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Schwerpunkt

„Wie soll das ohne Fachkräfte funktionieren?“

Interview mit der Erzieherin Melanie Brackmann. Sie ist kommissarische Leiterin der swb-Kita Glühwürmchen in Woltmershausen.

Melanie Brackmann, Erzieherin | swb-Kita Glühwürmchen

Das Thema Corona beeinflusst seit langem auch den Kita-Alltag. Wie hat sich ihre Arbeit verändert?

Die hat sich sehr verändert. Wir können unser Personal wegen der Kohorten-Regelung nicht mehr so flexibel einsetzen. Teilzeitkräfte müssen jetzt auch nachmittags arbeiten, weil wir sonst die Öffnungszeiten nicht mehr abdecken können. Wir testen, wir lüften, wir desinfizieren, schreiben Listen für das Gesundheitsamt. Wir machen also viele Dinge, die mit dem pädagogischen Alltag nichts zu tun haben.

Das hört sich nach vielen Überstunden an?

Ja, Überstunden oder Einschränken des Angebots. Das heißt für unseren pädagogischen Alltag: Können wir uns noch daran orientieren, was die Kinder eigentlich brauchen oder sich wünschen? Es erfordert schon sehr viel Flexibilität, um allen gerecht zu werden. Wenn nur eine Gruppe in die Turnhalle kann, muss für eine andere im Gruppenraum alles extra aufgebaut oder Alternativen geschaffen werden.

Was macht das mit ihnen und ihren Kolleginnen?

Wir sind sehr ausgelaugt. Und es ist auch leider so, dass der Arbeitsmarkt derzeit nicht so ist, dass eine Entlastung in Sicht ist. Wenn das anders wäre, könnte man sagen, ok, es wird irgendwann besser. Zudem ist der pädagogische Anspruch an uns Erzieherinnen größer geworden, die Erwartungen der Eltern sind deutlich höher als früher. In Kombination mit Corona und dem Fachkräftemangel führt es dazu, dass der Job gerade nicht besonders attraktiv ist.

Es fehlen überall Erzieher:innen, auch im Land Bremen. Für mehr als 2000 Kinder kann derzeit bei Kita Bremen und in anderen Einrichtungen keine Betreuung realisiert werden. Wie ist die Personallage in der Kita Glühwürmchen?

Auch bei uns ist es so, dass pädagogische Fachkräfte fehlen. Vier Stellen sind vakant – was sehr viel ist bei 16 Stellen insgesamt. Die Krux dabei ist, dass der Personalmangel schon Thema war, als ich meine Ausbildung vor mehr als 15 Jahren beendet habe. Es hieß schon damals: Es gibt auf absehbare Zeit nicht genug Erzieherinnen und Erzieher. Da ist echt etwas schiefgelaufen. Warum sollen die ganzen jungen, motivierten Leute diesen Job machen? Er ist gerade zu Beginn nicht besonders gut bezahlt, die Ausbildung wird bisher nicht vergütet. Warum hat man das nicht hingekriegt?

Was bleibt zu tun? Der Bereich Kita ist jetzt im Ressort Kinder und Bildung integriert.

Die Posten für Kita-Verantwortliche sind nicht gut besetzt. Die Personen, die diesen Job machen, sind an manchen Stellen nicht gut ausgesucht und oft nicht wirklich vom Fach. Da fehlt ein bisschen der Einblick. Wenn sie aus der Praxis kämen und um die Problematiken wüssten, würde man anders entscheiden.

Das Bildungsressort weist regelmäßig darauf hin, dass die Kita-Probleme angepackt werden und zum Beispiel viele neue Kita-Einrichtungen gebaut worden sind bzw. gebaut werden.

Ja, das ist schön, aber es wurde wenig dafür getan, dass diese Einrichtungen auch mit Personal bestückt werden können. Ich kann natürlich sagen, dass es zum Beispiel Ganztagsangebote für alle Schulkinder gibt, aber wie soll das ohne Fachkräfte funktionieren? Man kann eine Einrichtung nach der anderen bauen, aber wenn sie nicht mit Leben gefüllt werden können… Und es werden parallel in Bremen Einrichtungen wieder geschlossen, weil das Personal fehlt. Uns rufen panisch Eltern an und sagen, eigentlich hätte ich einen Platz, aber die Kita-Gruppe wird jetzt geschlossen, weil die Erzieherin oder der Erzieher gekündigt hat. Was mache ich mit meinem Kind? Das wäre für mich als alleinerziehende Mutter der Ober-GAU.

Was muss sich sofort ändern?

Zuerst muss die Ausbildung viel attraktiver werden. Es muss ein Konzept erstellt werden, dass diese Zeit – auf welche Art auch immer – vergütet wird. Junge Leute mit einem Herz für Kinder fragen sich: Wie soll ich das finanzieren? Wenn BAföG gezahlt wird, muss es auch zurückbezahlt werden. Unser Beruf ist systemrelevant, das hat sich jetzt in Coronazeiten nochmal mehr gezeigt.

Der Betreuungsschlüssel ist im Kita-Bereich sehr unterschiedlich. Wie ist es bei der Kita Glühwürmchen?

Wir sind überdurchschnittlich gut besetzt, wenn denn alle Stellen besetzt wären. Wir arbeiten in normalen Zeiten zum Beispiel in der Krippe zu dritt mit zehn Kindern. Der normale Schlüssel ist 1:5. Was wir Erzieher und Erzieherinnen aber gelernt haben und worauf sich auf oft verlassen wird, ist, dass wir flexibel auf Personalmangel reagieren können und sollen.

Viele Kita-Leitungen kritisieren, dass sie zu wenig Leitungszeit haben. Sie sind kommissarische Leiterin. Bekommen sie Entlastung?

Nein. Das mache ich für mich. Weil ich unsere Kita mag, weil ich mich gerne einbringe und weil ich da auch für mich eine Qualifikation sehe. Mit "Impuls soziales Management Die Familienexperten gGmbH" habe ich aber einen Arbeitgeber, der sehr gut strukturiert ist, dass macht viele Aufgaben leichter und ich bekomme einen kleinen Bonus, der sich aber in meinem Gehalt nicht unbedingt widerspiegelt. Dennoch würde ich die Aufgaben ohne das Team nicht bewältigen können. Sie halten mir den Rücken frei.

Ihre Antworten bisher lesen sich nicht gerade als Einladung an junge Leute in Bremen, sich für diesen Beruf zu entscheiden.

Ja, da ist leider tatsächlich so. Diesen Beruf sollte man ausüben, wenn man ihn wirklich gerne macht, wenn man für diesen Job brennt. Und wir brauchen viele junge Leute, die für diesen Job brennen.
Wenn man ein Haus hat wie unseres, wo die Gegebenheiten eigentlich richtig gut sind, dann wäre es schön, diese Möglichkeiten ausschöpfen zu können. Wir sind alle noch hier, weil wir unsere Arbeit lieben und unser Haus und das Team gut finden. Nichtsdestotrotz sind die Umstände durch den Personalmangel einfach nicht so, wie sie eigentlich sein könnten. Und an dieser Stellschraube muss man dringend drehen.

Und die Gewerkschaften. Wie können sie helfen, um voranzukommen?

Ich würde mir wünschen, dass sie sich besonders für die Ausbildung der Fachkräfte einsetzen. Die Ausbildung bzw. das Fachpersonal sind der Schlüssel zu einer Vielzahl von Verbesserungen in den pädagogischen Bereichen. Es ist an der Zeit, das Ausbildungsprogramm generell zu überdenken, um wieder mehr Menschen mit Herz für den Job zu gewinnen