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Bremerhaven

Wahlkampfthema in Bremerhaven: Kinderarmut

Informationen des Stadtverbands Bremerhaven April-2023

Foto: GEW

Das entscheidende Wahlkampfthema in Bremerhaven lautet: Die Armut der Kinder und Jugendlichen

Die Bemühungen der Landeszentrale für Politische Bildung sind unbestritten ehrenwert: Mit dem Wahl-O-Mat sollen die Bewohner:innen von Bremen und Bremerhaven nicht nur auf die anstehende Wahl zur Bremischen Bürgerschaft und zur Stadtverordnetenversammlung am 14. Mai hingewiesen werden. Gleichzeitig wird versucht, Wahlentscheidungen auf inhaltliche Kriterien zu beziehen: Welche Partei kommt meinen politischen Auffassungen zu wichtigen Themen am nächsten?

Wir erlauben uns hinsichtlich des Kriterienkatalogs eine Zuspitzung.

Seit Jahren erleben wir einen ätzenden, falschen Wettbewerb: Immer dann, wenn die neueste Armutsstatistik veröffentlicht wird, haben die Statistiker ermittelt, ob Gelsenkirchen oder Bremerhaven nach den letzten Berechnungen die Tabelle des Elends anführt. Die (gespielte und echte) Betroffenheit ist in jedem Falle groß, in der Regel reicht die veröffentlichte Wahrnehmung allerdings kaum mehr als für wenige Tage. 

Dann sitzen sie wieder da, die Kinder und ihre Eltern. Kinder, welche die Armut oftmals „geerbt“ haben. Es gab Zeiten, da erschreckten sich Kolleg:innen zu Recht darüber, Schüler:innen zu unterrichten, die in dritter Generation von „der Stütze“ lebten, weil ihnen die notwendige Hilfe verwehrt wurde. Das ist einige Zeit her. Mittlerweile greift der Eindruck um sich, dass schon nicht mehr weitergezählt wird, oft aus Resignation. 

Eine Folge aus diesem Zustand kennen wir alle: Nirgendwo hängen Bildungserfolg und soziale Herkunft so eng zusammen wie in Deutschland. Der Fachkräftemangel wird sich nicht von selbst auflösen, aber ein Ansatzpunkt auch für diesen Sachverhalt wären gezielte Fördermaßnahmen für arme Kinder. Eine zweite besteht darin, dass diese Kinder im alltäglichen Leben mehr als eine Beschämung wegstecken müssen: Ausgrenzung findet mehr oder weniger subtil statt, bei Freizeitaktivitäten, Geburtstagsfeiern und manch anderen Anlässen.

Ein besseres Leben für alle Kinder kostet Milliarden

Und damit befinden wir uns im Wahlkampf, orientieren uns zunächst jedoch bundespolitisch. Anhand der Auseinandersetzung um die Kindergrundsicherung vertritt der Bundesfinanzminister Lindner, FDP, die Position, für die Kindergrundsicherung sehe er keinen Spielraum, schließlich sei das Kindergeld schon angehoben worden. Er bezieht sich dabei auf fast drei Millionen Kinder, die deutschlandweit von Armut bedroht sind, zwei Millionen Kinder, die Ernährungsmängel aufweisen, und das in einem Land mit den größten Niedriglohnsektoren in Europa. Aufgrund der Sozialstruktur werden Kinder in Bremerhaven von den Konsequenzen einer solchen Politik nicht unterdurchschnittlich betroffen sein. Die Stellung der Parteien in Bremerhaven zur Kindergrundsicherung ist also ein bedeutendes Kriterium für die Wahlentscheidung.

Ein besseres Leben für alle Kinder beinhaltet gute Bildung

Just dieser Tage, am 12. April 2023, beantwortete der Senat in Bremen eine Kleine Anfrage der CDU zum Thema der „Bewältigung des akuten Lehrkräftemangels im Lande Bremen“. Nimmt man die Armutsbekämpfung ernst, so ist der Zusammenhang zu dieser Problematik naheliegend. Zunächst einmal zeichnen die Zahlen aber ein erwartbares Bild: Zu Schuljahresbeginn waren in der Stadtgemeinde Bremen 96 von 5.150 Stellen nicht besetzt, in Bremerhaven zum 01.02.2023 betrug der Saldo ein Minus von 80,11 Stellen (von ca. 1.350). 343 der in Bremerhaven als Lehrkräfte arbeitenden Kolleg:innen wiesen keine grundständige Lehrer:innenausbildung auf. 

Für Überraschung sorgte allerdings die Einschätzung, dass die Anzahl der nicht besetzten Stellen von knapp unter 2% „eine insgesamt und auch im Vergleich zu anderen Ländern gute Situation“ darstelle. Mal abgesehen davon, dass man für eine 100%ige Umsetzung des Bildungsauftrages in den Schulen mindestens 106% an Lehrkräften benötigt, man also realistischerweise von einer Unterdeckung von 8% sprechen müsste, trifft die Aussage auf Bremerhaven schlicht nicht zu. Wenn die zitierten 80 Stellen nicht besetzt sind, so beträgt deren Anteil knapp 6% am Gesamtvolumen! Hochgerechnet auf die oben angemahnten 106% weiß man, welches Defizit in Wirklichkeit vorliegt.

Mehr Pädagog:innen würden ein besseres Leben für alle Kinder unterstützen

Im „Personalversorgungskonzept Schule“, diesem ebenfalls taufrischen, mehr als 150 Seiten starken Papier aus dem April dieses Jahres, werden viele Maßnahmen beschrieben, welche die Situation an den Schulen verbessern könnten. Was aber wirklich zu dünn ist, sind die Überlegungen zur Erhöhung der Studienplätze. Es reicht nicht, wenn die Senatorin feststellt, das Land Bremen bilde verhältnismäßig viele Lehrkräfte aus, wenn die bereits erfolgten Ausbildungserweiterungen hinsichtlich Inklusiver Pädagogik aufgelistet werden oder die Wiedereröffnung des Studiengangs Sport für das Wintersemester ´24 / ´25 angekündigt wird. Wir benötigen fächer- und professionsübergreifend mehr Ausbildung. Damit einhergehen müssen ebenfalls Entscheidungen, pädagogische Berufe für junge Menschen erstrebenswert zu machen.

Zum Schluss noch eine kleine Rückblende zur CDU-Anfrage. Manchmal sind ja schon die Fragestellungen verräterisch. Die CDU fragt den Senat also, vermeintlich ganz neutral, ob man nicht bestehende Regelungen zur Arbeit von Lehrkräften anzupassen gedenke, genannt werden dann die Reduktion der Unterrichtsverpflichtung aus Altersgründen, der Ruhestandseintritt, die Teilzeitbeschäftigung von Lehrkräften (einschl. der „Sabbaticals“) und, als Krönung, die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung. Der Senat erklärt immerhin, dass derartige Verschlechterungen nicht kommen werden.

Aufmerksame Leser:innen solcher Papiere benötigen nicht viel Phantasie, um sich die Lösungen der CDU vorzustellen, sollten diese tatsächlich die Wahlen gewinnen. Die in der Kleinen Anfrage nachgeschobenen Fragen zur Gesunderhaltung der Belegschaft hätte sich die CDU gleich klemmen können, wäre sie ehrlich gewesen. Allerdings passt ihr Vorgehen in eine Debatte, welche versucht, die Lasten der Zeit bei den Beschäftigten abzuladen. Und irgendwie ist die Verweigerung einer substantiellen Kindergrundsicherung dann eine schlüssige Konsequenz.