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Vorsicht Bertelsmann!

So geht Bildungspolitik heute: Ein Hamburger Nachrichtenmagazin, das zu einem weltbekannten Familienunternehmen im Nordrhein-Westfälischen gehört, veröffentlicht exklusiv die Ergebnisse einer Untersuchung über Lernbedingungen in Deutschland.

Die Studie entstammt der millionenschweren Denkfabrik des erwähnten Konzerns. Der Rechtsform nach ist der betreffende Think Tank eine Stiftung, die von den Finanzbehörden als gemeinnützig anerkannt, d. h. steuerlich privilegiert ist. Die Stiftung bereitet mit Hilfe der besagten Studie den Boden vor für eine deutschlandweite Kampagne. Ziel des Feldzugs für angeblich bessere Lernbedingungen ist es zunächst, die in der Studie festgestellten Lerndefizite öffentlich zu machen. An der Kampagne beteiligen sich nach der Exklusivveröffentlichung durch das Nachrichtenmagazin auch alle anderen Medien, die – ihrer journalistischen Informationspflicht genügend – ebenfalls ausführlich über die Studie berichten. Auf diesem Wege wird das Thema „Lernen“ auf die tagespolitische Agenda gesetzt, und die Nachfrage nach bildungspolitischen Reformkonzepten und Maßnahmen wird geweckt. Mit einem entsprechenden Angebot in neoliberaler Verpackung beliefern nun wiederum Unternehmensbereiche des betreffenden Konzerns den Lern- und Bildungsmarkt. Auf solche Weise macht und erhöht die Firma ihre Umsätze und steigert so den Profit des Unternehmens. Bildungspolitik als gewinnorientierte Konzernstrategie, ohne demokratische Legitimation!

Bremer Bildung am Ende?

Das Unternehmen, von dem hier die Rede ist, befindet sich im Besitz der Familie Mohn (Chefin: Liz Mohn). Es hat seinen Firmensitz in Gütersloh und trägt den Namen Bertelsmann. Die Firmenbezeichnung wurde früher vor allem mit einem Buchclub in Verbindung gebracht. Heute trägt eine Stiftung den Namen des Unternehmens: die Bertelsmann-Stiftung. Diese ist als gemeinnützig anerkannt und in erster Linie operativ tätig, d. h. sie fördert nicht andere Projekte, sondern finanziert ausschließlich die eigenen. Zum Bertelsmann-Konzern, an dem die Stiftung ihrerseits durch Aktienbesitz beteiligt ist, gehört der Unternehmensbereich Gruner + Jahr, der wiederum Anteile am Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hat. Weitere Unternehmenssektoren der Bertelsmann AG sind in den Bereichen Verlagswesen, Buchdruck und -produktion (Random House), Fernsehen (RTL) sowie Logistik, EDV, IT- und Wissensdienstleistungen (Arvato) tätig. Kurzum: Den Nachfrage erzeugenden Aktivitäten der Bertelsmann-Stiftung auf den Gebieten Lernen und Bildung entsprechen die lern- und bildungsrelevanten Produktangebote des Bertelsmann-Konzerns: Man nennt das Synergie – unternehmerisches Synergiemanagement im Interesse des Profits!

Nach der Erstveröffentlichung der Studie durch das Magazin „Der Spiegel“ Ende 2011 berichteten neben den Konzern-Medien auch die regionalen Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten. In Bremen beispielsweise beschrieb der „Weser-Kurier“ unter der Überschrift „Bremer Bildung am Ende“ ein Szenario, das einerseits zwar bekannt ist; denn die Lernbedingungen in vielen Stadtteilen Bremens und Bremerhavens sind – was etwa Bibliotheken, Jugendfreizeitheime und nicht zuletzt die Schulen betrifft (die Anzahl der Lehrerinnen und Lehrer, den Zustand der Gebäude, die Unterrichtsmittel usw.) mehr als erbärmlich. Andererseits aber war die zitierte Überschrift auf der Titelseite der Zeitung eine Falschmeldung: Die Studie der Bertelsmann-Stiftung hat nicht die Bremer Bildung bewertet, sondern die Lernbedingungen vor Ort (bzw. das, was sie dafür hält), also grundlegende Voraussetzungen für den möglichen Erwerb von Bildung – was immerhin einen merklichen Unterschied ausmacht. Schließlich wurde in der Berichterstattung mit keinem Wort erwähnt, wie die Studie und ihre Ergebnisse methodisch zustande gekommen sind und was von den angeblich wissenschaftlichen Untersuchungen der Bertelsmann-Stiftung zu halten sei.

Pseudowissenschaftlich und aufgebrezelt

Auch wenn die Lernbedingungen in Bremen alles andere als zufrieden stellend sind und bei den politisch Verantwortlichen entschieden zahlreiche Verbesserungen eingeklagt werden müssen, darf angesichts der Bertelsmann-Studie nicht übersehen werden, dass sie eine Reihe von schwerwiegenden Mängeln und methodischen Schwächen aufweist. Bezogen auf Bremen z. B. verwendet und verallgemeinert sie eine Reihe von Daten, die nicht eigens erhoben wurden, sondern aus anderen, gleichfalls problematischen Kompetenzuntersuchungen (Iglu, IQB, Pisa) stammen und zum Teil schon längst überholt sind. Völlig fragwürdig sind die Ergebnisse der Untersuchung außerdem sowohl aufgrund der von den Bertelsmann-Wissenschaftlern verwendeten Kategorien als auch wegen der bei der Datenauswertung vorgenommenen Gewichtung dubioser Kennziffern für die Bedingungen von schulischem, beruflichem, sozialem und persönlichem Lernen. (Siehe dazu meine Stellungnahme im Leserforum des „Weser-Kurier“ vom 19. Dezember 2011, Seite 18.) Kurz: Die pseudowissenschaftlich aufgebrezelten, auf Hochglanzpapier gedruckten und in den Medien meist in argloser Naivität wiedergegebenen Resultate der Bertelsmann-Studie über die Lernbedingungen in Deutschland und Bremen sind wertlos und zugleich gefährlich.
Sie taugen zu kaum etwas Anderem als dazu,

  1. das negative Image der Bildungslandschaft des Stadtstaats weiter zu beschädigen,
  2. die Eltern zu entmutigen sowie die Motivation von SchülerInnen- und LehrerInnenschaft zu lähmen
  3. auf den Tabellenplatz in den Rankings zu starren wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange, statt die gesellschaftlichen Ursachen zu erkennen und zu bekämpfen, die politisch Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und die Wirtschaft per Bildungssteuer zur Kasse zu bitten.
  4. die Bertelsmann-Studie dient , wie einleitend skizziert, dazu, im Interesse des neoliberalen Markt-Dogmas die Zweifel am staatlichen Bildungswesen zu nähren, für seine Privatisierung (und Privatschulen generell) zu werben und vor allem die Konzern-Profite mehren zu helfen – zu Lasten einer menschengerechten, humanen und demokratischen Bildung für alle.

Deshalb müssen Eltern, SchülerInnen, LehrerInnen und nicht zuletzt die GEW auf der Hut sein. Sie müssen jene Ansätze brandmarken und die vielfältigen Versuche zurückweisen, mit deren Hilfe die Bertelsmann-Stiftung und der Bertelsmann-Konzern das Bildungswesen erfolgreich zersetzen mit dem Ziel, es einerseits gewinnbringend zu privatisieren und andererseits williges Lern- und Arbeitspotenzial zu produzieren. Vorsicht Bertelsmann!

PS. Wie wäre es, die Gewinne, die der Bertelsmann-Konzern durch die gemeinnützige Bertelsmann-Stiftung am Fiskus vorbeischleust, ungeschmälert den öffentlichen Bildungshaushalten zuzuführen?!

Der Autor

Prof. Dr. Rudolph Bauer
ist Politikwissenschaftler und war von 1972 bis 2002 an der Universität Bremen im Studiengang Sozialpädagogik tätig.

Kontakt
Karsten Krüger
Schriftleiter des Bildungsmagaz!ns
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