel, also die neun Millionen Euro pro Jahr zusätzlich. Ich vertraue darauf, dass der Senat den Schwerpunkt auch entsprechend setzt. Das ist nötig, denn Bremen hat zum Beispiel einen hohen Anteil von neuen Schüler*innen, die erst ein Jahr in Deutschland leben. Das kann mein Ressort nicht so einfach aus den Bordmitteln bestreiten, da brauchen wir zusätzliche Unterstützung. Das ist eines der stärksten Argumente, damit die Schulen weiter gute Arbeit machen können.  

Vielen, denen gute Bildung in Bremen wichtig ist, liegt aber die Statistik, dass hier aber dennoch ca. 2.000 Euro weniger pro Schüler ausgegeben wird als in anderen Stadtstaaten, schwer im Magen. Das sind im Vergleich ca. 20 Prozent weniger. Sehen sie Chancen dies zu korrigieren?

Ich glaube nicht, dass wir mit einem kalten Schlag bei den Ressourcen nach oben springen können. Wenn es uns weiter gelingt, mehr Mittel als zuvor einzuwerben, kommen wir dem Ziel näher, auch pro Kopf mehr Ressourcen zur Verfügung zu haben. Mein Ziel ist es eher, im Klassenkontext durch mehr Personal Entlastung zu schaffen.

Große, pädagogische Ansprüche mit geringeren Mitteln umsetzen zu wollen, führt zu Überarbeitung und Frustration des Lehrpersonals.

Mein Anspruch ist keinesfalls, aus den Lehrkräften mehr herausquetschen. Das Gegenteil ist der Fall. Es muss überlegt werden, wie man Verstärkungsressourcen gewinnen kann. Das ist uns mit den jüngsten Haushalten und der Zulage bei der Besoldung gelungen. Ich denke, das ist ein wichtiges Signal.  

Wertschätzung kann man auch durch das Gehalt oder die Besoldung ausdrücken. Die Zulage für Grundschullehrkräfte sehen Sie als ersten Schritt hin zu A 13. Wann gibt es A13 für alle?

Wir sind jetzt noch nicht in der Lage A 13 für alle umzusetzen. Bremen kann diesen Schritt als Haushaltsnotlageland nicht als erstes Bundesland gehen. Aber wir machen jetzt, was wir an Möglichkeiten haben. Wir sehen, welche Arbeit geleistet wird. Es gibt keine Unterschiede bei der Tätigkeit in verschiedenen Schularten, darum darf es eigentlich auch keine Unterschiede bei der Bezahlung geben. Im Gegenteil. Die Grundschullehrkräfte sind für uns ein ganz wichtiger Baustein der gesamten Bildungskette.

Trotz Jugendberufsagentur und Ausbildungsgarantie – beides Wahlversprechen ihrer Partei – warten viele Jugendliche und junge Erwachsene bis zu neun Monate auf einen Schulplatz oder eine Beratung in den Beruf. Was läuft da schief?

Anfang des Jahres 2016 hatten wir Probleme alle zugewanderten Schulpflichtigen zu erfassen. Wir haben dann das Verfahren geändert. Mir ist eine Herzensangelegenheit, dass kein Jugendlicher monatelang auf einen Platz warten muss. Fakt ist: für alle Schulpflichtigen haben wir einen Schulplatz.

Es hieß damals „Keiner soll verloren gehen“. Dieses Motto gilt weiter. Aber dieses Ziel wird nicht erreicht.

Das sind genau die Jugendlichen, die in der Zeit vor der Wirkung der Jugendberufsagentur nicht erreicht worden sind. Wir haben jetzt andere rechtliche Möglichkeiten, um zum Beispiel Daten weitergeben und nutzen zu können. Jugendliche können jetzt ab Klasse acht, also bevor sie die Schule verlassen, angeschrieben werden. Sie sind dann im System eingespeist und sie können beraten werden. Diesen frühen Kontakt gab es vorher nicht.

Sie sind nicht enttäuscht, dass die Veränderungen so lange dauern?

Ich bin überhaupt nicht enttäuscht. Viele Beteiligte arbeiten jetzt anders als vorher, es sind neue Schnittstellen entstanden. Solche Prozesse und Umstrukturierungen brauchen ihre Zeit. Jetzt greifen die neuen Maßnahmen. Die Früchte werden wir in den nächsten zwei, drei Jahren ernten können.