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„Wir haben einen unterschiedlichen Blick auf die Zahlen"

Interview mit der Bildungssenatorin Eva Quante-Brandt

BLZ: Frau Senatorin, Sie sind jetzt 14 Monate im Amt. Genug Zeit, um die Bedarfe an den Bremer und Bremerhavener Schulen zu ermitteln. Sie sind wesentlich größer als finanziellen Haushaltsmittel - und das auf lange Zeit. Ist das Thema Bildungsfinanzierung das bisher schwierigste und nervigste Thema Ihrer Amtszeit?
Eva Quante-Brandt: Bildungsfinanzierung ist immer ein anstrengendes Thema und da gibt es immer unterschiedliche Perspektiven auf die Bedarfe und das, was man hat. Ich kann gar nicht mal sagen, dass das nervig ist. Aus meiner Sicht hat der Senat all das, was er zurzeit kann, auf die Beine gestellt, und insofern finden wir eine Voraussetzung vor, mit der wir sagen können, wir sichern die Unterrichtsversorgung sinnvoll ab.

Haushalt

BLZ: Die Bürgerschaft hat in den Haushaltsberatungen 4,4 Mio. für neue Ganztagsschulen in der Stadtgemeinde Bremen bewilligt, aber kein Geld für die Ausstattung der Inklusion und der Oberschul-Integration, obwohl hier nach Berechnung des Landesrechnungshofes eine Lücke von ca. 20 Mio. jährlich besteht. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund das Ergebnis der Haushaltsberatungen?
Eva Quante-Brandt: Sie sprechen da von einer Lücke. Wir haben eine Lücke in diesem Ausmaß nicht identifiziert. Insofern haben wir hier einen unterschiedlichen Blick auf die Zahlen. Wir gehen davon aus, dass wir die Inklusion mit den Mitteln, die uns jetzt zur Verfügung stehen, erst einmal absichern können. Wir wissen alle, dass wir bei der Inklusion auch im Prozess lernen, und ob das auf Sicht auch die Mittelausstattung ist, die wir brauchen, das wird sich zeigen. Aber gegenwärtig sind wie der Auffassung, dass es eine Ausstattung ist, mit der die Inklusion auch sachgerecht umgesetzt werden kann.

BLZ: Auf unserem Gewerkschaftstag haben Sie zugesagt, mit uns zusammen noch einmal alles durchzurechnen.
Eva Quante-Brandt: Wir müssen uns miteinander verständigen. Das machen wir auch mit dem Personalrat und mit den Schulen, wir sind in einem Dialog. Aber gleichzeitig müssen wir auch wissen, welche Rahmenbedingungen wir vorfinden, und wir können nicht davon ausgehen, dass wir diese Rahmenbedingungen grundlegend verändern können.

BLZ: In Bremerhaven haben 7000 SchülerInnen, Lehrkräfte und Eltern mehr Neueinstellungen für die Schulen gefordert. Wird es eine erhöhte Zuweisung für die Stadtgemeinde Bremerhaven geben?
Eva Quante-Brandt: Wir haben eine Aufteilung der Mittel von 80:20, an dieser grundlegenden Verständigung über die Aufteilung wird sich erst einmal nichts ändern.

BLZ:. In der letzten Deputationsvorlage, die sich auf den Bericht des Landesrechnungshofs bezieht, wird für 2014 ein Bedarf für Inklusion und Oberschul-Entwicklung von 414 Stellen berechnet und diesem Mehrbedarf eine „demographische Rendite“ von 331 Stellen gegenübergestellt. Der Rückgang der SchülerInnenzahl um 6,7% seit 2010 wird dabei einfach linear heruntergerechnet. Die Zahl der Klassenverbände ist aber nur um 1,9% gesunken, und die entscheidet in erster Linie über den Bedarf.
Eva Quante-Brandt: Wir sind von dieser Modellrechnung ausgegangen. Wenn sich die demographische Rendite nicht in dem Umfang einstellt, dann muss man das politisch neu bewerten. Das ist völlig klar. Und das werden wir dann auch tun.

Inklusion

BLZ: Viele Lehrkräfte in Inklusionsklassen sind frustriert. Der Grundgedanke "jedes Kind soll seinen Fähigkeiten entsprechend gefördert und gefordert werden", so klagen sie, wird bei den immer schlechter werdenden Rahmenbedingungen ad absurdum geführt. Was sagen Sie den KollegInnen?
Eva Quante-Brandt: Diese negative Zusammenfassung höre ich so nicht. Es gibt einzelne Stimmen, die generelle Kritik formulieren, und es wird gesagt, wir müssen zu viel im Prozess selber lernen. Aber insgesamt ist die Position: Ja, wir wollen das und wir können das. Wir haben die Weiterqualifizierung zu SonderpädagogInnen jetzt begonnen, darüber bin ich sehr froh. Das wird die sonderpädagogische Kompetenz in den Schulen erhöhen. Wir wissen, dass wir auf dem Arbeitsmarkt ein Problem haben. Alle Bundesländer suchen nach SonderpädagogInnen. Die Ausgangssituation in Bremen ist aufgrund der hier vorhandenen Erfahrungen mit Integration und Kooperation im Vergleich nicht die schlechteste.

BLZ: Der Prozess ist in den Oberschulen erst zur Hälfte gelaufen. In den nächsten drei Jahren brauchen wir noch einmal wenigstens genauso viele SonderpädagogInnen in den Oberschulen, wie jetzt angekommen sind.
Eva Quante-Brandt: Ich gehe davon aus, dass wir mit unserer Weiterbildung ganz gut den Bedarf an sonderpädagogischer Kompetenz erfüllen können. Dabei können auch Engpässe auftreten. Wir werden ReferendarInnen mit sonderpädagogischer Kompetenz bevorzugt auswählen. Wir werden auch an der Universität den Schwerpunkt Inklusion stärken.

BLZ: Aber das wirkt alles erst auf längere Sicht.
Eva Quante-Brandt: Wir haben in der Weiterbildung 36 Lehrkräfte und werden diesen Zyklus dreimal durchführen, d.h. wir werden langfristig 108 zusätzlich sonderpädagogisch weiterqualifizierte Lehrkräfte haben. Eng werden kann es im kommenden Schuljahr, weil die Weiterbildung noch nicht abgeschlossen ist. Parallel stellen wir natürlich auch SonderpädagogInnen ein. Und durch die Auflösung der Förderzentren werden auch noch SonderpädagogInnen in das allgemeinbildende System übergehen. Wenn man sich auf einen neuen Weg begibt, entstehen dabei natürlich auch Ungleichzeitigkeiten und Probleme. Das ist normal. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass von Seiten der Lehrkräfte die Inklusion in Frage steht. Und wir müssen natürlich versuchen, Gelingensbedingungen herzustellen.

Unterrichtsvertretung

BLZ: Ein großes Thema ist dabei die Zuverlässigkeit im täglichen Unterricht. In allen Schulen gibt es extreme Engpässe bei der Unterrichtsvertretung. Auf unserer Vertrauensleute-Versammlung vor Weihnachten haben KollegInnen berichtet, dass sie morgens zwei Klassen gleichzeitig beaufsichtigen müssen. Sie haben auf dem Bremer GEW-Gewerkschaftstag zugesagt, dieser Frage nachzugehen. Was sind Ihre Ergebnisse?
Eva Quante-Brandt: Bei der Vertretung, besonders im sonderpädagogischen Bereich, ist es eng. Das ist wahr. Wir sind gerade in der Diskussion, wie wir auch in der Vertretung mehr Sicherheit bieten können. Deshalb haben wir als Senat auch noch einmal extra eine Million jährlich für Vertretung beschlossen. Das hilft uns in dieser Situation.

Oberstufe

BLZ: Ein aktuelles schulpolitisches Thema ist die Oberstufe. In den nächsten Jahren werden aufgrund der Umstellung auf das Abitur nach 13 Jahren in den Oberschulen weniger SchülerInnen nach der 9. Klasse in die GyO wechseln: Wie wollen Sie dieses Problem lösen?
Eva Quante-Brandt: Wir haben den Weg gewählt, dass in den Regionen, in denen diese Situation eintritt, sich die Schulen über ein Angebot verständigen, das sie vorhaltenDass sie sich darüber abstimmen und austauschen, wo welche Klassen und Kurse stattfinden. Sie sollen sich unterstützen, wenn die Gefahr auftritt, dass eine Oberstufe nicht mit der SchülerInnenzahl belegt wird, die sie braucht. Für das nächste Schuljahr haben wir meiner Meinung nach einen vernünftigen Lösungsvorschlag entwickelt.

BLZ: Das löst noch nicht das Problem, dass Oberschulen, die keine Oberstufe haben, abgekoppelt sind.
Eva Quante-Brandt: Das ist richtig. Und deshalb müssen wir den Verbund-Gedanken stärken. Oberstufen und Oberschulen arbeiten im Verbund miteinander. Es muss noch einmal deutlicher gemacht werden, dass es keine höhere Wertigkeit beinhaltet, eine gymnasiale Oberstufe zugewiesen bekommen zu haben. Das kann man nur über die Verbund-Lösung klären. Wir müssen für alle SchülerInnen ein Oberschul- und Oberstufen-Angebot vorhalten.

Arbeitsbelastung | Mitbestimmung

BLZ: Die Arbeitsüberlastung in den Kollegien ist groß. Entlastung ist ein Gebot des Gesundheitsschutzes. Wo sehen Sie Entlastungsmöglichkeiten?
Eva Quante-Brandt: Wir haben das Gesundheitsmanagement und die Angebote des LIS. Beide werden von den Schulen genutzt, weil es sich um Angebote handelt, die sich auf das tägliche Handeln beziehen.

BLZ: Überlastung entsteht gerade auch im Zusammenhang mit der Oberschul-Entwicklung und der Inklusion. Da gab es zu Beginn bei der Bildung der Jahrgangsteams Entlastungsstunden. Wie wird das jetzt weitergeführt?
Eva Quante-Brandt: Die Entlastungsstunden für die Jahrgangsteams waren u.a. dafür gedacht, Material zu entwickeln. Daher sind sie jetzt reduziert.

BLZ: Eine weitere Situation, in der Überlastung entsteht, ist der Berufsanfang. Und ausgerechnet dort, im dritten und vierten Jahr, müssen die Lehrkräfte eine Stunde mehr unterrichten (die sogenannte U-50-Stunde).
Eva Quante-Brandt: Ich weiß, dass der Lehrerberuf anstrengend ist. Aber es gibt bei uns im Moment keine Diskussion darüber, diese Stunde abzuschaffen. Dafür haben wir nicht die Ressourcen.

BLZ: Viele schulorganisatorische Prozesse waren in den letzten Jahren durch einen Top-down-Stil geprägt. Sehen Sie nicht die Zeit gekommen, mehr demokratische Beteiligungsrechte einzuführen?
Eva Quante-Brandt: Mein Führungsstil ist auf jeden Fall nicht auf Top-down angelegt, sondern auf Beteiligung und Dialog. Und die Ergebnisse, die dabei entstehen, werden dann auch zur Maxime des Handelns gemacht.

Hochschulen

BLZ: Hohe Studierendenzahlen sind im Land Bremen politisch gewollt. Bei der Ausstattung an den Hochschulen geht es in die andere Richtung. Kürzungen in der Lehre sollen trotz massiver Kritik umgesetzt werden. Wie gehen Sie mit der Empörung vieler betroffener MitarbeiterInnen um?
Eva Quante-Brandt: Zwischen dem, was man befürchtet, und dem, was eintritt, besteht manchmal auch eine Diskrepanz. Wir wollen die hohen Studierendenzahlen im Rahmen des Hochschulpaktes halten. Im Rahmen der Wissenschaftsplanung werden wir darstellen, in welcher Höhe Studienplätze aus der Grundfinanzierung realisiert werden können. Wir haben die Situation, dass wir für die hohen Zahlen die Mittel haben, aber nicht in der Grundfinanzierung. Und darüber diskutieren wir an der Universität und an den Hochschulen. Ich denke, die 2,4 Mio. jährlich, die wir für 2014 und 2015 zusätzlich bekommen haben, werden auch zu einer Entlastung in der Lehre führen. Ich finde, wir haben für den Hochschulbereich einiges erreicht.

BLZ: Mit dem Erreichten sind die Beteiligten aber bei weitem nicht zufrieden.
Eva Quante-Brandt: Wir haben zusätzlich neun Millionen Euro für die Bausanierung erreicht, die Tarifsteigerungen werden erstmalig wieder in den Haushalt eingestellt, sodass sie nicht aus der Grundfinanzierung genommen werden müssen. Das sind enorme finanzielle Zuwächse, die uns für 2014 und 2015 gelungen sind. Weiterhin ist die Exzellenz finanziert und auch die außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind abgesichert. Das ist viel, aber wenn ich im Lehramt studiere und ein volles Seminar vorfinde, dann macht mich das in meiner konkreten Situation nicht froh. Das kann ich auch verstehen. Aber ich sage trotzdem: Wir haben viel erreicht.

BLZ: In der Hochschule Bremen gab es Szenarien, nach Auslaufen des Hochschulpaktes die Zahl der Studierenden drastisch zurückzufahren. Sind die mit den Haushaltsbeschlüssen vom Tisch?
Eva Quante-Brandt: Wir sind jetzt gerade in der Wissenschaftsplanung bis 2020. Wir verständigen uns mit den Hochschulen über ihre Perspektive. Die Hochschule Bremen hat im letzten Jahr mit ihrem STEP formuliert, in welchen Bereichen sie gegebenenfalls Studierendenzahlen absenken muss. Es kann sein, dass es dazu kommt. Wir werden in bestimmten Bereichen entsprechend den Empfehlungen des Wissenschaftsrats fragen müssen: Wo haben wir ein zu stark ausdifferenziertes Master-Angebot? Aber wir haben im Moment überhaupt nicht die Zielperspektive einer starken Absenkung der Studierendenzahlen.

Berufsbildung

BLZ: In diesem Jahr stehen wieder die „Bremer Vereinbarungen“ zur Verbesserung der Lehrstellensituation an. Die Unternehmerverbände argumentieren dort mit der „fehlenden Ausbildungsreife“ vieler Jugendlicher. Wie beurteilen Sie dieses Argument und mit welchen Forderungen gehen Sie in diese Verhandlungen?
Eva Quante-Brandt: Erstens kann man konstatieren, dass wir in diesem Jahr einen leichten Rückgang der Ausbildungsplätze im Land Bremen haben. Er fällt geringer aus als im Bundesvergleich, aber wir haben einen Rückgang. Das muss man den Betrieben spiegeln. Zweitens argumentiere ich gegenüber der Handelskammer und der Handwerkskammer und auch in den Verhandlungen zur „Bremer Vereinbarung“ immer, dass man die jungen Menschen, die man hat, zu einem Ausbildungsabschluss führen muss. Und das heißt, dass die Anstrengungen der Betriebe ebenso ansteigen müssen, wie die Anstrengungen der Schulen. Natürlich müssen die Schulen sich auch immer wieder fragen: Mit welchen Kompetenzen und einzelnen Fertigkeiten schicken wir die SchülerInnen aus der Schule?
Die Vermittlung von Grundbildungselementen muss im Ausbildungsprozess fortgesetzt werden. Wenn Sprachdefizite oder Defizite im mathematischen Verständnis festgestellt werden, dann müssen die Betriebe und die Berufsschulen sich darüber verständigen, wie Nachlernprozesse organisiert werden können sowohl in der Schule als auch in der betrieblichen Ausbildung. Das ist mein Verständnis von dualer Ausbildung.
BLZ: Vielen Dank für das Gespräch.

  • Die Fragen stellten Karsten Krüger und Jürgen Burger
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