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Wachstums- oder Reichtumsförderung?

In den feinsten Kreisen unserer Gesellschaft dürften die Champagnerkorken zum Jahreswechsel 2009/2010 noch lauter als sonst geknallt haben, weil das „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ der CDU/CSU/FDP-Koalition vielen Reichen und Wohlhabenden neuerliche Steuererleichterungen beschert hat. Die darin enthaltenen „Korrekturen“ der Unternehmen- und Erbschaftsteuerreform bieten den Vorteil, dass sie von der breiten Öffentlichkeit weniger stark wahrgenommen werden als massive Senkungen des Spitzensteuersatzes oder die Abschaffung der Gewerbesteuer, wie sie die FDP fordert. Deshalb weicht die schwarz-gelbe Koalition eher Regelungen auf oder nimmt sie ganz zurück, die ein drastisches Absinken des Steueraufkommens im Unternehmensbereich durch Finanzmanipulationen der Konzerne verhindern sollten, etwa die Einführung der „Zinsschranke“ und der Mindestbesteuerung sowie die zeitweilige Aussetzung der degressiven Abschreibung.

Ungefähr zur selben Zeit, als das Bundesverfassungsgericht am 20. Oktober 2009 darüber verhandelte, ob die Bedürfnisse der in „Hartz-IV-Haushalten“ lebenden Kinder bei der Regelsatzbemessung angemessen berücksichtigt wurden oder zumindest die Kinderregelsätze das Sozialstaatsgebot des Grundgesetz verletzen, trieb CDU, CSU und FDP offenbar sehr viel stärker die Sorge um, „Leistungsträger“ und Besserverdienende könnten – auch für ihre Kinder – zu viel Steuern zahlen. Denn sie beschlossen nicht etwa, die Armut von Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien zu verringern, sondern den Steuerfreibetrag für Kinder zunächst auf 7.008 Euro und später auf die künftig für Erwachsene geltende Höhe von 8.004 Euro anzuheben sowie das Kindergeld von 164 Euro auf 184 Euro monatlich zu erhöhen.

Dabei handelt es sich nicht um eine Entlastung „der“ Familien, wie CDU, CSU und FDP behaupten, sondern um eine weitere Begünstigung von Besserverdienenden und Begüterten. Die zuletzt Genannten profitieren davon überproportional, Eltern mit einem geringen Einkommen haben jedoch wenig und Transferleistungsempfänger/innen mit noch so vielen Kindern gar nichts davon. Um es konkret zu machen: Ein Spitzenverdiener „spart“ durch die im „Wachstumsförderungsgesetz“ enthaltenen Maßnahmen jährlich 443 Euro Steuern und ein Normal- oder Geringverdiener erhält 240 Euro mehr Kindergeld, während die Not der alleinerziehenden Mutter im Hartz-IV-Bezug kein bisschen gelindert wird. Ganz im Gegenteil: Durch die aufgrund der bei Ländern und Kommunen zu erwartenden Steuerausfälle werden Gemeinden, Landkreise und kreisfreie Städte nicht per Gesetz verpflichtend vorgesehene Beratungs- und Betreuungsangebote gerade für solche Familien eher weiter einschränken. Da ist es nur folgerichtig, dass die Armut von Kindern im Koalitionsvertrag nur in einem lapidaren Satz erwähnt wird: „Wir wollen Kinder von Anfang an unterstützen, ihre Stärken erkennen, ihre Chancen fördern, Benachteiligungen verhindern sowie Kinderarmut bekämpfen.“

Beim steuerlichen Freibetrag sollen die Kinder den Erwachsenen möglichst bald gleichgestellt werden. Beim Hartz-IV-Regelsatz wehrt sich die Bundesregierung jedoch gegen eine solche Gleichbehandlung, obwohl die von Sozialgeld lebenden Kinder darauf viel eher angewiesen wären als die Kinder der Einkommensteuerzahler/innen, und man fragt sich, wie beides unter Menschenrechtsgesichtspunkten miteinander vereinbar ist. Man kann nur von Beratungsresistenz sprechen, wenn selbst die Konferenz der Landesarbeits- und -sozialminister der Bundesregierung empfehlen, spezifische Kinderregelsätze zu ermitteln und diese unverzüglich zu erhöhen, weil das höchste deutsche Gericht bei seiner Anhörung am 20. Oktober in Karlsruhe deutlich zu verstehen gegeben hat, dass es Zweifel hegt, ob die Kinderregelsätze mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Seit dem 1. Januar 2009 wird Kindern und Witwen von Familienunternehmern die betriebliche Erbschaftsteuer erlassen, wenn sie die Firma zehn Jahre lang fortführen und die Lohnsumme über den gesamten Zeitraum hinweg konstant halten. Indem CDU/CSU und FDP die genannten Bedingungen lockern (Verkürzung der Behaltensfrist und Absenkung der Lohnsumme), werden selbst größere Entlassungswellen ohne Folgen für die Steuerbefreiung möglich, ohne dass Erben von Betriebsvermögen ihr Privileg gegenüber Erben anderer Sachwerte und von Geldvermögen verlieren. Gleichzeitig werden Geschwister, Nichten und Neffen künftig auf Kosten der Allgemeinheit bessergestellt. Während die Eltern armer Kinder sowohl im Hinblick auf die Erhöhung des Steuerfreibetrages wie auch beim Kindergeld leer ausgehen, macht die Bundesregierung den reichsten Familien, d.h. den Burdas, Oetkers und Quandts/Klattens, weitere Steuergeschenke in Milliardenhöhe, die den Staat perspektivisch womöglich noch mehr Geld kosten als die Herabsetzung des Mehrwertsteuersatzes für Übernachtungen von 19 auf sieben Prozent, die hauptsächlich das bayerische Tourismusgewerbe beflügeln soll.

  • Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Zuletzt ist sein Buch „Armut in einem reichen Land. Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird“ (Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2009) erschienen.
    (Rezension)
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