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Bildungsgerechtigkeit

Wenn Schulbeschäftigte die Reißleine ziehen

Die schlechten Arbeitsbedingungen und die Folgen: Ein Unmutsbericht

Foto: Susanne Carstensen

Fehlende Fachkräfte stoßen auf eine steigende Zahl von Kindern und Jugendlichen. Viele Löcher, die gestopft werden, reißen an anderer Stelle neue Löcher: Erzieher:innen aus Kitas wandern in Schulen ab; Erzieher:innen in Schulen arbeiten als Sozialpädagog:innen; Sozialpädagog:innen arbeiten als Lehrkräfte. Weil in Bremerhaven viele persönliche Assistenzen ab August schlechter bezahlt werden, bewerben sich diese als Erzieher:innen. Wenn Regellehrkräfte fehlen, übernehmen Sonderpädagog:innen, Sprachkurslehrkräfte und Schulleitungen den Unterricht. Schulleitungsaufgaben können ja nach Schulschluss erledigt werden und Förderung oder Sprachkurs fallen halt weg.

Die Schüler:innen leiden

Kein Wunder, dass eine wachsende Anzahl von Personen die Reißleine zieht, Stunden reduziert oder gar ganz aussteigen will. Viele können einfach nicht mehr. Die Mehrbelastung der Lehrkräfte hat jüngst eine Studie der Robert Bosch Stiftung bestätigt. Das Schlimme aber daran ist, dass am Ende die Schüler:innen leiden. Allen voran die Jüngsten und die Schwächsten, denen die Assistenzen, die Förderstunden und der Sprachunterricht wegbricht.

Und da die Schulen unterschiedlich betroffen sind, hängt es eben von der Postleitzahl ab, ob bzw. wie gut der Anspruch jedes Kindes auf Bildung erfüllt wird.

Ausbildungsoffensive nötig

Um wenigstens langfristig aus der Misere rauszukommen, brauchen wir jetzt eine Ausbildungs- und Weiterbildungsoffensive. Im Augenblick können einige Schulen ihre Referendar:innen nicht mehr richtig ausbilden, weil das Personal mit entsprechenden Fakultas fehlt oder weil Mentor:innen nicht richtig entlastet werden können. Für die Qualifizierung quereingestiegener Lehrkräfte gibt es viel zu wenig Plätze in den Seiteneinstiegsprogrammen. Und für quereingestiegene Erzieher:innen oder Sozialpädagog:innen gibt es gar keine Angebote. Studierende der Sozialpädagogik, die ihr Praktikum in Schule machen wollen, können dies oft nicht, weil die Hürden zur Zulassung als Ausbildungsbetrieb immens hoch sind.

Sondervermögen nötig

In einer Notsituation brauchen wir Notlösungen. Wo bleibt das Sondervermögen für Bildung?

Solange Bildung unterfinanziert und von Fachkräftemangel geprägt ist, ist es Zeit, darüber nachzudenken, was überhaupt noch leistbar ist. Statt die Misere wirklich anzugehen, halten die politisch Verantwortlichen weiter an den zentralen Vorgaben durch Kompetenzraster, Vergleichsarbeiten, zentralen Prüfungen fest und ziehen die Erwartungen noch an. Es werden Regelstandards formuliert, die viele Schüler:innen nicht erreichen. Sie erleben, in Zeiten der Inklusion, dass sie fast permanent scheitern.
Ist es womöglich das implizite Ziel, den Schüler:innen schon früh aufzuzeigen, dass sie durch das Nichterreichen von Regelstandards auf ein Leben unterhalb des Regelstandards in einer, auf Wettbewerb ausgerichteten, Gesellschaft vorbereitet werden sollen?
Sollte Schule nicht eigentlich das Gegenteil bewirken und alle Schüler:innen in ihren individuellen Fähigkeiten stärken, so dass sie der Gegenwart und Zukunft stellen können?

Wohlfühlort nötig

Zu Anfang der Pandemie keimte noch die Hoffnung, dass die Gesellschaft und vor allem auch die Politik endlich begriffen haben, dass Schule viel mehr ist, als eine Lernfabrik. Schule als Lebensort mit einem Fokus auf ein gutes soziales Miteinander, einem Ort, an dem sich die Schüler:innen wohl fühlen können und auf ein Leben als verantwortungsbewusste und mündige Erwachsene vorbereitet werden. Dafür lohnt es sich zu kämpfen. Erreichbar ist dies aber nur, wenn auch die Arbeitsbedingungen stimmen. Und dafür brauchen wir auch weiterhin eine starke GEW. Jedes einzelne Mitglied kann dazu beitragen.

Elke Suhr | Landesvorstandssprecherin der GEW Bremen