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Schwerpunkt

„Wir müssen jetzt stärker differenzieren“

Die Krankenhausschule in Pandemiezeiten: Interview mit Schuleiterin Carmen Bergedick über Systemrelevanz, Schulmeider und Stundenressourcen

In der Stadt Bremen gibt es seit 1981 Schulunterricht an Kliniken. Insgesamt 22 Lehrer:innen arbeiten an der Schule an der Züricher Straße (umgangssprachlich Krankenhausschule). Sie hat drei Dependancen (Klinikum Bremen-Ost, Kinderkliniken in Bremen-Mitte, Bremen-Nord). Im Bedarfsfall wird Hausunterricht erteilt.

Die Krankenhausschule verbindet Bildung und Gesundheit. Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an Systemrelevanz denken?

Carmen Bergedick: Ja, wir sind relevant in beiden Bereichen. Das ist unser Alltag, erkrankten Kindern das Recht auf Bildung und Unterricht zukommen zu lassen. Manchmal klappt das gut, manchmal ist das schwierig, weil Bildung und Gesundheit unterschiedliche Vorgaben machen.

Wie sieht derzeit der Schulalltag aus. Was hat sich durch Corona verändert?

Durch Kohortenbildung auf den Stationen mussten wir noch stärker differenzieren, weil Fünft- bis Zehntklässler:innen gemeinsam gelernt haben. Das hat Vor- und Nachteile. Die Lehrkräfte waren näher an ihren Schüler:innen dran, weil sie sich nur auf eine feste Kohorte konzentrieren mussten. Dadurch war ein intensiverer Austausch mit den Therapeuten möglich. Es bestand ein engerer Draht. Wenn man allerdings immer mit der derselben kleinen Gruppen arbeitet, gab es auch weniger Input und Entwicklung. Es ist sehr mühsam, wenn sie beispielsweise mit fünf an Depression erkrankten Kindern arbeiten. Da wäre eine Durchmischung der Gruppe und der Krankheitsbilder manchmal sehr hilfreich. Als die Bundesnotbremse galt, hatten wir als Klinikschule eine Ausnahmegenehmigung, weil wir keinen Distanzunterricht auf den Stationen anbieten konnten. Die Vernetzung mit den Stammschulen der Schüler:innen hingegen wurde in der Coronazeit durch die Digitalisierung, durch Ipads und itslearning sogar besser.

Die Pandemie grassiert seit März 2020. Gab es dadurch neue Probleme?

Besonders das Problem Schulmeider ist nicht kleiner geworden. Die Fallzahlen sind gestiegen. Insgesamt sind die Anfragen nach klinischer und damit schulischer Unterstützung gesamtheitlich gestiegen. Corona wirkt da wie ein Brennglas und zeigt uns nur umso deutlicher wo Unterstützung und Hilfe fehlt. Auch die gewohnte Rückführung der Kinder und Jugendlichen an ihre Stammschulen ist für uns ganz schwierig. Das geht oft nicht, weil die Hygienekonzepte der Kliniken so hoch sind, viel höher als in den Schulen. Unsere Schüler:innen konnten wegen der Infektionsgefahr nicht stundenweise zurückgeführt werden. Eine Anbahnung zur Stammschule, eine gestaffelte Rückführung war nicht möglich. Sie wurden ins kalte Wasser geworfen - raus aus der Klinik, rein in das alte System. Das war und ist belastend für die Beteiligten.

Hätten Sie sich da mehr Unterstützung erwartet?

Nein, das ging gar nicht. Die Verantwortung, sich hier klar an die Hygienevorschriften zu halten, ist wichtig. Denn wir sichern so die psychiatrische Grundversorgung im Land Bremen. Für die klinische und schulische Arbeit war es aber natürlich erschwerend.

Haben Sie genug Lehrkräfte?

Ja. Es gibt genug Kolleg:innen aus dem Regelsystem, die gerne bei uns unterrichten wollen. Man kann bei uns sehr individualisiert arbeiten, man ist sehr nah am Kind. Es gibt kleine Gruppen und individuelle Förder- und Lehrpläne. Bei uns bekommt man mehr Zuwendung, Aufmerksamkeit und eine individuelle Ansprache. Gleichfalls sind die Herausforderungen an die Lehrkräfte aber eben auch besonders.

Das hört sich sehr systemrelevant an.

Ja, das stimmt. Trotzdem sind wir bei vielen so ein bisschen unter dem Radar. Die Schulen, die ihre Schüler:innen bei uns haben, wissen was die Klinikschule anbietet. In der Regel wird man erst dann auf uns aufmerksam.

Wir haben jetzt 16 Monate Corona hinter uns. Mit den Erfahrungen aus dieser Zeit, was gibt es für Wünsche für die Krankenhausschule?

Uns ging es in dieser Zeit vergleichsweise gut. Es war anstrengend, keine Frage. Aber wir konnten unsere Arbeit trotz Pandemie gut machen. Allerdings sind unsere räumlichen Bedingungen sehr begrenzt, wir brauchen da eine Aufstockung und mehr Platz. Ich wünsche mir, dass die GENO über finanzielle Ressourcen verfügt, die dazu führt, dass die Stationen mit WLAN ausgestattet werden können. Weil wenig Räumen da sind, könnte dann mehr digital unterrichtet werden. Wir hätten gerne eine Stundenressource, um mehr Zeit in die Übergänge für unsere Schüler:innen zu investieren. Meine Lehrkräfte brauchen mehr Zeit, um die Kinder in den Stammschulen zu begleiten und dort wichtige Gespräche und Vernetzung zu führen. Die Regelsysteme sind darauf angewiesen zu wissen, was es für ein Kind mit einer psychischen und/oder somatischen Erkrankung bedeutet, schulisch zu lernen. Nur so kann der Aufenthalt in der Klinik auch nachhaltig sein.